Napoleon auf St. Helena

Deutschland 1929 Spielfilm

Napoleon auf St. Helena


M. J. (= Monty Jacobs), Vossische Zeitung, Nr. 532, 10.11.1929


Mit nachtwandlerischer Sicherheit haben Willy Haas und Lupu Pick die einzige Episode ausge­wählt, die in Napoleons Schicksal nicht filmreif ist, die letzten sechs Lebensjahre auf seiner Todesinsel. Der Franzose Abel Gance wußte besser als seine deutschen Vollender, warum er seinen Film-Napo­leon nicht bis nach St. Helena führte. Denn Film – das heißt in Bildern vorwärtsreißen. Auf St. Helena aber steht gleichsam eine Welt still. Das Stationäre, das Passive, das sind die beiden großen Feinde, die man in allen Künsten, nur nicht auf der Leinwand unschädlich machen kann. Auch der Kampf des Gefangenen gegen seinen britischen Kerkermeister ist ja kein Kampf, nur ein Dulden. "Der weltliche Heiland, der gelitten hat unter Hudson Lowe, wie es geschrieben steht in den Evangelien Las Cases, O"Meara und Antommarchi", heißt es bei Heinrich Heine. Der gelitten hat – und wessen Kunst ist groß genug, um zweieinhalb Stunden Leiden, bloßes Leiden im Kino erträglich zu machen? Von dieser Aufgabe wird sogar die stärkste Natur der deutschen Filmkunst, wird sogar Werner Krauß in ihrer Wirkung geschwächt. Er hat wundervolle Momente, und er ist am gewaltig­sten in der Tiefe seines Schicksals, wenn er, mit Nachtmütze und Bartstoppeln, aus der schlimmsten Depression heraus einen Brief schreibt. Aber selbst an seinem Leidensblick wird die Phantasie dieses Films nicht produktiv. Auch für seinen Gegenspieler, für Albert Bassermanns Hudson Lowe, bleibt kaum etwas anderes übrig als der Kerkermeister, der mürrisch durchs Fernrohr späht. Von diesen großen Schauspielern mit den historischen Masken müßte ein Schauer ausgehen. Aber hier langt es nur zu einem Monarchenfilm, Stimmung eher Doorn als St. Helena. Wenn sich Napoleon dann am Schluß in einer plötzlichen Aufwallung seiner Dienerschaft, also dem Volke, ohne alle Überleitung ans Herz wirft, so kommt ein Schuß Unehrlichkeit ins Getränk. Ein hölzerner Graf Bertrand (Philippe Hériat) stört, seiner Gräfin (Hanna Ralph) wird die Andeutung eines letzten napoleonischen Herzensromans zugebilligt. Im Gefolge des Kaisers helfen Hermann Thimig, Paul Henckels, Erwin Kalser unverzagt im Kampf gegen die Eintönigkeit der Insel St. Helena, die das Drehbuch so suggestiv auf den Zuschauer überträgt.

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