Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit

Deutschland 1997/1998 Spielfilm

Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit


Horst Peter Koll, film-dienst, Nr. 17, 18.08.1998

"Ich bin Schriftsteller. Ich habe noch 12 Stunden und 27 Minuten zu leben." So führt der ebenso ambitionierte wie erfolglose Autor Charly in die Handlung ein, an deren Ende er tatsächlich tot ist. Freilich weiß man bald nicht mehr, ob er selbst Teil einer "realen" Handlung ist – oder ob der illustre Personenreigen, dem man begegnet, lediglich seiner literarischen Fantasie entspringt und die Bilder auf der Leinwand quasi seinem geistigen Auge entwachsen. Den Ausgangspunkt bilden jedenfalls Charlys sanft ironisch-melancholische Gedanken über Liebe und Glück, den Zufall – und eben das "seltsame Verhalten der geschlechtsreifen Großstädter", deren "Paarungszeit" mit dem ersten Sonnenstrahl des Tages beginnt. Während der sich anschließenden zwölf Stunden kreuzen sich die Lebenswege mehrerer "Großstädter": Da ist zunächst Charly selbst, der mit seinem Roman-Manuskript bei einem arroganten Jungverleger abblitzt und in einem Anfall fatalistischer Rachsucht dessen knallroten Ferrari stiehlt, mit dem er fortan durch die Stadt braust. Seine Ex-Frau Manuela, die an diesem Tag Charly als Babysitter für ihr gemeinsames Kind eingeplant hat, muß sich anderweitig umsehen und wendet sich an die unscheinbare Studentin Birgit, die das Kind jedoch ihrem Nachbarn, dem Single Sven, überläßt. Während Sven mit dem Kind im Buggy durch ein Einkaufscenter kurvt, um als vermeintlicher Vater mit Ehering leichter die Aufmerksameit der Frauen wecken zu können, lernt Birgit in einem Bodybuilding-Studio den homosexuellen Jimmy kennen, der eine Begleiterin braucht, um bei einem abendlichen Samba-Wettbewerb Einlaß zu finden. Dieses Tanzfest wird von einem hübschen Studenten organisiert, in den sich Jimmy verguckt hat. Der aber verliebt sich ausgerechnet in Birgit, die sich wie weiland Aschenputtel im Lauf des Tages in eine Schönheit verwandelt hat. Irgendwann begegnet Manuela zufällig ihrem Kind mit dem ihr fremden Sven. Nach dem ersten Schock ist sie durchaus fasziniert von Svens Lügengeschichten. Doch die Gefühle, die zwischen beiden aufkommen, stoßen an Grenzen, weil sie ihn für einen Kindesmörder, er sie für eine Kindesentführerin hält. Parallel dazu entwickelt sich das "Drama" um Manuelas Mitbewohnerin Tamineh, die von einem eigenen Kind träumt, von ihrem Geliebten aber ausgenutzt und vernachlässigt wird. Urplötzlich begegnet sie auf dem Dach vor ihrem Balkon einem Selbstmörder, der sich aus Liebeskummer in die Tiefe stürzen will. Während sich Tamineh und der Italiener Marcello in dieser bizarren Situation gegenseitig ihr Leid klagen, treffen Hilde und Cornelia aufeinander; zwei Frauen mit grundverschiedenem Anspruch an die Männer und das Leben. Hilde stiehlt Charlys Ferrari für eine Spritztour, auf der sie mit Cornelia zusammen allerdings Charly selbst aufgabelt; irgendwann fahren sie auch an Cornelias Sohn vorbei, dem Schüler Paul, der die ganze Zeit über nach einem geeigneten Ort für ein erstes "Schäferstündchen" mit seiner Freundin Sandra sucht.

All diese Episoden fließen ineinander, lösen sich ab und ergänzen sich zu einer Folge erzählerischer Vignetten in einem durchaus nicht unsympathischen urbanen Liebes- und Lebensreigen. Dabei kann freilich kein Charakter vertieft werden; was zählt, ist die momenthafte Zustandsbeschreibung, für die manch hübsche Pointe gefunden und mit eher beiläufigem Charme vermittelt wird. Dem Ganzen philosophische Tiefe oder andere "analytische" Hintergedanken abzuverlangen, wäre indes zu viel verlangt: Alles entwickelt sich im Rahmen unverbindlicher Nettigkeiten als hübsche Sommerfilmkost, die, nicht unelegant konstruiert, mit viel "Zeitgeist" um Beziehungsstreß und Mambo-Rhythmus daherkommt und dabei auf den Aufmarsch solide agierender Schauspielerinnen und Schauspieler vertrauen kann. Die meisten Fäden werden bis zum märchenhaft-versöhnlichen Happy-End geführt, wobei kleine ironische Seitenhiebe das arg strapazierte Knäuel an Zufälligkeiten erträglicher machen. Man könnte nun den Stab über den Film brechen und ihn ob seiner "unerträglichen Leichtigkeit" in Grund und Boden verdammen. Vielleicht sollte man ihn aber lieber als das nehmen, was er ist: als kleinen (Fernseh-)Film von spielerisch-verspielter Absichtslosigkeit, der unverbindlich, aber durchaus kurzweilig ist. Früher hat man solche Filme im "Mittelfeld" deutscher Kinoware vermißt und herbeigesehnt; heute, wo sich das Spektrum des Angebots erweitert hat und zur wirtschaftlichen Konsolidierung beiträgt, sollte man sie respektieren und es dem Geschmack und der Laune des Publikums überlassen, ob es sich darüber amüsieren will. Immerhin ist solche deutsche Kinokost sympathischer als manch martialischer Action-"Hammer" aus Hollywood.

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