Creep

Großbritannien Deutschland 2003/2004 Spielfilm

Creep


René Classen, film-dienst, Nr. 22, 28.10.2004

Franka Potente begibt sich auf die Spuren von Jamie Lee Curtis. Diese hatte sich in den 1970er-Jahren den Beinamen "Scream Queen" eingehandelt, nachdem sie in Horrorfilmen wie "Halloween" (fd 22 083) und "Prom Night" (fd 22 741) mehrfach die Rolle des weiblichen Opfers übernommen hatte. Potente spielt nach ihrem Auftritt in "Anatomie" (fd 34 095) ebenfalls zum wiederholten Male eine junge Frau, die über 90 Minuten um ihr Leben fürchten muss – und braucht dabei den Vergleich mit Curtis nicht zu scheuen. In "Creep" verkörpert sie die junge Deutsche Kate, die in London lebt und dort das Party-Leben in vollen Zügen genießt. Sie hat bereits einiges an Alkohol in der Blutbahn, als sie sich auf den Weg von der Bürofete in den angesagtesten Club der Stadt macht, in der Hoffnung, dort auf George Clooney zu treffen. Als sie kein Taxi bekommt, will sie die U-Bahn nehmen, schläft aber auf dem Bahnsteig ein, während sie auf den letzten Zug wartet – und wacht mitten im schlimmsten Albtraum auf: Die verschlossene Station ist offenbar nicht so menschenleer, wie es zunächst den Anschein hatte.

Der größte Vorzug des Films ist der Schauplatz. Selbst unter normalen Bedingungen ist die Vorstellung äußerst unangenehm, eine Nacht allein in einer riesigen U-Bahn- Station, deren Ein- und Ausgänge verriegelt sind, verbringen zu müssen. Regisseur Christopher Smith setzt die mit der klaustrophobischen Situation verbundenen Ängste geschickt für seine Zwecke ein, sodass der Horror bereits anfängt, bevor es erste Anzeichen einer tödlichen Bedrohung gibt. Dennoch dauert es nicht lange, bis ein Kollege von Kate, der ihr unbemerkt nachgeschlichen war, ermordet wird und der Terror endgültig eskaliert. Wer oder was für die Gewalttat verantwortlich ist, bleibt vorerst im Dunkeln. Offenbar hat Smith genügend Horrorfilme gesehen, um zu wissen, dass die Furcht vor dem Unbekannten größer ist als die vor dem schlimmsten Ungeheuer. Erst zur Mitte des Films hört das Versteckspiel plötzlich auf. Was bisher nur angedeutet wurde, wird ab nun grell in Szene gesetzt: die physische Deformation des Killers ebenso wie seine Bluttaten. Die Spannungskurve fällt mit dieser Wende vom Horror- Thriller zum Splatter-Kino deutlich ab. Der Regisseur versucht unterdessen, das Monster zur tragischen Figur zu stilisieren, die der schönen Heldin romantische Begeisterung à la King Kong entgegenbringt. Gerade diese Wendung ruft ins Bewusstsein, dass das emotionale Koordinatensystem, auf dem der Film basiert, dem Kino und nicht dem realen Leben entstammt. Nur so ist zu erklären, dass sich Smith bemüht, Mitgefühl für den Mörder zu erzeugen, während er die Opfer achtlos dessen Sadismus ausliefert. So wird immer deutlicher, dass er die Traditionen des Horrorkinos zwar respektiert, er dem Genre aber wenig Eigenes zurückzugeben hat. Sehenswert ist letztlich allein das Spiel von Franka Potente: Obwohl sie ihre Figur mit einigen weniger liebenswerten Zügen ausstattet, sorgt ihre Präsenz für das notwendige Minimum an Identifikation, damit das abstrakte Spiel mit der Angst funktioniert.

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