Dancing With Myself

Deutschland 2004/2005 Dokumentarfilm

Dancing with Myself

Alexandra Wach, film-dienst 02/2007


In "Ausfahrt Ost" porträtierten Antje Kruska und Judith Keil, beide Jahrgang 1973, drei Wendeverlierer aus Sachsen-Anhalt und schafften das Kunststück einer Sozialstudie, die unterhält. Nach der ZDF-Produktion "Teuflische Spiele" bekamen sie mit dem Putzfrauenfilm "Der Glanz von Berlin" den Grimme-Preis und wurden auf der Berlinale 2002 als Nachwuchstalente gefeiert. In ihrem neuen Werk "Dancing with myself" gewähren sie einmal mehr nach bewährtem Muster anrührende Einblicke in den Alltag kleiner Leute und beziehen eine erstaunliche Spannung aus den ganz persönlichen und mitunter schmerzlich intimen Lebensszenen ihrer drei "Hauptdarsteller", die sich widerstandslos den Anweisungen und Vorgaben des Films fügen.

Die Berliner Regisseurinnen, die sich bei einem Praxis-Seminar von Andres Veiel kennengelernt haben, zeigen, dass Tanzen für viele mehr ist als Abschalten und dabei attraktiv auszusehen. Ihre Tänzer tanzen vor allem für sich selbst und nicht, um anderen zu gefallen. Im Tanz verweigern sie das Erwachsensein, das ihnen im Alltag nicht gelingen mag, finden einen Fluchtpunkt und Energie fürs Weitermachen. Kruska und Keil suchten sechs Monate in Berliner Clubs und Diskotheken nach leidenschaftlichen Tänzern und haben Laurin gefunden: 18 Jahre alt, antiautoritär erzogen von einer selbstgerechten Mutter und in der Schule gehänselt und ausgegrenzt, kurz davor, das Gymnasium abzubrechen. Abends im Club aber fällt sie mit fantasievollen Gesichtsbemalungen auf, ist schön und selbstbewusst. Dort könne sie sich "frei bewegen" und sei "trotzdem nicht einsam". Ähnlich problembeladen ist auch Mario, der ebenfalls zu den regelmäßigen Besuchern von Tresen und Tanzflächen gehört. Der ausgebildete Schlosser darf seine Kinder nicht sehen, ist arbeitslos und lebt in einem Wohnwagen. Wut, Trauer, Angst und Sehnsucht tanzt sich der 36-Jährige abends von der Seele. Der dritte im Bunde ist der scheinbar stets gut gelaunte und esoterisch angehauchte Reinhard: Rentner, wegen einer Psychose in Behandlung und mit 63 verliebt. Man findet ihn barfuss und aufgelöst wie einen Alt-Hippie beim Early-Evening oder Energy-Dance. Tagsüber spricht er mit dem Duktus eines Kleinbürgers vom Ausgepowertsein, und spätestens beim Besuch in einer Selbsthilfegruppe für Depressive wird klar, dass er schon lange den Alltag nicht mehr bewältigen kann.

Nach "Rhythm is it!" oder Lilo Mangelsdorffs Porträt "Damen und Herren ab 65" ist "Dancing with myself" bereits der dritte dokumentarische Tanzfilm. Auch wenn lange Tanzszenen immer wiederkehren, dient das Tanzen nur als Aufhänger, um das zärtliche Porträt von drei Generationen Gescheiterter zu zeichnen, für die sich sonst niemand interessiert. Mitunter für einen Dokumentarfilm stark inszeniert und gekonnt behutsam montiert, sind die Einflüsse eher in der authentisch schonungslosen Welt eines Andreas Dresen oder in den psychologischen Porträts eines Andres Veiel auszumachen. Immer geht es auch um die Suche nach dem persönlichen Glück mit allen Hindernissen, und ganz nebenbei um das gegenwartsnahe Bild eines Deutschlands von ganz unten. Distanziert und dennoch mittendrin partizipiert die Kamera an den großen und kleinen Krisen ihrer hoch sensiblen Protagonisten, taucht ein in Arbeitslosigkeit und Zukunftsangst, das Zusammensein mit Müttern und Freunden, Liebe und Einsamkeit, und schafft dabei, begleitet von einer sorgfältig ausgesuchten Tanzmusik, betörend melancholische Stimmungsbilder eines kriselnden Lebensgefühls.

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