Dagfin

Deutschland 1926 Spielfilm

Dagfin


H. W–g. (= Hans Wollenberg), Lichtbild-Bühne, Nr. 303, 21.12.1926


Werner Scheff gehört zu unseren populärsten Unterhaltungs-Romanciers. Seine Romane sind stets handfest auf Spannung, auf packende Wirkungen gestellt, mit einem sicheren Blick für Milieu und Zeitströmungen geschrieben; seine Menschen sind mit gewandtem Griffe gezeichnete Charaktere ohne große Komplikationen. Ein Romancier für den Film. Daß Joe May für seinen Film Scheffs "Dagfin" gewählt hat, beweist erneut seinen richtigen Instinkt. Daß er das Manuskript mit Adolf Lantz, Jane Beß und Szekely schrieb, beweist ferner, daß er einen soliden publikums-wirksamen Reißer schaffen wollte. Diesem Reißer durch seine Kunst eine besondere, eine edlere Note gegeben zu haben, ist ein Verdienst, das sich bei einem der größten Regisseure unserer Zeit von selbst versteht. (...)

Das ist ein Film, der die Nerven packt, der voll geladen ist mit Spannung, der packende Schicksale mit fesselnder, einbohrender Beredsamkeit erzählt. Vom starken Effekt bis zum feinsten Valeur hat May nichts ausgelassen, um den Zuschauer in den Bann seines Films zu zwingen, der ebensowenig ein Werk für den Snob und den Literaten wie für das berühmte "Lehmanns Lieschen", sondern eben ein Film für alle, für ein Weltpublikum ist. Wie Joe May eine Handlung zu steigern, Charaktere zu kontrastieren, Lebenskurven hin- und herzuführen, Natur und Umwelt zu beleben und Atmosphärisches zu schaffen weiß, stellt seine überragende Könnerschaft wieder einmal unter Beweis. Eine Liebesszene in verschneiter Gipfelwelt, die Nervosität in einer Hotelhalle, ein Attentat im Vorgarten einer Villa, die Gewitternacht über einem Gebirgssee (bei der man selbst den Regen auf seiner Haut zu fühlen glaubt) – das und vieles andere macht ihm in dieser vollkommen überzeugenden Echtheit so leicht niemand nach. Und doch liegt die stärkste Seite seiner Regie im rein Darstellerischen. Um die Gestalten seines Films weiß er eine Aura zu schaffen, und innere Konflikte wie magnetische Strömungen aus den photographierten Schemen in das Auge und die Nerven des Zuschauers zu leiten. Wenn diese seelisch miteinander ringenden Menschen einander gegenüberstehen, so spürt man Liebe, Begehren, Eifersucht, Haß, Enttäuschung und Versagen, Nerven und Pulsschlag.

Die überragende darstellerische Konzeption dieses Films ist Paul Wegeners Türke. Wo er erscheint, füllt er die Leinwand und überschattet alles andere. Man darf es begrüßen, daß May in Paul Wegeners Persönlichkeit eines der stärksten künstlerischen Aktiven des deutschen Films nach langer Zeit wieder mobilisiert hat. Wieder geht hier von ihm jenes packende Fluidum aus, wie in seinem "Golem". Mit den denkbar sparsamsten Mitteln, mit einer fast asketischen darstellerischen Ökonomie gestaltet er einen Menschen, der sich seltsam aus brutalem asiatischem Herrentum und tiefinnerlichster Tragik mischt. Mit dieser Figur in erster Linie bekommt der Film seinen psychologisch interessanten Einschlag, seine besondere geistige Note: – Auch Paul Richter, der Dagfin und nordisch-europäische Gegenspieler des Türken, ist unter Joe Mays Regie über sein sonstiges Format hinausgewachsen, und es gibt Momente, in denen er das Letzte und Feinste, was stummes Spiel zu geben vermag, dem Auge vermittelt. – Daß es ein hoher Genuß ist, eine so schöne Frau, wie Marcella Albani (als Lydia) in der Hand eines solchen Regisseurs spielen zu sehen, versteht sich, auch wenn ihr das Letzte an seelischen Wirkungen versagt bleibt. (...)

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