Fata Morgana

BR Deutschland 1968-1971 Spielfilm

Fata Morgana


Günther Pflaum, film-dienst, Nr. 2, 25.01.1972

Von den Filmen Werner Herzogs (fd 15573, 17564, kfd 25/71) entzog sich bislang keiner so konsequent der Beschreibung und Deutung wie "Fata Morgana"; er ist befremdender, faszinierender und abweisender als die anderen Arbeiten des Regisseurs – und steht doch mit ihnen in Zusammenhang, als Schilderung einer gefährdeten oder zerstörten Welt, einer Extremsituation. Fata Morgana, das ist Luftspiegelung, Illusion, Vision, Alptraum. Bilder, die nur für Sekunden entstehen und sich doch unauslöschlich einprägen können. Zwischentitel, als Kapiteleinteilungen, verweisen auf eine Menschheitsgeschichte: Schöpfung; Paradies; Goldenes Zeitalter. Doch was man nach diesen Titeln hört und sieht, ist das Gegenteil, Zerstörung, Anfang und Ende berühren sich dabei. In archaischen Landschaften begegnet man den Spuren und Resten westlicher Zivilisation, sie verlaufen sich buchstäblich im Sand. Nach dem ersten Titel sieht man ein Flugzeug landen, siebenmal annähernd gleiche Einstellungen. Verweise auf die Schöpfungstage? Beim siebten Mal setzt Musik ein: Kyrie eleison.

Am Horizont verschwimmt ein sich bewegender Schatten in der flirrenden Hitze; dann die Stimme einer Märchenerzählerin (die Filmhistorikerin Lotte Eisner); sie berichtet einen aztekischen Mythos von der Schöpfung, die beim ersten Mal fehlgeschlagen ist. Man sieht das Feuer einer Bohrstation gegen den Himmel lodern, dann ein Flugzeugwrack, ausgebrannt. Der Mythos vom Entstehen wird von Bildern abgestorbenen Lebens begleitet: Tierkadaver, die grandiose Einsamkeit der Sahara, eine apokalyptische Landschaft, gespenstische Dörfer, fremdartige Menschen. Es gibt unter ihnen keine Kommunikation, nur einige halbirre Monologe, manchmal von höhnischem Gelächter begleitet; irritierend auch, wie fremd diese Menschen der Kamera gegenüberstehen. Vom Paradies wird erzählt: "Dort gibt es Landschaften auch ohne tieferen Sinn ... Das Paradies ist für jeden zu haben", doch dann, wie ein Schock, "im Paradies kommen Menschen schon tot auf die Welt". Ein alter Mann spricht unverständliche Sätze in Richtung Kamera; wieder sieht man Tierleichen, unvorstellbar öde Traumlandschaften, maskenartige Gesichter in Licht und Staub, Tiere. Ein Mann mit einer Gletscher- oder Sandbrille hält einen Waran vor die Kamera, doziert wahnsinnige Sätze. Und Negerkinder sagen einen ihnen unverständlichen Satz auf: "Der Blitzkrieg ist Wahnsinn". Dann das Goldene Zeitalter: In einer öden Bar singt ein Schlagzeuger mit verzerrter Stimme ins übersteuerte Mikrofon, begleitet von einer alten Frau am Klavier. Eine Prozession zu einer Kirche, dann Erdhöhlen oder Gräber, hektisch gestikulierende Menschen versuchen, ihnen zu entrinnen. Man beobachtet einen absurden Vortrag im Stil eines Reiseführers, der Vegetation aus dem Blumentopf präsentiert, dann eine absurde Beschreibung einer Schildkröte. Gegen Ende wird die Landschaft zum abstrakten Muster, vom Flugzeug aus aufgenommen. "Ohnegleichen ist der Friede im Goldenen Zeitalter. Der Krieg ist vom Frieden totgesagt.

Nichts ist groß als der Sand ...". Die absurden Texte des zweiten Teils wirken wie eine ironische Distanzierung, doch das Gelächter, das sie auslösen, ist wie ein Echo auf die Bilder: auch die Landschaften sind hier nicht real, bekommen erst durch den Film ihre eigene Existenz, doch sie bleiben "Landschaften ohne tieferen Sinn". Herzogs Paradies, die Spiegelung der Fata Morgana, ist ein Nirwana, beruht auf dem Auslöschen jeglicher Existenz und Bedeutung. "Im Paradies kommen Menschen schon tot auf die Welt". Ein nihilistischer Standpunkt? In der Darstellung des Nirwana liegt bereits die Überwindung, und vielleicht ist es gar nicht zufällig, daß Herzog anschließend in "Land des Schweigens und der Dunkelheit" am Beispiel der taubblinden Fini Straubinger die Überwindung des Nirwana so fasziniert beobachtete. "Fata Morgana" ist die Vision einer sinnentleerten Welt, quälend, aber auch bestürzend schön als Illusion; wer sich ihr ausliefert, sieht nie zuvor Gesehenes. Die Erfahrungen, die der Zuschauer mit diesem Film macht, sind – das ist das scheinbar Schwierige dabei, weil objektiv nicht nachvollziehbar – Erfahrungen der Irritation und des Wiedererkennens, Erschrecken und Erinnern zugleich.

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