Katzelmacher

BR Deutschland 1969 Spielfilm

Katzelmacher


Leo Schönecker, film-dienst, Nr. 52, 23.12.69

Dieser eigenartige Spielfilm, abseits vom Kulturbetrieb, ist nicht Rainer W. Fassbinders Debüt. Der 23jährige Autor, Dramaturg, Regisseur und Schauspieler in einer Person leitet das seit 1967 bestehende (zuerst unter der ironischen Bezeichnung "Action-Theater" geführte) "antiteater" in München. Aus jener Entwicklungszeit stammen seine beiden Kurzfilmetüden "Der Stadtstreicher" und "Das kleine Chaos", die im Gegensatz zu verbreiteten Legenden vom subkulturellen bajuwarischen "Anarchisten" (sein Bühnenstück "Anarchie in Bayern" inszenierte er vor kurzem am Bremer Stadttheater) schon deutlich seine wachsende Distanzierung vom Vertrieb und Konsum inhumaner Action-Stücke kennzeichnen. Sein erster Spielfilm "Liebe ist kälter als der Tod", der auf der letzten Berlinale zu sehen war, meinte die mißbrauchte, nur in Besitz nehmende Liebe, deren Gefühllosigkeit unmittelbar zur Gewalt führte, zur durch "Liebes"-Verhältnisse oder mißbrauchte Institution der Ehe legalisierten Gewalt. Bereits dieser verfremdete "Gangster-Film" sollte darstellen, daß solche gewaltsamen Ersatzgefühle austauschbar sind mit skrupelloser Gier nach Geld und Macht, gleichbedeutend mit Unterdrückung und brutalen Exzessen. Überlieferte Konventionen, sinnentleerte Sitten, soziale und seelische Roheiten – diese von überprüfendem Denken und Fühlen, von lebensfähigem, lebenswürdigem Tun freien "Liebes"-Aktionen, Vor-Lieben und unterschiedslosen Nebeneinander-Lieben entblößt Fassbinder in seinem vierten Film; "Katzelmacher" bezeichnet ein süddeutsches Schimpfwort für Gastarbeiter, fremde "Eindringlinge". Die sarkastisch-bitterhumorige, desillusionierende Paraphrase scheint von drei prägenden Moralisten zwischen Bühne und Film beeinflußt: Bert Brecht, Jean-Marie Straub und Karl Valentin. Fassbinder zerschneidet minuziös, mit sparsamsten Mitteln eine Unmenge von verworrenen oder zerstörten Beziehungen, äußeren und inneren Gewaltaktionen, Fehlbeziehungen, (Un-)Freiheiten, reduziert sie auf ihren nackten Kern und stellt nur ihre Ansätze hart und spröde nebeneinander. So macht er ihre Symptome sichtbar und kann die angedeuteten Auswüchse den mitvollziehenden Zuschauer begreifen lassen, indem dieser sie physisch spürt, aber nicht bedenkenlos, mitleidig oder genüßlich konsumieren mag. Szenen und Personen des Soziodramas ergänzen sich nicht zu einer mehr oder weniger gewohnten "psychologischen" Erzählung; mit äußerst geringer Bewegung funktionieren sie nur als modellhafte Versatzstücke einer Zustandsschilderung und Bestandsaufnahme, die zugleich die magisch-starre Bewußtseins-"Haltung" kleinbürgerlicher Gesellschaft am Abgrund ihrer Existenz porträtiert.

Die schonungslose Beobachtung der Objekte erscheint verstärkt durch den statischen Fixierpunkt der Kamera. Auch der eintönige, stereotyp wechselnde Hintergrund des auf Bruchstückquerschnitte seiner Erscheinungsformen beschränkten Geschehens, das stark überbelichtet aufgenommen worden ist und daher fahl, farblos und gleichförmig-flach erscheint, versinnbildlicht barbarbische Kälte und Leere, Verlassenheit, stupide Rückständigkeit und verlorene Sehnsucht nach selbsttäuschender "Romantik" und "Geborgenheit": eine kahle, kalkige Wand, davor ein Bett; die leblose Zeichnung einer mittelalterlichen Stadt über zwei Kneipentischen; das Souterrain eines Vorstadthauses mit engen Fenstern und Geranien, ohne Menschen, an der Straße das Gestänge einer Kellerabsperrung – Treffpunkte (oder Gefängnisse) der heranwachsenden gelangweilten, politisch wenig aufgeklärten Generation, die in trägem Hochmut ihre gestörten (oder: zerstörten) Kontakte übt, ihre Vorurteile und Aggressionsgelüste aus Besitzneid und Fremdenhaß schürt und dabei noch eine Gemeinsamkeit findet: mit vereinten Kräften wird ein zugewanderter Arbeiter, "ein Griech" aus Griechenland", der körperlich und seelisch all diesen beziehungslosen oder querliebenden Einheimischen überlegen ist, zusammengeschlagen. Denn: "Recht geschieht"s ihm", dem "Kommunist", und: "Eine Ordnung muß wieder her" – für die Hölle. Der optischen und gestischen Verkümmerung entspricht die Verstümmelung der Sprache, die in einer trivialen Verbindung von realistischen Ausdrucksweisen und fast kunstvoll gestammeltem "Althoch-Bayrisch" stilisiert ist. Eine ähnliche satirische Komik bewirkt der in Abschnitten wiederholte, Auftritt markierende Einsatz eines (bereits im "Dreimäderlhaus" pervertierten) unschuldig-sehnsüchtigen Schubert-Satzes, wenn gelegentlich einträchtig ausschauende "Freundschafts"- oder "Liebes"-Paare statt in grüner Umgebung auf einer steinigen, eindimensionalen Garagenhofallee Arm in Arm lustwandeln, den andern der eigenen Vorzüge versichern oder mit Qualitäten protzen, die angeblich "der meinige" hat: Man besitzt nicht nur die (vermeintliche) Liebe des Partners, sondern betrachtet ihn selbst als eine eigentumsrechtliche Sache – wie ihre enge Straße, ihre Kneipe, das Bett. Fassbinders verkürzende Darstellung einer kleinen Gruppe als Merkmal "normaler" Entpersönlichung und Anonymität, von Vermassung und dumpfem Machtbegehren darf man nicht auf eine Gruppe oder Landschaft beschränkt sehen. Am Beispiel dieses Films läßt sich wohl lernen, wie aus kritischer Negation positive Schlüsse zu ziehen sind. Der notwendigen, gescheiten Diagnose kann eine wirksame Therapie folgen.

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