Der schwarze Tanner

Schweiz BR Deutschland Österreich 1985/1986 Spielfilm

"Der schwarze Tanner" von Xavier Koller

 

Norbert Grob, Die Zeit, 05.12.1986

Auf einer Weide, hoch oben am Berghang, schauen sich drei Männer um, sie tragen Straßenanzüge und Krawatten. Einer von ihnen reißt ein Stück Gras heraus, mitsamt den Wurzeln und etwas Erde. Er riecht daran, wägt ab, nicht dann zufrieden. Einer der anderen tritt zu ihm, sagt, er mache noch den Säuretest. Dazu schüttet er aus einer kleinen Flasche ein wenig Flüssigkeit auf das Büschel, so daß es brennt und dampft.

Plötzlich kommt vom Berg ein älterer Mann herunter. Er trägt schwere Arbeitskleidung und Stiefel. Sein Haar ist grau und sein Gesicht voller Furchen. Empört ruft er aus, auf seinem Boden habe niemand Gras herauszureißen. Die drei Männer lächeln gönnerhaft. Einer erklärt, sie kämen von der Regierung, sie müssten den Boden prüfen, ob er für den Ackerbau geeignet sei, und überhaupt, so ein bißchen Gras, das wachse doch schnell nach. Und wenn er unbedingt wolle, könne er einen Antrag auf Schadensregelung stellen, beim Staat, da kriege er dann sein Geld zurück, vielleicht.

Der alte Mann, sehr ruhig, trotz seiner Wut, überlegt einen Moment, greift dann einem der Männer in die Haare und reißt ihm ein Büschel heraus. Dabei lächelt er gönnerhaft. Das werde er bereuen, schreit der Angegriffene. So ein bißchen Haare, entgegnet der alte Mann, das wachse doch nach. Und wenn er unbedingt wolle, könne er einen Antrag auf Schadensregelung stellen, beim Staat, da kriege er dann sein Geld zurück, vielleicht.

Die erste Szene des Films, so lakonisch und genau wie in einem amerikanischen Western Anfang der Vierziger. Alles ist da, ganz konzentriert, worum es gehen wird in dem Film. Worauf er zielt, und was ihn auszeichnet. Da ist der klassische Kinokonflikt zwischen bornierten, überheblichen Vertretern des Staates/der Obrigkeit und dem ruhigen, selbstgewissen Helden, dem bloß eine Chance bleibt: zum Außenseiter zu werden. Da ist der Moment, wo klar wird, daß Worte nur alles vernebeln und dem Helden bloß eine Chance bleibt: die Tat.

Von dieser ersten Szene an steht fest, daß der alte Bauer (Otto Mächtlinger) einen langen Leidenweg antritt; aber auch, daß er ein Opfer der Verhältnisse ist, ohne ein Opfer seines Lebens zu sein. Wie der klassische Westerner tut er, was er zu tun hat – ohne Rücksicht auf seine Qualen. Und wie der klassische film noir-Held leidet er – ohne Rücksicht auf sein Tun.

"Der schwarze Tanner" ist ein Heimatfilm, wie ihn die Deutschen in den Fünfzigern angegangen sind: als Vorstellung einer selbstverständlichen Lebensweise. Nur ist er nie so reaktionär, so dumm-propagandistisch im Sinne einer "heilen" Weltsicht. Der Film zeigt einfach Bilder eines einfachen Lebens. Die jedoch so gestaltet, so inszeniert, so erzählt – wie die alten Märchenfilme der Filmfabrik.

"Der schwarze Tanner" spielt im Jahre 1940. Überall in Europa herrscht Krieg. Die Schweiz blieb bisher davon verschont. Ihre Neutralität wird allseits anerkannt. Andererseits gibt es keine Gewähr dafür, dass dies auch so bleibt. Die Schweizer Regierung versucht deshalb, ihre Autarkie zu stärken, ihre Abhängigkeit von Lebensmittelimporten so weit wie möglich abzubauen. Ihre Devise lautet, in unsicheren Zeiten ist Vorsicht besser als Nachsicht, Überfluß besser als Not. Eine der Konsequenzen, so einfach wie unsinnig: Auch auf den unzugänglichen Berghängen müssen Äcker angelegt, müssen Kartoffeln angebaut werden. Tanner, der alte Bauer, den man den Schwarzen nennt, weil er vom Schwarzhandel lebt und einen ausgeprägten Hang zum Anarchismus hat, wehrt sich mit aller Macht gegen diese Verordnung der Regierung. Die da oben verstehen nicht, was er ganz selbstverständlich weiß: Daß der Berg keinen Acker duldet, daß sein Boden, sein Land keine Kartoffeln trägt.

Tanner kümmern keine Bußgeldbescheide und auch keine Strafandrohungen. Er lebt einfach sein Leben weiter: das Heu einholen, die Kühe versorgen, die Milch runter ins Dorf radeln. Als er schließlich doch verhaftet wird und ins Gefängnis muß, leistet er weiterhin Widerstand: indem er aufhört zu essen. Seine Rechtfertigung: Um zu sehen, wie ein Baum wächst, reiche ein Leben nicht aus.

Xavier Koller setzt in seinem Film ganz auf die mythische Dimension der Geschichte: Da ist noch einer, der weiß, wie er leben muß.

Wer dem Gesetz nicht Folge leistet, der muß gebrochen werden, erklärt einer der Regierungsbeamten einmal. Doch der Film zeigt und beweist: Nur wer nicht gebrochen ist, kann aufrecht gehen.

© Norbert Grob

 

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