Summer in the City. (Dedicated to the Kinks)

BR Deutschland 1969-1971 Spielfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Christian wartet vor dem Gefängnis München-Stadelheim. Liest die Münchner Abendzeitung, kleine Verbeugung des Regisseurs an die populäre Kritikerin Ponkie alias Ilse Kümpfel-Schliekmann, und hört im Autoradio American Forces Network: „Aventures in good Musik“. Was nicht zu viel versprochen ist: der AFN sendete damals zumindest für den Süden (München) und den Osten (Berlin) der Bundesrepublik die beste Musik, Luxemburg und die Piratensender waren zu weit weg.

„Jonas will dich sehen“: Er holt Hanns ab, der mit der alten Geschichte aber nichts mehr zu tun haben will. Hanns hat seine Strafe abgesessen, niemanden verpfiffen und weiß auch nicht, wo das Geld geblieben ist. Es ist ein nasskalter Wintertag und Christian muss erst ‘mal am Kiosk halten: Zigaretten-Nachschub. Dann geht’s in eine Kneipe – mit Dortmunder Union-Bier aus dem Zapfhahn! Das Groschen-Telefon steht auf dem Tresen und beim Flippern kommt Gene Vincents „Be-Bop-A-Lula“ aus der Jukebox.

Als ein Ami-Schlitten vorfährt, dem zwei Gangster entsteigen, weiß Hanns, dass er verfolgt wird. Und trifft sich mit Helmut Färber (der SZ-Kritiker und HFF-Dozent spielt sich selbst), der ihm erst John Fords Klassiker „Three Goodfathers“ von 1948 mit John Wayne nacherzählt, um ihm dann einen Kinobesuch zu empfehlen: Jean-Luc Godards „Alphaville“ von 1965 läuft gerade wieder in München. Anschließend geht’s zum rund um die Uhr geöffneten „Automatischen Lebensmittel Markt“, bevor Hanns in ein Taxi steigt und sich für 20 Mark die Landsberger Straße entlang kutschieren lässt.

Es hat sich einiges getan in der Isar-Metropole, für Leinwand-Fans wie ihn allerdings nichts Gutes: das Augusta-Kino hat ebenso seine Pforten schließen müssen wie das Kristall und die Filmburg. Weiß der Taxichauffeur. Aus einer Telefonzelle ruft er bei Edda an, ob er ein paar Tage bei ihr wohnen kann. Kurze Zeit später hocken beide stumm vor einem kleinen Portable-TV. Während Hanns sich einem Krimi zuwendet, legt seine Gastgeberin Platten auf – Kinks und Troggs. Am anderen Morgen ist er nach einem warnenden Anruf von Jonas entschlossen, seinen Verfolgern nach Berlin zu entkommen und erzählt Edda vom Abriss eines fünfstöckigen Hauses am Kudamm/Ecke Bleibtreustraße.

Sie ruft Christian an, damit dieser Hanns zum „Zentralflughafen“ fährt, wo sie schon ein PanAm-Ticket nach Berlin gebucht hat. Auf dem Weg dorthin schüttelt Christian den dicken Chevi der Gangster mit einem Bauerntrick ab. Der nächtlichen Münchner folgt die Berliner Taxifahrt mit winterlichen Bildern aus dem Fahrzeug heraus: Metropol-Theater am Nollendorfplatz, eine Amoco-Tankstelle. Nicht die Neonreklamen der Geschäfte, sondern allein die illuminierten Schaukästen weisen auf den Kurfürstendamm hin.

Und dann sitzt Hanns in Lipgarts weißer Designer-Bude einer Frau gegenüber, die mit bayerischem Akzent über das Krematorium eines Berliner Waldfriedhofs spricht. Natürlich legt sie nur US-Scheiben auf den Plattenteller – und auf dem Bildschirm erscheinen die Kinks mit „Thank You fort he Days“. Mit der S-Bahn durch eine deutlich schneereichere Landschaft als in München geht es zu Marie, die ihn auf sein Jahr hinter Gittern anspricht. Sie liest gerade „Der Kulterer“, eine 1962 herausgekommene Gefängnis-Geschichte von Thomas Bernhard. Die er, so Hanns, gerne vor seinem Stadelheim-Aufenthalt gekannt hätte.

Zurück bei Lipgart wird telefonisch das Kinoprogramm abgefragt, während im Hintergrund die Troggs mit „Wild Thing“ zu hören sind und im TV-Portable eine Bundestagsdebatte mit Kurt-Georg Kiesinger und Willy Brandt läuft. Weil sein Bild im Zusammenhang mit einem Schneesturm auf dem Kudamm in der Zeitung steht, fühlt Hanns sich in Berlin nicht mehr sicher. Er läuft, „Summer in the City“ von Lovin‘ Spoonful aus dem Jahr 1966 im Hintergrund, den Landwehrkanal in Richtung Kreuzberg. Weil er für Moskau ein Visum braucht, wie er am Intourist-Büro erfährt, entscheidet er sich für New York. Aber auch hier würde der Visumantrag zu lange dauern, weshalb er Amsterdam via Düsseldorf wählt. Mit der neuen Sonnenbrille, so seine Hoffnung, wird man ihn nicht erkennen. Lipgart blickt ihm lange aus dem Fenster ihrer schicken Wohnung nach: während im TV-Portable das Testbild flimmert, kommen melancholische Töne Gustav Mahlers aus dem Lautsprecher…

„Summer in the City“, Wim Wenders‘ 112-minütiger Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, ist am 8. Oktober 1971 bei den Int. Filmfestspielen Mannheim uraufgeführt worden. Robby Müllers in Schwarzweiß gedrehter 16mm-Film weist bereits auf zahlreiche spätere Spiegel- und Bild-im-Bild Motive sowie den Hang des Regisseurs zu langen, stummen Einstellungen hin – und natürlich auf seine nicht nur musikalische Amerika-Begeisterung.

Aufgrund der schlechten Tonqualität wurde eine zweite Fassung mit nachgesprochenen Sätzen aus dem Off hergestellt, die laut Wenders-Stiftung am 2. Juni 1972 in Hamburg erstaufgeführt worden ist. Ein Kinostart des ersten abendfüllenden Wenders-Spielfilms kam wegen fehlender Rechte für die Musiktitel u.a, von The Kinks, Chuck Berry und The Troggs nicht zustande. So konnte dieses bemerkenswerte, im Stil eines Road Movie immer wieder aus Auto- und Flugzeug-Fenstern gedrehte Porträt der wirtschaftlich prosperierenden, aber politisch stagnierenden Bundesrepublik zu Beginn der 1970er Jahre erst am 13. Oktober 1982 erstmals im Fernsehen gezeigt werden – im 3. Programm des Kölner WDR.

Pitt Herrmann


Credits

All Credits

Shoot

    • Dezember 1969 - Januar 1970: München, Berlin
Duration:
112 min bei 25 b/s
Format:
16mm, 1:1,33
Video/Audio:
s/w, Ton
Censorship/Age rating:

FSK-Prüfung (DE): 08.10.1993, 70331-S, ab 6 Jahre

Screening:

Aufführung (DE): 08.10.1971, Mannheim, IFF;
TV-Erstsendung (DE): 13.10.1982, West 3

Titles

  • Originaltitel (DE) Summer in the City. (Dedicated to the Kinks)
  • Arbeitstitel 51st Anniversary

Versions

Original

Duration:
112 min bei 25 b/s
Format:
16mm, 1:1,33
Video/Audio:
s/w, Ton
Censorship/Age rating:

FSK-Prüfung (DE): 08.10.1993, 70331-S, ab 6 Jahre

Screening:

Aufführung (DE): 08.10.1971, Mannheim, IFF;
TV-Erstsendung (DE): 13.10.1982, West 3