Zwillinge oder Nimm dir ein Beispiel an Evelin

DDR 1979 TV-Spielfilm

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Heinz17herne
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Krach im Hause Jäger: Sylvia (Irina Schackow) hat ein Milchkännchen fallen gelassen. Und sowas ist in der DDR außerhalb der Hauptstadt nur schwer zu ersetzen. Papa Roland (Günter Schubert) will es bei Gelegenheit dennoch versuchen. Der Industriearbeiter ist weitaus nachsichtiger mit seiner kurz vor ihrem elften Geburtstag stehenden Tochter als seine Gattin Heidi (Walfriede Schmitt): „Nimm dir ein Beispiel an Evelin!“ ist ein täglich mehrfach fallender Standardsatz. Gemeint ist Sylvias Zwillingsschwester (Kathrin Mann), die als Klassenbeste nicht nur in der Schule reüssiert, sondern auch beinahe rund um die Uhr ihrer ebenfalls voll berufstätigen Mutter zur Seite steht.

Naturgemäß fruchten die Erziehungsversuche der gleichaltrigen Schwester bei der verträumten Sylvia nicht wirklich: Bonbons verkleben weiterhin Schulheftseiten, Zähne werden morgens statt abends geputzt, wobei Papa anschließend stets den voll eingesauten Spiegel im Bad säubern muss, und schon beim Frühstück schaut Sylvia lieber in ein spannendes Buch statt Evelin beim Schmieren und Einpacken der Schulbrote zu helfen. Sylvia hat eine blühende Phantasie, welche ihr oft im Wege steht: Sie hat Angst im Straßenverkehr und besonders davor, unter die Räder der Straßenbahn zu kommen, fürchtet sich vor der Mathearbeit – und an diesem Morgen sogar von der Schulzahnärztin (Hannelore Schubert), die nur eine Unbedenklichkeitsbescheinigung fürs Ferienlager ausstellen will.

Papa Roland ist untröstlich, dass er den elften Geburtstag nicht mit seinen Liebsten feiern kann: Er hat überraschend einen Kurplatz im böhmischen Karlovy Vary (Karlsbad) bekommen. Nachdem ihn seine „drei Frauen“ zur Bahn gebracht haben, beschwört Mutter Heidi einen familiären Quantensprung: „Evi“, soeben in den Gruppenrat der Jungen Pioniere gewählt, soll nicht mehr länger Kindermädchen für ihre Schwester spielen, obwohl sie, so die Mutter, alles viel besser weiß und kann. „Sylvi“ soll im Gegenzug endlich selbständig werden – und erhält einen eigenen Wohnungsschlüssel. Worüber das sensible Mädchen mächtig stolz ist. Aber auch unsicher, ob sie die neuen Anforderungen erfüllen kann.

Nur eines weiß sie genau: Sie kann ebenso wenig singen wie ihre Schwester. Was die neue, junge Musiklehrerin Marlies Schmücke (Gabriele Streichhahn) schon deshalb nicht einsehen kann, da Sylvia im Zeugnis stehts eine „Eins“ im Fach Musik gehabt hat. Der Verdacht, dass sie absichtlich falsch singt, um ihre Schwester nicht zu übertrumpfen, kommt der Lehrerin, als sie an anderer Stelle Sylvias rasche Auffassungsgabe und ihr großes künstlerisches Potential entdeckt. Für das bevorstehende Konzert des Schülerorchesters gibt es nur eine aus der Bücherei geliehene Partitur. Da es – im übrigen bis zur deutschen Wiedervereinigung! – aus Misstrauen gegen die Arbeiter und Bauern keine Kopier- oder andere Vervielfältigungsgeräte gab, mussten handgefertigte Kopien der Noten her. Sylvia bietet sich für diese verantwortungsvolle Sisyphusarbeit an – und ist überglücklich, dass ihr Marlies Schmücke das Vertrauen schenkt.

Sogar den großen Kindergeburtstag kann Sylvia im Kreis von Freunden an der Seite ihrer Schwester erst genießen, als das Notenkopieren abgeschlossen ist. Am Konzerttag aber vergisst die totunglückliche Sylvia angeblich das Material: weil die Tuschflasche umgefallen ist, verunstaltet ein Tintenklecks die Partitur. Die Lehrerin nimmt alles auf sich – und ist entschlossen, die offenbar psychisch bedingte Sperre ihrer so schwierigen, aber unzweifelhaft talentiertesten Schülerin zu durchbrechen. Marlies Schmücke, die noch bei ihrer Mutter (Waltraud Klawitter) wohnt, lässt dafür selbst Verabredungen mit ihrem Freund, dem Pianisten Gunter (Roman Kaminski) platzen. Der aber zeigt großes Verständnis – und ist mit seinem Können, das er auf öffentlichen Konzerten beweist, zu denen Sylvia mit Begeisterung geht, ein großer Ansporn.

Was ihre auch beruflich stark geforderte Mutter, ihr von Dr. Malzahn (Burkhard Plettau) geleitetes Kollektiv ist gerade ausgezeichnet worden, nicht schafft, gelingt der beharrlichen jungen Lehrerin: Sylvia beginnt an sich zu glauben, arbeitet sich nicht an Schwachstellen ab, sondern besinnt sich auf die eigenen Stärken – und gibt eine umjubelte Sologesangseinlage vor versammelter Lehrer- und Elternschaft. Was sogleich Evelins Eifersucht hervorruft: Mutter Heidi ist sogleich stolz auf „ihr“ Kind. Und beauftragt Sylvia mit einer nicht ganz einfachen Mission: Sie soll ihr in der Schneiderei geändertes Kleid aus dem Kaufhaus abholen. Alles klappt vorzüglich – bis Sylvia den Karton in der Straßenbahn liegen lässt, nachdem sie einer Mutter mit Kinderwagen beim Aussteigen geholfen hat. Das zu Tode erschrockene Kind traut sich nicht nach Hause…

Der nur 72-minütige Film des Fernsehens der DDR (PL Peter Mübert) nach dem Hörspiel „Zwillinge“ von Gisela Richter-Rostalski bietet eine Fülle von Themen rund um die Kindererziehung ohne erhobenen pädagogischen Zeigefinger. Die Geschichte wie die handelnden Personen sind aus dem Leben gegriffen, auch wenn man Mutter Heidi bisweilen kräftig schütteln möchte ob ihrer blinden Voreingenommenheit. Zum guten Schluss ist die vierköpfige Familie wieder glücklich vereint und die Hoffnung besteht, dass nicht nur Heide Jäger ihre Lektion gelernt hat, sondern dass auch beide Zwillingsschwestern von Eifersüchteleien befreit liebevoller miteinander umgehen.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Bild/Ton:
Mono
Aufführung:

Uraufführung (DD): 23.12.1979, DDR-TV

Titel

  • Originaltitel (DD) Zwillinge oder Nimm dir ein Beispiel an Evelin

Fassungen

Original

Bild/Ton:
Mono
Aufführung:

Uraufführung (DD): 23.12.1979, DDR-TV