Nachbarinnen

Deutschland 2003/2004 Spielfilm

Ohnmacht und Kontrolle

Der Paketbotin Dora (Dagmar Manzel) ist das Eigene irgendwo zwischen dem Zustellen fremder Päckchen und der monotonen Pflege der heimischen Kakteensammlung abhanden gekommen. Seitdem ihr Mann sie verließ, hat Dora begonnen, ihre Liebe ganz der Ordnung der Dinge zu widmen. Da kann schließlich weniger schief gehen. Die Perfektion, mit der sie ihren kleinen Haushalt führt, hat etwas Beängstigendes. Ebenso wie die Anstrengungen, keine Spuren zu hinterlassen. Und so wischt Dora, während sie mit der einen Hand isst, mit der anderen schon feucht hinterher. Die 40-Jährige hat aufgehört, mit anderen länger als nötig zu reden. Oder sich vom Rausgehen mehr als einen vorübergehenden Kulissenwechsel zu versprechen. Als eines Abends ihre russische Nachbarin Jola (Grazyna Szapolowska) um Unterschlupf bittet, weil man sie als Mordverdächtige sucht und ihr die Abschiebung droht, kommt das einer Invasion gleich.

"Nachbarinnen" beschreibt die schwierige Ankunft in einem wieder vereinigten Deutschland, in dem vieles zwar – wie Doras Kakteen – an seinem alten Platz zu stehen scheint und doch nichts mehr ist wie zuvor. Ein Arbeitsplatz macht privilegiert, wenn nicht verdächtig. Beziehungen haben sich geändert. Den Rest besorgt der Alkohol. Zum Bespitzeln wird keiner gezwungen, und dennoch mangelt es nicht an indiskreten Informationen über den Anderen. Aber wenn zwei so disparate Geschöpfe wie Jola und Dora sich irgendwann in den Armen liegen, entwickelt sich "Nachbarinnen" nicht nur zu einer kleinen Allegorie über Ohnmacht und Kontrolle, sondern auch zu einer über Unverschämtheit und Mut zweier Grenzgängerinnen.

Quelle: Christian Buß, Birgit Glombitza (Red.): "Deutschland, revisited". (Katalog zur gleichnamigen Retrospektive im Kommunalen Kino Metropolis Mai - Juli 2004). Hamburg: Kinemathek Hamburg e.V., 2004

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