Regie, Drehbuch
Landau in der Pfalz

"Amerika ist mehr als ein Klischee"

Schultze-Regisseur Michael Schorr im Gespräch


Anke Sterneborg, epd film, Nr. 5, 02.05.2004

Wie kommt ein relativ junger Regisseur dazu, einen Film über einen so betagten Helden zu machen?

Michael Schorr (lacht): Das hat weniger mit meiner persönlichen Situation zu tun als mit der Umgebung, in der ich gelebt habe. Die erste Idee hatte ich schon vor zehn Jahren, als ich noch im Saarland wohnte. Damals wurden gerade die Stahlwerke geschlossen, und ich überlegte mir, was mit diesen Leuten passiert, die aus einer durch die Schichtarbeit extrem strukturierten Arbeitssituation in einem Alter entlassen werden, in dem sie durchaus noch Lebenskraft haben.

Den Figuren gegenüber verhält sich der Film sehr dokumentarisch, andererseits wirken die Bilder sehr kunstvoll gestaltet.

Schon bei meinen Dokumentarfilmen habe ich mich sehr stark für die Bildebene interessiert. Beispielsweise habe ich mal einen Film über die Weinernte gemacht, der im Gegensatz zum konventionellen Dokumentarfilm kaum mit Interviews und Handkameraaufnahmen arbeitete, sondern ganz stark aus den Bildern, aus langen, ruhigen, statischen Einstellungen heraus entsteht, und daraus hat sich der Stil von "Schultze Gets the Blues" entwickelt. Diese Bildsprache habe ich schon in der Filmhochschule mit dem Kameramann zusammen entwickelt, mit dem ich jetzt schon zum vierten Mal arbeite.

In Deutschland ist es immer noch nicht selbstverständlich, dass Geschichten aus den Orten heraus entwickelt werden, an denen sie sich abspielen. Ist das etwas, das man als Dokumentarfilmer lernt?

Meist wird zuerst ein Drehbuch geschrieben, und dann sucht man die Orte, an denen man das umsetzen kann oder baut sie sogar für den Film. Bei mir ist es eher so, dass ich mir anschaue, was vor Ort da ist, und es dann noch ins Drehbuch hineinnehme, wenn es die Authentizität der Geschichte fördert. Sich umzuschauen und Sachen zuzulassen, ist sicher etwas, was man im Dokumentarfilm lernt, wo viele Sachen nicht vorhersehbar sind. Und immer, wenn man denkt, dass gerade irgendetwas nicht funktioniert, stellt sich das später als Glücksfall heraus.



Amerika gilt immer als das klassische Land der Träume. Obwohl sich das für Schultze ja durchaus erfüllt, zeigen Sie dieses Amerika sehr viel grauer, ernüchternder und unromantischer: Was bedeutet Ihnen Amerika?

Amerika ist ja tatsächlich dieses Traumland, es ist ein Mythos, egal ob man es liebt oder hasst. Insofern funktioniert Amerika auch im Film zunächst als das perfekte Klischeebild, für die neue Welt, in die der Held noch einmal aufbricht. Auf der anderen Seite wollte ich aber auch zeigen, dass es für die Leute, die da unten leben, gar nicht das gelobte Land ist, dass es auch eine durchaus triste Realität hat und die Menschen dort mit ganz ähnlichen politischen und sozialen Problemen zu kämpfen haben, wie Schultze in Sachsen-Anhalt. Louisiana, wo wir gedreht haben, hat auch eine ganz ähnliche Geschichte; statt der Bergwerke und der Schwerindustrie gibt es dort eine Ölindustrie, die nach dem großen Boom in den letzten zehn, 15 Jahren langsam abgebaut wurde.

Wie stehen Sie zur Volksmusik, deren Milieu in diesem Film ja ganz ohne Herablassung sehr liebevoll gezeichnet ist?

Volksmusik, die ins Völkische übergeht, interessiert mich persönlich gar nicht, und es hat schon an den Nerven gezerrt, auf dem Wurstfest eine Woche lang nonstop Blasmusik zu hören. Doch die Verbindungslinie zwischen der Akkordeon-Polka-Musik, die Schultze spielt, und dem Zydeco, den er entdeckt, war mir sehr wichtig. Ich hatte immer das Gefühl, dass diese Musik zum einen neu für ihn sein muss, aber auch gleichzeitig etwas mit seinem Umfeld zu tun haben muss, wenn auch sehr entfernt. Die Wurzeln des Zydeco liegen ja tatsächlich in der Polka.

Inwieweit fühlen Sie sich vom Aufwind betroffen, den das deutsche Kino zurzeit erlebt?

Diese Euphorie haben wir in Venedig schon gespürt, wo der Film lief, als wir noch keinen Verleiher hatten. Der italienische Verleiher hat uns dort erzählt, dass er Good Bye, Lenin! hatte, der gut lief, und dass er jetzt nach einem neuen deutschen Film sucht, den er da nachschieben kann, in der Schweiz war es ähnlich. Schultze gets the Blues ist ja mein erster Film, der einen richtigen, kommerziellen Start hat, trotzdem habe ich den Eindruck, dass es im Moment eine gesteigerte Aufmerksamkeit fürs deutsche Kino gibt.

Was missfällt Ihnen am deutschen Kino?

Dass es in Deutschland am schwierigsten ist, einen Film zu machen und rauszubringen. Egal ob es die Förderung oder der Verleih ist, alles geht hier sehr viel langsamer und zögerlicher, alle sehen immer zuerst die Probleme. In anderen Ländern ist ein Film oft leichter zu verkaufen als hier. Ich würde mir mehr Mut zum Risiko wünschen, dass jemand einfach mal sagt, wir glauben an den Film und pushen den jetzt mal richtig.

Andererseits finde ich es schön, dass es wieder so einen eigenen Blick auf Alltags- und Gegenwartsgeschichten gibt, stärker als vor zehn Jahren, als eher in Richtung Genre und Komödie gedacht wurde. Jetzt gibt es plötzlich wieder eine ganze Reihe von Leuten, die mit einem sehr persönlich gefärbten Blick auf ihre Umgebung und die soziale Realität schauen, ohne dabei gleich wieder in die Schwermütigkeit der siebziger Jahre zu verfallen. Das ist nicht dieser hermetische, experimentelle Autorenblick, sondern das sind Filme, die die Leute gerne anschauen und spannend finden. Das sind aber auch Geschichten, mit denen sie sich identifizieren können, die sie aus ihrer Umgebung kennen - das ist eine gute Mischung.


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