Der Rosenkönig

BR Deutschland 1984-1986 Spielfilm

So viele Lieder

Im Kino: "Der Rosenkönig"



Karsten Witte, Die Zeit, 23.01.1987

Gewiß hat Bayern seinen Bierkönig so wie Pennsylvanien einen Stahlkönig hat, doch ein Rosenkönig ist Legende. Er hat kein Reich, außer im Land der Träume. Der Rosenkönig ist eine Kunstfigur, die an sich die tödlichen Gefahren der Kunst verkörpert. Sie lebt er, ihnen erliegt er, irdisch, männlich, keinesfalls als Heiliger. Der Schein der Heiligkeit liegt auf Magdalena Montezuma. Sie ist die Mutter des Rosenkönigs, die das Verhängnis in der Schönheit ahnt. Das letzte Mal tritt Montezuma als eine Hohepriesterin auf. Das Unglück lauert in ihren Blicken.

"Der Rosenkönig" ist ein schlimmer Traum, in dem das Erwachen dem Entsetzen gleicht, so viel scheinheiliger Schönheit, die, vorüberrauscht, im Anblick vertraut zu haben. Statt einer Geschichte gibt es Fragmente, statt einer Erzählung ein Kamera-Poem für drei Körper, drei Stimmen.

Einzig die Kinder aus Sintra erinnern daran, daß der Film ein reales Gelände, Landschaften aus Portugal, abbildet. Die Kinder tauchen als Gruppe auf, als Voyeure und Lauscher, die gespannt verfolgen, wie sich auf der Rosenzüchterei die Mutter Anna (Magdalena Montezuma), ihr Sohn Albert (Mostéfa Djadjam) und dessen Gehilfe Fernando (Antonio Orlando) in ein tödliches Dreieck verstricken. Die Rose, einst Attribut der Heiligen, scheint in Schroeters Staffellauf von Rosalia von Palermo der Elisabeth von Portugal übergeben.

Der Filmanfang gleicht einer Ouvertüre, die Themen und Motive vorstellt, die als gleichsam, musikalische Figuren von der Montage im Verlauf des Films wieder, aufgenommen werden. Montezumas Stimme erzählt auf Portugiesisch von der Legende des Rosenkönigs. In zerbrochenen Fensterscheiben wabern Spinnennetze. Montezuma reibt ihr makelloses Gesicht mit Teer ein. Ein Zug pfeift. Der Schäfer steht vorm Tor. Montezuma schreibt in ein Tagebuch ihre Angst vor dem Zusammenbruch der Rosenfarm.

Auf dem Tisch, an dem sie schreibt, an dem das Geschriebene von ihr geraunt und beschworen wird, liegt neben der Rose, dem Rotweinglas ein Okuliermesser. Unter Montezumas Blick, der das Entrückte zoomartig in den Vordergrund schnellen läßt, beleben sich die toten Dinge.

Von einer Freitreppe im Garten steigt ein junger Mann vorbei an Pflanzen ins Haus abwärts. Diese wenigen Schritte sind von der fabelhaft visionären Kamera (Deutscher Kamerapreis 1986 für Elfie Mikesch) so aufgenommen und ausgeleuchtet, daß man den Eindruck gewinnt, mit seinen Schritten stolpere der junge Mann aus dem Paradies in eine verkrachte Welt. Das Geheimnis liegt im Raum, der durch das Licht entwirklicht wird.

Es verwundert nicht zu erfahren, daß Werner Schroeter die Filme Tarkowskijs sehr verehrt. Nur putzt er, im Gegensatz zu Tarkowskij, die monochrome Schmuddeligkeit, die abgestumpften Farben im Niemandsland zu einer grell glänzenden Erscheinung auf. Da scheinen die Dinge, im "Rosenkönig" ins Licht gesetzt, an der Grenze zwischen, Schönheit und Schmerz zu liegen. Schroeters Bilder sind ungefällig gegen Nostalgie.

Nach der Ouvertüre: die Oper. Dieser Film, verleibt sich Unmengen an Fremdmaterial an, um das eigene in der Montage zu behaupten. Wir sehen ein Feuerwerk, wir hören in Arien von Donizetti und Verdi die Stimmgewalt der Leidenschaften, die deshalb so übermächtig klingen, weil sie in Prosa, auf der Bühne nicht und nicht im Film, keinen Glauben im Alltagsgefühl finden.

Diese Höhepunkte sind der Orgelpunkt der Tonspur, aber sie bleiben Fragmente, abgelöst von Realgeräuschen, Chorälen wie "Vom Himmel hoch", arabischen Liedern, dem Gesang der Grillen und Kröten. Elisabeth Schwarzkopf singt und eine Glasharmonika jammert. Schroeters Potpourri überflutet die Bilder, die ihrerseits sich durch den Ausdruck von Stummfilmanstrengungen gegen die Macht des Tons wehren.

Die ihren Sohn besessen liebende Mutter fragt ihn, der abgöttisch den schönen Gehilfen liebt, welcher sich in wiederkehrenden Bildern, einem Ritornell, nachts nackt in den Fluten des Atlantik treiben läßt, woran der Sohn denke. Die Antwort, deren Wunschbild gerade gezeigt wurde, geht unter in einer Arie, die überblendet wird von Geräuschen außerhalb geformter Kunst. Jede Geste, jeder Blick könnte das Ende der Welt anzeigen.

So gerät mancher Ausschnitt, kostbar und trotzig, wie ein blendender Clip der herbeigesehnten Apokalypse. Sieht der in der Scheune gefangene Liebhaber aufs Dach über sich, dann fällt das Licht nicht einfach durch die Balken; dann dampft es. Schöpft der Rosenkönig Wasser aus dem Bassin, dann verwandeln sich die Tropfen zu glitzernden Funken. "Der Rosenkönig" schwelgt in üppigen Orgien, die nur in der Skala Rot denkbar sind, als wolle die Kamera ein Manifest zum Andenken an Agfacolor schreiben.

Der Film ist atmosphärisch überhitzt. Sein kultureller Zitatenschatz wirkt wie ein barockes Beinhaus. "La Traviata"-Musik zu einem Caravaggio-Bild, E. A. Poes Gedicht "Der Rabe", rezitiert von John Gielgud, ein Hollywood-Hörspiel mit der Stimme von Gloria Swanson, Posen von Bildern mit dem Heiligen Sebastian, den Kreuzstationen Christi, Ingrid Caven mit einem Chanson, Bilder von Georges de la Tour und Montezumas überflüssiger Kommentar, bei diesem Maler gebe es keinen Raum. Der Schauspieler Orlando imitiert mit seinem schrägen Blick von unten nach oben den Darsteller in Pasolinis "Accattone". Da ist er wieder, der heilige Proletarier, enteignet, doch begehrenswert.

Montezuma, in Schroeter-Filmen einst Muse und Hexe, immer die Königin der Nacht, wird hier in ihrer Souveränität als Schauspielerin entmachtet. Noch strahlen ihre blauen Augen, schon ist ihre Gestalt wächsern erstarrt. Aus der Domina wird eine Madonna. Es fällt schwer, dieser Darstellung gerecht zu werden. "Der Rosenkönig" ist Magdalena Montezuma gewidmet. Es war ihr letzter Film. Sie starb wenige Wochen nach den Dreharbeiten. Im Gespräch mit Ula Stöckl sagte der Regisseur, die Zusammenarbeit mit Montezuma, mit der er von 1968 bis 1976 alle seine Filme machte, sei eigentlich eine Lebensform gewesen. "Der Rosenkönig" ist die Apotheose jener Form.

Der Schluß ist, in seiner Konsequenz, den Mythos der Rose abzubilden, fürchterlich. In der Ikonographie der christlichen Mystik, die Schroeter selbstverständlich beherrscht, weist die Rose eben nicht nur auf "die Liebe", sondern auch auf "die Wunden Christi", auf die Schale, die Christi Blut auffängt. Das Martyrium bleibt dem Geliebten des Rosenkönigs und jedem Liebhaber des "Rosenkönigs" nicht erspart. Ein Trieb der Rose wird der Blutbahn des Geliebten eingebettet. Unaufhörlich fährt das Okuliermesser des Rosenkönigs in den Leib seines schönen Gefangenen.

Die Vorstellung, im menschlichen "Beet" eine vollkommene Rose zu züchten, ist ein Wahn. Montezuma begleitet die Umnachtung ihres Sohnes, indem sie ihr Gesicht mit Teer einschwärzt, das Piano bekleckert, schließlich eine Melodie auch den schwarzen Tasten entlockt, die sie erst sorgsam mied, um dann wie Brünnhilde von Flammen umwabert Abschied zu nehmen vom verhexten Rosenhaus.

Rilkes Grabspruch schreit geradezu danach, zitiert zu werden: "Rose, oh reiner Widerspruch, Lust / Niemandes Schlaf zu sein unter soviel / Lidern." Man mag sich diesen Widerspruch gesungen vorstellen: unter so vielen Liedern. Dann hat man eine Ahnung, wie dieser Grabspruch auch ein Marterl Magdalena Montezumas wurde.

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