Das kleine Gespenst

Deutschland 1990-1992 Animationsfilm

Das kleine Gespenst

Raimund Gerz, epd Film, Nr.1, Januar 1992

Seit dem 30jährigen Krieg hütete die Weltgeschichte das Geheimnis, warum der schwedische General Torsten Torstenson die Belagerung von Burg Eulenstein und der Stadt Eulenberg Hals über Kopf abbrach und sich in der Gegend nie mehr blicken ließ. Der Kinderbuchautor Otfried Preußler ("Der Räuber Hotzenplotz", "Die kleine Hexe") offenbarte, daß es "Das kleine Gespenst" war, das den Schweden derart erschreckte, daß ihm die Lust an fremder Leute Burgen verging.

Die Zeiten haben sich geändert. Burgen werden heute von Touristen belagert, Städte von Autos; doch das kleine Gespenst sitzt noch allnächtlich oben auf dem Ast neben dem Uhu Schuhu und sehnt sich mehr und mehr danach, ausgerechnet diese Welt einmal bei Tageslicht zu sehen. Der Traum wird wahr, weil die für den Schlafrhythmus des kleinen Gespenstes zuständige Rathausuhr eines Tages für zwölf Stunden angehalten wird: Das kleine weiße Nachtgespenst wacht um 12 Uhr mittags auf und verfärbt sich unter dem Licht der Sonne zu einem kleinen schwarzen Tagesgespenst.

Das kleine Gespenst ist schnell bedient von dem, was sich da am hellen Tag so tut; und bis es dem Uhu Schuhu nachts wieder seine Geschichten erzählen kann, hat es – ganz unfreiwillig – allerlei Unheil unter den braven Bürgern angerichtet. Und wären da nicht die tapferen Kinder des Apothekers gewesen, der schwarze Geist würde noch heute in Eulenberg herumspuken...

Curt Linda, der Münchner Animationsfilmer ("Die Konferenz der Tiere" nach Kästner) hat sich in seinem neuesten Film diesen Kinderbuch-Klassiker von Otfried Preußler zur Vorlage gewählt. Seine Zeichentechnik, mit bewußt verschwommenen und rauhen Konturen, setzt sich von der glatten "Gummi-Männchen"-Ästhetik der Hollywood-Zeichner ab. Linda reichert die Fabel mit zeitgemäßen Themen an: Durch das Szenario brausen Autos, Flugzeuge fliegen darüber hinweg; auch Rassenvorurteile werden problematisiert. Und wenn bei der 350-Jahrfeier der schwedischen Belagerung, die das kleine Gespenst irrtümlich für eine erneute Invasion hält, die historischen Kanonen zu Bruch gehen, dann kommt auch die Friedensbewegung auf ihre Kosten.

Linda bedient sich, trotz seiner Abneigung gegen die Disney-Methoden, durchaus beliebter Standard-Gags, etwa wenn er mehrfach aberwitzige Kettenreaktionen in Gang setzt. Wenn "Das kleine Gespenst" streckenweise dennoch etwas behäbig wirkt, liegt das meines Erachtens nicht nur an unserer durch Fernseh-Comics verdorbenen Sehweise, sondern auch an dem recht unausgewogenen Erzählrhythmus des Films. So ist beispielsweise die Jubiläumsfeier so lang ausgedehnt, daß vor allem Kinder hier leicht den Faden verlieren können.

Wo Preußlers höchst sparsamer und einfacher Text dem Leser Freiräume für phantasievolle Ausgestaltung läßt, konfrontiert der Film mit fertigen Bildern. Dies ist das Dilemma jeder Literaturverfilmung, bei der Verfilmung von Kinder- und Jugendbüchern zeigt es sich verstärkt.

 

Rechtsstatus