Inhalt
"Unsere Welt ist am Arsch, weil die Falschen am Drücker sind!" Das ist Glockes Sicht auf die Dinge. Zumindest im Moment. Und vielleicht auch ein wenig, weil er selbst ganz und gar nicht am Drücker ist.
Er versucht sich als Aktivist – gegen Kapitalismus, gegen Ungerechtigkeit in der Welt, für Naturschutz und gegen Tierversuche. Doch eigentlich geht es ihm darum, ein Mädchen zu beeindrucken. So auch, als er einen protzigen Luxuswagen anzündet… Leider wird Glocke dabei erwischt und gefilmt. Er kann fliehen, aber sein Bild geht schon durch die Medien.
Spontan schließt er sich einer Gruppe Fremder an, die sich im Netz verabredet haben. Sie folgen dem Ruf eines Unbekannten, der in den Bergen lebt und in der Rückbesinnung zur Natur den Weg in die Zukunft sieht. Sie alle wollen die Welt zu einem besseren Ort machen und tragen doch ein Geheimnis mit sich, möchten ihre Vergangenheit hinter sich lassen und aus dem System ausbrechen. Das ist ihr Ziel. Zunächst erleben die jungen Rebellen Glocke, Judith, Steffi, Elias und Paule Tage der Freiheit und des Glücks. Doch dann wendet sich das Blatt …
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Vom Dach eines Hochhauses verfolgen die beiden im Grunde höchst unpolitischen Spontis, wie der Wagen förmlich explodiert. Als sie sich verdrücken wollen, wird der Wachdienst auf sie aufmerksam. Während Lena rechtzeitig die Kurve kriegt, muss Glocke einiges einstecken, bevor er ins Dixie-Klo fällt. Das aber wenigstens draußen auf der Straße steht...
Leider war die ganze Aktion ein abgekartetes Spiel von Internet-Freaks, selbst seine weiche Landung in der Scheiße steht kurze Zeit später im Netz. Was naturgemäß die Polizei auf den Plan ruft, es werden 10.000 Euro Belohnung auf die Ergreifung der Brandstifter ausgesetzt. So muss Glocke gar nicht erst lange bearbeitet werden, um sich einer Aussteiger-Gruppe anzuschließen, die dem spontanen Aufruf eines gewissen Friedrich folgend sich im Netz verabredet hat: Treffpunkt ist ein bestimmtes Gleis des Frankfurter Hauptbahnhofs, Erkennungszeichen eine rote Mütze.
Noch nicht einmal ein halbes Dutzend Mitstreiter finden sich ein, um die Mainmetropole in Richtung Süden zu verlassen. Der ihnen allen nur aus dem Netz bekannte freiheitsliebende Öko-Freak soll in den Bergen leben und in der Rückbesinnung zur Natur den Weg in eine bessere, weil friedliche und die Ressourcen schonende Zukunft sehen. Zusammen mit Glocke machen sich Judith, Steffi, Elias und Paule auf den Weg.
Die jungen selbsternannten Rebellen genießen zunächst die Freiheit des Glücks selbst bei nächtlichem Dauerregen. Einer Schnitzeljagd gleich folgen sie hölzernen Hinweistafeln, die sie 'mal an einer Brücke über einen Gebirgsbach, 'mal am Eingang des Turbinengebäudes eines Staudamms entdecken. Unterwegs lernen ein machohafter Motorradfahrer und ein eingebildeter Gastwirt die Schlagkraft des Outback-Quintetts kennen. Elias scheint mehr zu wissen als die anderen, Steffi weiß dafür, welche Wurzeln, Beeren und Pilze genießbar sind. Ab und an bereichern auch mühsam gefangene Fische den Speiseplan.
An einem idyllischen See kommt es zu ersten Annäherungen und Pärchenbildungen – zwischen Glocke und Judith sowie Paule und Steffi. Die Zivilisation scheint so weit entfernt wie die Kondensstreifen eines Flugzeugs am Himmel. Doch dann findet Glocke auf der Suche nach einem Kondom bei Elias weitere Hinweistafeln – und der muss zugeben, die Figur Friedrich nur erfunden zu haben. Noch hält Glocke dicht, aber hoch oben am alpinen Bergkamm rückt er mit der Wahrheit heraus – und alle Wut entlädt sich auf Elias.
Im letzten Moment kriegt die besonders rachsüchtige Steffi doch noch die Kurve und der an einen Baumstamm gefesselte, unter einem Bienenschwarm begrabene Elias wird gerettet. Gemeinsam gelingt der Abstieg zu einer Almhütte, die sogleich winterfest gemacht wird. Zumal drei weitere Rotmützen eintreffen, womit die Geschlechter-Parität hergestellt ist. Doch das ist offenbar eine nächste Geschichte, nach gut hundert Minuten gilt die Schluss-Tafel aus Elias' Rucksack: „Wer es bis hierher geschafft hat, soll sich einrichten oder weiterziehen.“
„Raus“, das Langfilmdebüt des 1973 im sächsischen Crimmitschau geborenen Bauhaus-Absolventen Philipp Hirsch, am 18. November 2020 innerhalb der verdienstvollen Reihe „Debüt im Dritten“ im SWR erstausgestrahlt, fragt nach den Möglichkeiten, noch einmal ganz von vorn anfangen zu können, mitten im Wald und fernab unserer Zivilisation. Rebellieren und einfach alles hinter sich lassen?
Von Midlife-Crises kann bei diesen Zwanzigjährigen nun wirklich nicht die Rede sein. Ein halbes Dutzend junger Leute, die das ganze Leben noch vor sich hat, will aussteigen. Aus einer Welt voller Kriege, Umweltverschmutzung und Ausbeutung. Will die Zivilisation hinter sich lassen und absolute Freiheit genießen – um dann wie Elias doch nur die Kreditkarte zu zücken, wenns brenzlig wird. Der Protagonist Glocke ist nicht vom Kaliber eines politisch motivierten Brandstifters, und über die anderen ist eigentlich nichts bekannt, außer dass hinter Steffis Sonnenbrille Blutergüsse sichtbar werden, die ihren enormen Gewaltausbruch beim Macho-Sprüche klopfenden Motorradfahrer erklären, aber nicht rechtfertigen.
Zu Beginn vermögen Jan Ruschkes rasche Schnitte das Interesse an diesem letztlich belanglosen, ja überflüssigen Film zu wecken, später sind es allenfalls beneidenswert makellose nackte Körper orientierungsloser junger Leute. Für Matti Schmidt-Schaller, 1996 in Gera geboren, ist „Raus“ sein zweiter Kinofilm nach „Treppe aufwärts“, im Oktober 2015 ebenfalls bei den Hofer Filmtagen uraufgeführt. Auch die gleichaltrige, in Hamburg geborene Milena Tscharntke ist dick im Fernseh- (Serien-) Geschäft, steht aber auch am Hamburger Thalia-Theater auf den Brettern. Von Newcomern, wie im Presseheft vermerkt, kann also nicht wirklich gesprochen werden.
Pitt Herrmann