The Soul of a Man
The Soul of a Man (The Blues 1)
Horst Peter Koll, film-dienst, Nr. 9, 29.04.04
Von seiner vielfältigen filmischen Bezugnahme auf Pop- und Rock-Songs in den 1970er-Jahren bis zu den legendären Soneros des kubanischen "Buena Vista Social Club" (fd 33 721), von der Kölner Südstadt und den kölschen Rock-Songs Wolfgang Niedeckens ("Viel passiert – Der BAP-Film", fd 35 303) hin zu den Wurzeln des amerikanischen Blues – Wim Wenders ist auch in Sachen Musik längst zum "Global Player" geworden. Das hat zwei Seiten, ist doch das chamäleonartige "Einfühlen" in fremde musikalische Wurzeln und ethnische Ursprünge nicht automatisch ein Garant für dokumentarisch überzeugende filmische Bestandsaufnahmen. Die Glaubwürdigkeit eines solchen Unterfangens hängt von der integren Haltung des Filmemachers als Vermittler ab, wobei Wenders auf dem schmalen Grat zwischen Dokumentation und Bewahrung vergessener Musikformen und seiner sehr persönlichen, oft übertrieben "messianischen" Hinwendung nicht immer die rechte Balance fand. Während er in seinen Anfängen noch das Einfache, "Billige" und Kunstlose in der filmischen Aufbereitung schätzte, überwog später (nicht nur in seinen Musikfilmen) das Pittoreske und Manieristische, wobei man oft das Gefühl hatte, dass sich hier jemand allzu distanzlos anbiederte, statt liebevoll zu dokumentieren. Auch "The Soul of a Man" ist eine Gratwanderung, handelt diese filmische "Meditation" über den Blues doch zugleich auch von Wenders’ Zuneigung und Sehnsucht nach Amerika, die sich vor allem über die Musik des Landes vermittelt – wobei das Sujet viel Anlass für dekoratives Beiwerk und atmosphärisches "Raunen" bietet, etwa wenn Laurence Fishburne als suggestiver Erzähler über die Weiten des Weltalls philosophiert, in die die US-Raumkapsel "Voyager" als friedlicher Botschafter der gesamten Menschheit vordringt und dabei u.a. auch den klassischen Blues als Zeichen der menschlichen Kultur mit sich führt. Aber, um es vorweg zu sagen: "The Soul of a Man" gehört zu den angenehmen Überraschungen unter Wenders’ Musikfilmen. Mag auch die "Voyager" mit ihrer pathetischen Mission ungeahnte Weiten penetrieren – Wenders erweist sich als ein weit handfesterer und auch sympathischerer Botschafter, der in seiner Hinwendung zum Blues vor allem auf seine Stärken setzt: das stille, vermeintlich beiläufige Beobachten, aus dem kleine dramatische Geschichten von bemerkenswerter Wirkung entstehen.
"The Soul of a Man" ist Teil eines siebenteiligen (Fernseh-)Filmprojekts, an dem auf Initiative von Martin Scorsese Charles Burnett, Mike Figgis, Marc Levin, Clint Eastwood, Richard Pearce und Scorsese selbst beteiligt waren, um im "Jahr der Blues- Musik" mit eigenen Filmen, aber auch mit Fernsehsendungen, Ausstellungen, Konzerten und anderen Veranstaltungen dem Blues die Reverenz zu erweisen. Wenders’ Film fungierte in Cannes 2003 als "Botschafter" für den europäischen Markt und erfährt nun seine Kinoauswertung. Aus den Weiten des Weltalls nähert sich die Kamera in einer ausufernden filmischen Reise durch Zeit und Raum vor allem drei vergessenen Pionieren dieser Musik, darunter zwei "historischen" Protagonisten: dem blinden texanischen Gospel- und Blues-Sänger Blind Willie Johnson, der in den 1920er-Jahren einige rare Songs aufnahm, und dem 1902 geborenen Sänger, Gitarristen und Pianisten Skip James, der 1931 für die Plattenfirma Paramount einige Schallplatten einspielte, danach aber desillusioniert der Musik (und ihrer Vermarktungsmaschinerie) den Rücken kehrte. 1964 aber wurde er wiederentdeckt und feierte beim Newport Festival ein legendäres Comeback. Mit neuester Filmtechnik gestaltet Wenders inszenierte Spielszenen als vermeintlich historisches Bildmaterial, das zerkratzt und tontechnisch fehlerhaft daherkommt und aus zufällig auf einem Speicher gefundenen uralten Blechbüchsen stammen könnte; wobei dieser "Fake" durchaus Sinn macht, weil er so auch ein Gespür für den Stand damaliger filmischer wie musikalischer Aufnahmetechniken vermittelt. Zugleich gelingt die Anbindung an die Gegenwart: wenn aktuelle Blues-Größen – besonders eindrucksvoll: Bonnie Raitt, James "Blood" Ulmer und Cassandra Wilson – authentische Songs von James und Johnson mit ihren jeweiligen individuellen Mitteln neu interpretieren, dann ist dies nicht nur eine Verbeugung vor den Pionieren, sondern auch ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie zeitlos "klassisch" dieses Musikmaterial ist.
Der dritte Blues-"Held" ist für Wenders J.B. Lenoir, der in den 1950er-Jahren einen bemerkenswerten eigenen Sound zwischen Blues und Boogie schuf. Der Engländer John Mayall erwies Lenoir eindrucksvoll Reverenz, und Wenders machte sich lange Jahre vergeblich auf die Suche nach authentischem Bildmaterial – das er schließlich dann doch im Besitz eines Dokumentarfilmer-Ehepaars fand. Wobei diese Begegnung mit den beiden Dokumentaristen, einem Amerikaner und einer Schwedin, zum seelischen wie emotionalen Herzstück des gesamten Films wird, geht es hier doch um weit mehr als "nur" um die Musik eines vergessenen Blues-Musikers: Urplötzlich steht die gelebte Erinnerung eines liebenswerten, längst ergrauten Paares im Zentrum, ihre Liebe zur Musik wie auch ihre Liebe füreinander, die sich in den alten 1960er-Jahre-Filmdokumenten ebenso anrührend Bahn bricht wie in den aktuellen, von Respekt und Zuneigung geprägten Erzählungen und Erinnerungen, die sie vor Wenders’ Kamera ausbreiten. In dieser Begegnung verwirklicht Wenders durchaus eindrucksvoll seine Wunschvorstellung: Musik nicht (nur) als beliebige kreative Ausdrucksform zu dokumentieren und zu vermitteln, sondern als ein individuelles Lebensgefühl, das ebenso mit ästhetischem Eigensinn wie mit existenziell gelebten Erfahrungen, mit Begegnungen, Kontakten und Freundschaften angereichert ist. Insofern ist der amerikanische Blues – durchaus nachvollziehbar – in der Tat eine Welt übergreifende Metapher für "human passions", für Leid und Leidenschaften, Hoffnungen und Lebensfreude.