Weltverbesserungsmaßnahmen

Deutschland 2004/2005 Spielfilm

Agenda Einsneunzig.

Der Film "Weltverbesserungsmaßnahmen"



Sascha Westphal, Frankfurter Rundschau, 11.08.2005

Einst hatte der ein wenig exzentrische Träumer und Tüftler Holger G. eine grandiose Idee. Er war sich sicher, dass die Menschen einander besser verstehen würden, wenn sie sich direkt in die Augen sehen könnten. So ist die "Aktion 1,90 m" entstanden. Mit Hilfe spezieller Plateausohlen wollte der Weltverbesserer alle Menschen auf die gleiche Höhe trimmen, so dass niemand mehr zum anderen aufschauen müsse oder auf ihn herabsehen könne. Nur fehlten dem Idealisten die Mittel und Wege, seine Idee bekannt zu machen. Das haben Hector B. und Angelo Di N., zwei gerissene Geschäftemacher, ausgenutzt. Sie haben den Erfinder ausgetrickst und seine Idee in ein lukratives Zeitgeist-Phänomen verwandelt.

Wer die Welt verbessern will, muss bereit sein, mit seinen Versuchen auch Schiffbruch zu erleiden. Holger G. hatte im Prinzip keine Chance gegen die beiden Yuppie-Trendsetter, doch sein Idealismus setzt ein Zeichen, das auf Dauer nicht übersehen wird. Davon sind zumindest Jörn Hintzer und Jakob Hüfner überzeugt. Ihr Kinodebüt, der aus acht kurzen Fake-Dokumentationen bestehende Kompilationsfilm Weltverbesserungsmaßnahmen, feiert den Erfindergeist und die Unverzagtheit derer, die sich nicht nur nach Veränderungen sehnen, sondern wie der von Cornelius Schwalm gespielte Holger G. auch handeln.

Natürlich ist die "Aktion 1,90 m" ziemlich absurd, und das gilt auch für die meisten anderen von Hintzer und Hüfner porträtierten Maßnahmen. "Die aktive Krankenversicherung", deren Mitglieder sich so viel medizinisches Wissen aneignen, dass sie sich selbst behandeln können, mag im Fall einer Grippe noch eine Alternative zu unserem Gesundheitswesen sein. Doch spätestens wenn es darum geht, einen Blinddarm operativ zu entfernen, entwickelt sich die auf Kostenersparnis ausgerichtete Idee zum Horrorszenario. Etwas Beängstigendes geht auch von dem in der Episode "Leihbruderprogramm" präsentierten Einfall aus, dass Langzeitarbeitslose zu "Leihgeschwistern" für verzogene Einzelkinder umgeschult werden. Wenn ein 35-Jähriger plötzlich in die Rolle eines Fünfährigen schlüpfen muss, sind emotionale und psychologische Katastrophen vorprogrammiert.

Verschiedene Kritiker haben angemerkt, dass Hintzer und Hüfner nicht weit genug gehen, dass sie das satirische Potential ihrer Pseudo-Dokumentationen nicht ausschöpfen und am Ende zu unverbindlich bleiben. Nur ging es den beiden jungen Regisseuren allem Anschein nach gar nicht so sehr um eine sarkastische Abrechnung mit dem derzeitigen Reformwahn. Letztlich käme es auch einer Verschwendung gleich, ein Projekt wie Weltverbesserungsmaßnahmen als kabarettistische Nummernrevue anzulegen. Hintzer und Hüfner sind einen anderen Weg gegangen: Trotz all seiner spöttischen Seitenhiebe auf blinden Aktionismus und unrealistische Reformideen präsentiert sich ihr Debüt vornehmlich als Dokument einer gegenwärtigen Unsicherheit.

Kaum jemand wird bestreiten, dass es so wie bisher in unserem Land nicht weitergehen kann. Doch das ändert nichts daran, dass bisher alle Reform- und Veränderungsvorschläge entweder an der Realität oder an ihren eigenen Vorgaben gescheitert sind. Diese Differenz zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit reflektieren die beiden Filmemacher in jeder ihrer Episoden, die alle zwischen Skepsis und Sympathie schwanken. Denn wie alle großen Konzepte zur Rettung der Menschheit tragen auch die präsentierten Weltverbesserungsmaßnahmen einen Keim von Terror und Zerstörung in sich.

Man übersieht leicht, dass die Verbesserungsmaßnahmen hier auch Kinoverbesserungsmaßnahmen sind. Statt den sicheren Weg zu gehen und einen formalen Ansatz für alle Episoden zu wählen, haben die beiden jedem Feature einen eigenen Look gegeben. Nicht jedes der ästhetischen Konzepte geht auf. Doch selbst wenn Hintzer und Hüfner den Bogen mal überspannen, scheint hinter denManierismen noch ein Gespür für Bilder und Rhythmus auf, das nicht nur im deutschen Kino selten geworden ist.

© Sascha Westphal

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