Lost Killers

Dito Tsintsadzes ungewöhnlicher Blick auf Europa



Wolfgang J. Ruf, epd Film, Nr. 5, 27.04.2001


Wieder und wieder scheitern Branko aus Kroatien und Merab der Georgier bei dem Versuch, das große Geld zu machen. In Mannheim sollen sie einen russischen Geschäftsmann beseitigen, doch als Auftragskiller sind sie eine Lachnummer. Zwar verkehrt ihr Opfer regelmässig im selben Café, auch seine Unterkunft ist ihnen bekannt. Doch entweder verbarrikadiert sich Merab im entscheidenden Augenblick mit flatternden Nerven in der nächstbesten Toilette oder Branko irrt sich im Hotelzimmer, worauf die beiden bei einem ausgedehnten Zechgelage erst wieder neuen Mut schöpfen müssen. Wenn dann Brankos Freundin, die Gelegenheitsprostituierte Maria, aufkreuzt, um ihren sexuellen Tribut einzufordern, und seine dahinsiechende Mutter, angelockt von Merabs georgischen Trinksprüchen, vom Sterbelager aufersteht, schwindet der Anschein endgültig, "Lost Killers" ginge es vor allem um die sozialkritische Beschreibung der Nöte illegaler Einwanderer.

Die bizarre Fabulierlust von Dito Tsintsadze, dem georgischen Autor und Regisseur, hat sich längst nicht erschöpft. Auch die Vietnamesin Lan, die auf den Strich geht, um die teure Sanierung ihres maroden Gebisses zu finanzieren, und der schwarze haitianische Kampfsportler Carlos sind auf der Suche nach dem Glück in der schäbigen Peripherie Mannheims gelandet, zwischen Rotlichtbezirk und Güterbahnhof. Carlos schlägt sich als Straßenmusiker durch und hat Australien als neues Traumziel ausgemacht. Um dort mit Lan ein neues Leben zu beginnen, will er eine seiner Nieren verkaufen. Dito Tsintsadze verbindet die beiden Geschichten höchst effektvoll mit immer tolleren Wendungen und schrilleren Komplikationen. In einer bedrückend schäbigen und auch feindlichen Umgebung, dem Gegenbild aller Immigranten-Träume von Europa, wird ein Feuerwerk makabrer Gags gezündet; doch ist die grelle Komik stets auch melancholisch konturiert.

Der Filmtitel führt ein wenig in die Irre: Branko, Merab, Carlos, Lan und Maria sind - bei all ihrer Gleichgültigkeit gegenüber Gesetzen und sozialen Normen – weniger lost killers denn natural born losers. Und trotz so vieler komischen Einlagen ist "Lost Killers" keine jener augenzwinkernden Ganovenkomödien à la "Diebe haben"s schwer" oder "Crackers" – und schon gar nicht eine harmlose Multikulti-Komödie. "An der Grenze", Tsintsadzes erster Spielfilm, 1993 in Locarno ausgezeichnet, beeindruckte vor dem Hintergrund des georgischen Bürgerkriegs mit der gekonnten Verbindung psychologischer Genauigkeit und absurder Zuspitzung. Auch "Lost Killers", sein zweiter, erst durch deutsche Finanzierung und Förderung möglich geworden, letztes Jahr auf einer Reihe von Festivals erfolgreich gezeigt und in Cottbus mit dem Hauptpreis gewürdigt, zeigt Menschen, die sich zugleich in der persönlichen Krise und in einer gesellschaftlichen Grenzsituation befinden. Und wie in Tsintsadzes Erstling gibt es auch hier die Spannung zwischen der Tendenz zur ausgezirkelten Parabel und der unverwechselbaren, psychologisch scharf ziselierten Individualität der Hauptfiguren.

Mannheim steht natürlich für irgendeinen Ort im reichen Westeuropa, seine Vorstadtwüstenei wird als Seelenspiegel genutzt wie einst die Peripherie Mailands bei Antonioni. Die Einheimischen, ob zynische Zuhälter, gesichtslose Freier, unsichtbar bleibende Organhändler oder schimpfende Passanten, sind anonym und austauschbar. Die Unmöglichkeit, die abweisende Fremdheit dieser Welt zu überwinden, wird besonders eindringlich offenbar, als Branko und Merab im falschen Hotelzimmer unvermittelt einer reglos verharrenden Familie gegenüberstehen – und beide Seiten sich verständnislos anstarren. Diese leise, geradezu unwirklich anmutende Szene verdeutlicht Tsintsadzes Blick auf unsere Wirklichkeit sogar klarer als manch krude Naturalismen.

Aber seinen Helden von der traurigen Gestalt erlaubt dieser Film selbst noch im finstersten Elend ein Lachen und in der schlimmsten Erniedrigung die Würde des aufrechten Gangs. Und die formidablen Schauspieler nutzen diese Chance zu faszinierend authentischer Menschendarstellung. So wird nicht nur der jeder Parabel eignende Hang zu Abstraktion und Verallgemeinerung gekontert, sondern vor allem den Bildern völliger Trostlosigkeit immer wieder ein zwar mitunter auch naiver, doch stets unerschütterlicher Überlebenswille gegenübergestellt. Dass dessen vitale Verkörperungen so unmittelbar aus der dionysischen Lust am komödiantischen Spiel erwachsen, verleiht "Lost Killers" seine besondere Kraft und auch seine menschliche Wärme.

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