Liebe ist kälter als der Tod

BR Deutschland 1969 Spielfilm

Liebe ist kälter als der Tod


Günther Pflaum, film-dienst, Nr. 15, 14.04.1970

Rainer Werner Faßbinders Spielfilmdebüt (vor "Katzelmacher", FD 16511) ist eine bemerkenswerte Verbindung von amateurhaftem Dilettantismus und erfolgreichem Stilwillen, in gleichem Maße ohne Kompromisse wie ohne Fantasie. Faßbinder möchte im Zuschauer Wut erwecken auf die Gesellschaft, in der er lebt. Zur Wut der Kritiker bei der Berlinale 1969 dürfte freilich das Fehlen jeglicher Konsumqualitäten beigetragen haben.

Die Story selbst ist banal: Franz will nicht für das "Syndikat" arbeiten, mag den schwächeren Bruno, der insgeheim Aufträge des Syndikats erledigt, und will mit ihm sogar die Freundin teilen. Johanna macht da jedoch nicht mit und verrät den letzten Coup an die Polizei. Bruno wird erschossen. Faßbinder vermeidet bei der Inszenierung dieser Geschichte tunlichst die "unerhörten Begebenheiten“. "Sei vorsichtig, Bub, die foltern", warnt Franz den hinausgerufenen Bruno, der in der übernächsten Einstellung bereits mißhandelt wieder hereingetragen wird. In ähnlicher Weise elliptisch verfährt der Regisseur auch mit den Mordszenen, man sieht allenfalls ein Opfer aus der Einstellung sinken. An Stelle der Aktionen untersucht er die Zustände, die ihnen vorausgehen, Bewußtsein und Motive, die zum Verbrechen führen. Die Bilder sind von klinischer Helle, die Hintergründe demonstrativ kahl, Kamera und Darsteller bleiben sehr statisch, die vorwiegend symmetrisch aufgebauten Einstellungen dauern ungewöhnlich lang. Die Deutlichkeit, mit der Faßbinder auf die Zustände verweist, mit der er die Darsteller zur Guckkasten-Kamera hin agieren läßt, damit dem Zuschauer nur ja nichts entgeht, grenzt an Penetranz. Eine an Straub orientierte Stilisierung, die die Ereignisse bis in die Nähe der Abstraktion reduziert, bemüht sich um Emotionen und Beziehungen der Figuren untereinander; daß sie ihnen unklar bleiben, charakterisiert ihr unreflektiertes Bewußtsein, daß dies der Zuschauer durchschauen soll, ist Faßbinders Strategie.

Johanna verrät Bruno und Franz, weil Bruno der Verwirklichung ihrer bürgerlich-idyllischen Glücksvorstellungen im Wege steht. Franz stellt sich gegen das "Syndikat", weil er "frei sein" will, weil er auf eigene Rechnung arbeiten möchte, und unterschätzt die Vorteile der Solidarität; für Bruno empfindet er eine für ihn schwerlich artikulierbare, unbeholfene Zuneigung, die ihm ebenfalls bei der richtigen Einschätzung der Situation im Wege steht. Bruno arbeitet für das Syndikat und bringt Franz immer mehr in Konflikt mit dem Gesetz. Die Protagonisten, deren Milieu nur am Rande interessiert (Franz ist vorbestraft, Bruno kommt aus einer Kleinstadt), sind, solange sich ihr Bewußtsein nicht ändert, von vornherein die Verlierer zwischen den Fronten Syndikat und Polizei. Zudem spielen sie mehr Gangster, als sie es wirklich sind. Bruno (Uli Lommel) mimt krampfhaft à la Delon, Franz bleibt in jeder Phase Faßbinder, die Attrappe einer Maschinenpistole genügt ihnen an Stelle einer echten. Da sind dann keine großen Aktionen mehr möglich, selbst der Dialog der Helden verläuft ruhig, fast müde. Bezeichnenderweise findet zuletzt auch der geplante Bankraub nicht statt. Der Wert dieses Anti-Action-Films des Anti- (vormals Action-) Theaters hängt letztlich von der Bereitwilligkeit des Zuschauers ab, das Bewußtsein der Filmhelden und sein eigenes kritisch zu überprüfen.

Rechtsstatus