Ein Leben lang kurze Hosen tragen

Deutschland 2002 Spielfilm

Ein Leben lang kurze Hosen tragen

Ein Serienmörder erzählt von sich


Harald Mühlbeyer, epd Film, Nr. 8, 02.08.2004

Jürgen ist einer, den man am liebsten duzen möchte. Er ist ein netter Kerl, und vor allem hat er immer etwas bestechend Kindliches an sich. "Ein Leben lang kurze Hosen tragen", das ist sein Traum von einem guten Leben; sein wirkliches Leben erzählt er der Kamera und damit dem Zuschauer mit unschuldigem Charme, in einer Interview- oder besser Therapiesitzung. Jürgen Bartsch sitzt im Gefängnis, er hat zwischen 1962, da war er erst 15, und 1966 vier Jungen getötet, ihre Leichen geschändet und zerteilt. Im grünlich-monochrom fotografierten Monolog in die Kamera und in Spielszenen enthüllt sich Jürgens erschreckender Charakter, gefangen zwischen Homosexualität, Pädophilie und Sadismus. Der junge Bartsch, der andere Jungen umbringt, wird gespielt von Sebastian Urzendowsky, der zuvor als 13-Jähriger in Hendrik Handloegtens "Paul is dead" überzeugt hat. In diesem Film von Kai S. Pieck ist er wieder der vertrauenerweckende, freundschaftliche Typ, und die Diskrepanz zu den von Bartsch verübten Taten könnte nicht größer sein. Bartschs Blick auf sich selbst ist ganz merkwürdig: Ganz genau erzählt er von sich, detailliert und leicht befremdet. "Die haben teilweise auch echt einfach Pech gehabt", sagt er von seinen Opfern, wenn sie ihn getroffen haben, mit ihm mitgegangen sind und nicht wussten, dass der Türgriff im VW-Bus nach oben statt nach unten gedrückt werden muss. Bartsch spaltet sein tötendes Ich vom erzählenden Ich ab, und langsam wird deutlich, dass zur sexuellen Perversion Schizophrenie hinzukommt. Vielleicht wird deshalb Bartsch, der jüngere und der ältere, von verschiedenen Schauspielern dargestellt.
In den letzten Jahren, ungefähr seit der Festname Marc Dutroux", herrscht eine sich steigernde Hysterie nicht nur in den Boulevardmedien, wenn Kinder verschwinden oder tot aufgefunden werden; eine Hysterie, die sich in der Bevölkerung ausbreitet, obwohl statistisch gesehen die Zahl der Sexualstraftaten seit langem schon zurückgeht. Pieck hat einen gänzlich unhysterischen Film gedreht, ruhig, leise, mit statischer Kamera und sparsamer Musik. Die Erzählsituation des Films, in der der älter gewordene Jürgen Bartsch von seinen früheren Untaten erzählt, ist kaum zeitlich verortet. Die szenisch dargestellten Rückblenden spielen im Irgendwann der sechziger Jahre, die Reihenfolge und Anzahl der Morde bleiben im Ungefähren. Damit entzieht sich der Film jeder Sensationsgier, und gerade dieser Blick, der kühl ist und dadurch umso erschreckender, ist wichtig in der aufgeheizten Diskussion um perverse Straftäter.

Der Film basiert auf Briefen von Jürgen Bartsch, in denen er sich selbst analysiert; immer wieder werden Sentenzen aus Bartschs Tagebuch in kindlicher Schreibschrift eingeblendet. Pieck nähert sich ganz aus der Perspektive des Täters an die Persönlichkeit der "Bestie von Langenberg" an, wie Bartsch in den Medien genannt wurde. Die Kindheit im bürgerlichen, wortkargen, gefühlsarmen Elternhaus, die Strenge des katholischen Internats werden nicht als Entschuldigung, nicht einmal als Erklärung für die unaussprechlichen Taten angeführt. Die Erzählweise, die nie vorgibt, dokumentarisch zu sein, die aber dennoch authentisch wirkt, umkreist das Innere des kindlichen Jürgen, und doch will sie nie verhehlen, dass Bartsch niemals zu begreifen ist. Gerade durch die Kontraste, durch die Jungenhaftigkeit und die Perversion, durch die Grausamkeit bei gleichzeitiger Selbstanalyse bewirkt der Film ein nachdrückliches Grauen, das Grauen, wenn sich aus dem netten Kerl das Monster herausschält.

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