Endstation Freiheit

BR Deutschland 1980 Spielfilm

Literatur & Verbrechen

Reinhard Hauffs Film "Endstation Freiheit"

Winfried Günther, Frankfurter Rundschau, 04.11.1980

Vor ein paar Jahren bin ich durchaus noch erwartungsvoll ins Kino gegangen, wenn es einen neuen Film von Reinhard Hauff zu sehen gab. Seit "Mathias Kneissl" (1971) stand der Name dieses Regisseurs, abgesehen von zwei mißratenen Arbeiten ("Haus am Meer", "Desaster"), für ein ebenso kritisch-engagiertes wie physisch-direktes Kino, bei welchem Aussage-Gehalte nicht abgelöst von konkreter Beschreibung vermittelt wurden. Es ist nicht ganz einfach, aus der Erinnerung den spezifischen Stil dieser Filme zu umreißen. Er entstand wohl vor allem aus dem Gestus einer scheinbar teilnahmslosen, aber präzisen und geduldigen Beobachtung, welche ein echtes Sich-Einlassen auf Darsteller und Situationen beinhaltete; diese fielen in ihrem Eigengewicht nicht einer glatten Oberfläche oder dramaturgischen Routine, auch nicht einer aufgeblasenen Bedeutungshaftigkeit zum Opfer. Retrospektiv scheinen mir diese Filme aus vergleichsweise wenigen Einstellungen bestanden zu haben, die Schnitte waren oft wirkliche Zäsuren, und es kam ein weitgehend unpsychologischer Erzählduktus zustande, eine eigentümlich starre, insistierende Optik, welche immer wieder dichte, lakonische, geradezu trotzige Momentaufnahmen voller authentischer Atmosphäre ermöglichte.

Seit dem "Hauptdarsteller", Hauffs erstem primär fürs Kino gedrehten Film, ist es mit diesen Tugenden – welche ich jetzt vielleicht etwas idealisiert habe, aber ich sehe da doch einen deutlichen Bruch in der Entwicklung – leider vorbei. Die zunehmende Ambition nach "richtigem Kino", was immer das sein mag, und die gleichzeitige Unfähigkeit dazu verändern auch Ausdruckshaltung und Stil der Filme; diese sollen jetzt "wie Kinofilme" aussehen, wenn sie es denn schon nicht sind – das vorgeblich Kinohafte ist bei fast allen neudeutschen Filmen, die danach streben, nur eine Art Styling. Dies bedeutet im Falle von Hauff, daß das, was im traditionellen Sinne mise en scène heißt, in seinen Filmen stärker hervortritt, womit das Maß an Glätte und eingeschliffenen Formen beim Umgang mit Wirklichkeitspartikeln, aber zugleich auch das an inszenatorischen Unbeholfenheiten zugenommen hat.

Momente von Widerstand und Störrigkeit, sich querstellende Teilstücke werden dadurch eingeebnet, domestiziert. Schockeffekte etwa, wie sie zu früheren Hauff-Filmen meist gehörten, gibt es auch in "Endstation Freiheit", aber sie erscheinen wie Kalkül, die noch spürbare Authentizität solcher Einfälle wird von der bloß spekulativen Präsentation zugedeckt. Und es ist eben eine Spekulation, die keine Risiken eingeht. Ein paar typische Figuren und Situationen werden versammelt: die gutsituierte Bürgersfrau, die nach vulgärerer sexueller Abwechslung sucht, ihr schwächlicher, natürlich Klavier spielender Ehemann, der aalglatte Verlagsmensch, das liebe Mädchen, das eine gesicherte, aber auf die Dauer langweilige Bleibe bietet, das Stricher- und Zockermilieu, die literarische Party mit Dichterlesung, die Talk-Show, die Industriellenentführung, aber das alles wird von Hauff kaum in seiner je spezifischen Realität erfaßt und ernst genommen, sondern er inszeniert vor allem Karikaturen oder auf Repräsentation und Bedeutsamkeit getrimmte Schemen. Burkhard Driest und Rolf Zacher dürfen nur die "typischen" Darsteller "typischer" Knackis sein, Kurt Raab läuft nur als üble Charge durch die Wohnung.

Driest schrieb das Drehbuch zu "Endstation Freiheit" – es ist seine vierte Zusammenarbeit mit Hauff – und spielt die Hauptrolle, den entlassenen Zuchthäusler Nik Dellmann, welcher sich als Schriftsteller versucht, um auf diese Weise seine Erfahrungen zu verarbeiten. Vielleicht standen ihm diese Figur und der Stoff zu nahe, jedenfalls gewinnt der Film kein Verhältnis zu ihr. Dellmann bewegt sich mit antibürgerlichem Habitus im Kulturbetrieb und ist doch nur zu deutlich ein Teil der erbärmlichen literarischen Szene, die der Film entwirft; widerstandslos nimmt er etwa die Änderung seines Romans durch den Verlag hin. Den zu hörenden Kostproben aus diesem Roman nach ist er jedenfalls kein Genet, nicht einmal ein Wolfgang Graetz; in der Terminologie von Max Oellers wäre er vielleicht als "Unterschriftstellerdarsteller" zu bezeichnen. Es mag sein, daß Hauff und Driest genau diese Ambivalenz der Figur auch vermitteln wollten, dann ist ihnen das jedoch danebengegangen; dazu ist die kraftmeiernde Selbststilisierung zu groß und der konstruierte Zusammenhang von real geplantem Verbrechen und dessen ersatzweiser fiktionaler Bewältigung zu flach. Auf der Literaturparty schmeißt Dellmann einmal die Arme hoch und brüllt "Ruhe!", schweigt dann aber wieder und geht raus; über einen derart unartikulierten Affekt gelangt auch Hauffs Film selber nicht hinaus.

Zwar sieht "Endstation Freiheit" nicht unbedingt nach einem Produkt unserer Gremienkultur aus, aber letzten Endes bleibt er ein braver Verstehfilm, dessen Bilder kein eigenes Leben entfalten, sich nicht der Realität entgegenstellen. Es gibt ein paar aufregend ausgedachte, Milieukenntnis verratende Szenen, doch wie onkelhaft-betulich und zugleich wichtigtuerisch sind sie gefilmt, auf kurzatmige Effekte mit aufgesteckten kritischen Lichtern heruntergebracht. Die Entführungsszenen in den S-Bahn-Anlagen haben, gemessen an den Möglichkeiten dieser Konstellation und Lokalitäten, eine erstaunlich geringe sinnliche Präsenz. Das liegt einmal daran, daß Hauff die Betonwände und Mauern der Tiefgaragen, Kanäle und Bahnstationen zu Hinweiszeichen auf ein Eingesperrtsein an sich verdünnt, weil er keinen zusammenhängenden Raumeindruck zu vermitteln imstande ist. Zum anderen fehlt dem Film hier wie auch sonst eine konsistente Zeitstruktur. Man kann sich kaum vorstellen, über welche Spanne sich die gezeigten Vorgänge insgesamt erstrecken, und wenn doch, dann wird es sogleich absurd. Dellmanns Buch etwa wird mit einer Geschwindigkeit produziert, als gelte es, eine Woche nach Schluß der Olympiade den Bildband dazu auf dem Markt zu haben. Gleichzeitig mit dem Vertrag (!) und dem Scheck präsentiert der Verlag dem angehenden Schriftsteller auch schon den Umschlagentwurf und die Druckfahnen des Buches. Ein Blick von wenigen Sekunden auf die Fahnen genügt Dellmann übrigens, um festzustellen, daß der Schluß gegenüber seinem Manuskript inhaltlich verändert wurde. Bei der Entführung ist das Buch auch schon auf dem Markt. Und die ganzen Wochen und Monate läuft Dellmanns Kumpan Henry mit einer gefährlichen, blutenden Schußwunde am Fuß herum!

"Endstation Freiheit" stellt letztlich nur konventionelle Klischees vom bürgerlichen Leben und Brutalo-Klischees aus der Unterwelt ganz platt einander gegenüber. Selbst mittlere französische Gangsterfilme – etwa von Giovanni, Enrico, sogar von Molinaro ("Le Gang des otages") – sind ihm in der Zeichnung und Vermittlung der beiden Milieus sowie der dramaturgischen Durchführung überlegen. Neudeutsche Filme haben allerdings eine wirkliche Meisterschaft darin entwickelt, ihre Unbeholfenheit und Ungenauigkeit gerade als künstlerische Leistung oder realistische Sichtweise auszugeben, und dabei macht Hauffs Film keine Ausnahme.

© Winfried Günther

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