Die Sieger

Deutschland 1993/1994 Spielfilm

Verstörte Helden der inneren Sicherheit

Wo der "Tatort" aufhört und das Kino beginnt: "Die Sieger", Dominik Grafs Film über ein Sondereinsatzkommando


Peter Körte, Frankfurter Rundschau, 22.09.1994

Es ist das Reich, wo alles wie die Faust auf Auge passt: Die Tiffany-Lampe bringt den Großbürger zu sich wie der Seidenschal den Liebhaber der in Hahnentritt kostümierten Gattin markiert. In der Unordnung der Wohnküche nimmt der hemdsärmelige Prolet neben der Bierflasche soziale Haltung an, und die Büroeinrichtung erzeugt den "Tatort"-Effekt wie das Treppenhaus das Wesen der Lindenstraße stiftet. Vielleicht sollten sich Inneneinrichter überlegen, ihre Produkte nach Fernsehserien zu benennen und ihre Kataloge mit Serienhelden zu bevölkern. Denn zweidimensional wie die Prospekte ist auch die soziale Typenlehre der Fernsehserie: ein ontologischer Fertigbausatz aus deutschen Landen, frisch auf den furnierten Eichentisch. Mit Realismus hat das ungefähr so viel zu tun wie der Picasso-Druck an der Wohnzimmerwand.

Wie Blei lastet dieses Apriori des deutschen Fernsehens längst auf den Hirnen der Lebenden. Es hat nicht nur die Sehgewohnheiten der Konsumenten dressiert, sondern auch die Phantasie der Kinoproduzenten kastriert, denen von jeder Leinwand nur ein TV-Bild entgegengrinst. Damit dieses Apriori für zwei Stunden in Scherben zerfällt, musste wohl einer kommen, der das Fernsehen als Arbeitsplatz kennt und sich am Kleinbildformat ebenso reibt wie er aus dieser Reibung Energie erzeugt; ein Profi und Perfektionist, der seine TV-Erfahrung nutzt und sich dabei nicht abmüht, den germanisierten Verschnitt eines amerikanischen Cop-Films herzustellen.

Dominik Graf, der zuletzt Beziehungsreigen ("Spieler") ebenso wie diverse Folgen von "Der Fahnder" inszenierte, hat sieben Jahre nach "Die Katze" den Film gedreht, den man schon länger von ihm erhofft hatte. In "Die Sieger" verschränkt sich der spröde Realismus der Interieurs mit der Präzision des Plots und die bisweilen dokumentarisch aufgerauhte Kamera mit den großen Gesten des Kinos und seinen optischen Effekten. Und was in "Tiger ,Löwe, Panther" so faszinierte, die Gleichwertigkeit nicht nur der Rollen, sondern auch der Schauspieler, begegnet einem in "Die Sieger" wieder: Zentrale Parts wie Nebenrollen sind fast durchgängig so besetzt, daß keiner mehr zeigen muß, als er kann, und manche mehr zeigen können, als man ihnen zutraute.

Ein Gesicht, wie das von Herbert Knaup war bislang kaum im Kino zu sehen, nur auf der Bühne. In seiner Physiognomie irgendwo zwischen jung und alt, mit den Geheimratsecken und dem bisweilen jugendhaft-ungläubigen Blick, spiegelt sich zugleich die Zerrissenheit der Figur, des Polizeihauptmeisters Simon. Daß Simon Mitglied eines Sondereinsatzkommandos (SEK), sich selbst sucht und kaum zu sich findet, davon erzählen die Nuancen in Knaups Körpersprache mehr als aller Dialog. Doch Knaup ist auch ein Teamspieler, neben Hansa Czypionka, Heinz Hönig und anderen, einer, dem man durch die Story folgt, ohne daß er zur Identifikationsfigur würde. Graf benutzt ihn wie eine Sonde, die er in ein fremdes Milieu einführt, als ein Exempel dafür, wie der Job einen zum sozialen Grenzgänger auf Zeit macht: zwischen den Raten fürs Reihenhaus, den intimen Kontakten mit den Stützen der Gesellschaft und den Omnipotenzphantasien im Sondereinsatz.

SEK-Beamte, die sich ab und an auf Kosten des Steuerzahlers wie drehzahlbegrenzte Rambos aufführen dürfen, während daheim die Ehen kriseln und Identitäten ins Schlingern geraten, sind der Stoff, aus dem man Kinofilme macht. Graf und sein Autor Günter Schütter entwickeln diese Helden der inneren Sicherheit über den Kontrast der Schauplätze und der Handlungen: Action is character in "Die Sieger", und die Dialoge haben eine Funktionalität und Knappheit, daß sie selbst Teil der Action werden, anstatt sie durch endlose Erklärungen zu lähmen.

Diese Komplexität durch Verdichtung steckt auch in den Windungen des Plots, dessen detaillierte Nacherzählung nur den Eindruck einer hybriden Konstruktion hinterließe. Simon will bei einem Routineeinsatz einen totgeglaubten Kollegen erkannt haben, und seine Gruppe gerät daraufhin in ein Szenario aus V-Leuten, geschmierten Politikern, Geiselnahme und Verrat. Doch die Binnenprobleme der Gruppe, die Grauzonen und unscharfen Grenzen ihrer Arbeit, die Konflikte ihres Privatlebens, all das wird unentwirrbar miteinander verknotet, ohne deshalb verworren zu sein. Die Szenen greifen so nahtlos ineinander, wie sich die Details der Ausstattung (Götz Weidner) in den Bildern von Diethard Prengel zur Prägnanz entfalten: die langen Brennweiten, die die Köpfe aus zur Monochromie verwaschenen Hintergründen herausmeißeln, die dosierten Stilisierungen durch Filter und Licht, die plötzliche Tiefenschärfe, die beim Verhör noch die nackten Heizungsrippen und die triste Wandfarbe im Hintergrund erkennbar macht. Es ist nüchterner Polizeialltag, sorgfältig recherchiert, ohne Verklärung konzentriert in fast beiläufigen Episoden, die von male bonding erzählen, ohne es mit den höheren Weihen der Männerfreundschaft auszustatten.

Dominik Graf kommt in "Die Sieger" dem nahe, wovon er schon länger gesprochen hat: einem Stoff seine definitive Gestalt zu geben, eine Geschichte mit einer Kälte umzusetzen, die Abläufe und Mechanismen seziert, indem sie sie in Funktion zeigt, die die familiären Verwicklungen nicht zu Identifikationszwecken ausbeutet, sondern zu einer Facette der Figuren macht. Dieser analytisch-realistische Blick erlaubt auch eine Inszenierung von Räumen, die sie zu mehr als Dekor und attraktiver Kulisse macht. Wie der Film etwa einen Großeinsatz am Düsseldorfer Rheinstadion choreographiert, wie er in der verwirrenden Topograhie eine pointierte Skizze der unübersichtlichen Frontverläufe und Loyalität entwirft, das war im deutschen Kino lange nicht zu sehen.

Diese spektakulären und aufwendigen Sequenzen sind so schlüssig eingepasst wie die scheinbar unerheblichen Details, von den mit schneller Hand gemalten schwarzen Kreuzen auf den Spinden bis zu den Sexszenen, die Graf nicht brav-linear abfilmt, sondern aus einzelnen Momenten gegen die Chronologie montiert. Auf diese Weise lösen sich immer wieder Sequenzen aus dem kühl-registrierenden Beobachterblick und rücken in den Wahrnehmungsbereich der Figuren. Aus dieser Dialektik von Nähe und Distanz entsteht die Dramatik von "Die Sieger": eine rasante Entfaltung von Widersprüchen. Die Panoramen der abendlichen Rheinauen oder des nächtlichen Düsseldorf gegen den ernüchternden Rückzug der Kamera in die Totalansicht einer Reihenhaussiedlung, die scheinbare Weite gegen die Stickigkeit und Enge, das ist die zwingende Visualisierung der Atmosphäre, in der der Film sich bewegt.

Graf bricht zudem hartnäckig die Erwartungen und Stereotypen auf, die man mit Gesichtern und Situationen verbindet. Die Politikergattin (Katja Flint) verströmt nicht die TV-übliche Karikatur von Dekadenz, wenn sie sich mit Simon einlässt. Ein Hauch von verzweifelter Leidenschaft liegt in dieser Begegnung, im Aufprall zweier fremder Milieus. Nicht für die Auflösung solcher Konfrontationen jedoch, sondern für die Folgen ihrer Zuspitzung interessiert sich Graf. Diese Einstellung gibt auch dem spektakulären Finale seine Struktur. Ohne an Geradlinigkeit und Spannung einzubüßen, zeigt es die Geld- und Geiselübergabe als auf die Spitze getriebene Inszenierung. Die Routine des V-Manns, sein Spiel mit dem Feuer, Leuchtbomben und Licht – sie sind zweckmäßig, situationsgerecht und wirken zugleich wie Special Effects einer Freilichtaufführung am Karwendel. Der Showdown ist ein einstudiertes Ritual, dessen Regeln die Beteiligten nutzen, ohne je über sie zu verfügen. "Die Sieger", das zeigt sich nicht erst am Ende, sind nur Überlebende.

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