Praxis Dr. Hasenbein

Deutschland 1996/1997 Spielfilm

Praxis Dr. Hasenbein


Oliver Rahayel, film-dienst, Nr. 02, 21.01.1997

Seit dem Anfang seiner Filmkarriere hat Helge Schneider es denjenigen nicht leicht gemacht, die ihn von Bühnenshows her kannten. Schon in "Johnny Flash" (fd 26 675) bot er keineswegs die groteske Nummernrevue, die er sonst als "singende Herrentorte" zum besten gab – sondern, nimmt man den Film beim Wort, ein deprimierendes Bild von einem Leben in Armut irgendwo im Ruhrgebiet, das nur durch die Konsequenz, mit der die Häßlichkeit der Umgebung wie auch der Charaktere dargestellt wurde, eine gewisse, morbide Komik beinhaltete. Es folgten das als Westernparodie nur unzulänglich charakterisierte Werk "Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem" (fd 30 546), das Schneider schon selbst in den Mittelpunkt rückte, sowie "00 Schneider" (fd 31 134), ein Film, der entfernt an Klischees aus dem Kriminalfilmgenre denken ließ. Schneider geht es dabei immer besonders um die deutschen Ausformulierungen der Genres: "Doc Snyder" war vor den Karl-May-Kulissen im Sauerland entstanden, "00 Schneider" zitierte lieber den biederen deutschen Nachkriegskrimi als die angelsächsischen Vorbilder. Und nun, als jüngste Schandtat, nahm sich Helge Schneider den Arztfilm vor.

Als Dr. Angelika Hasenbein betreibt er eine Praxis, die man kaum als solche erkennt: vollgestellt mit einer unübersehbaren Menge von alten Möbeln, Elektrogeräten und Wohnungsschmuck wie vom Stadtteilflohmarkt. Darin bewegt sich Schneider, der trotz des Namens keineswegs eine Frauenrolle spielt, in einem knallblauen Anzug an Stelle eines weißen Kittels, gehemmt durch einen merkwürdig steifen Hals, und macht natürlich mehr den Eindruck eines Scharlatans als den eines Arztes. Die Praxis liegt in einer Gasse, die in dem Film niemals verlassen wird und die durch einen aufgemalten Tunnel im Hintergrund, ein paar höchst anachronistisch wirkende Läden rechts und links, sowie die Kameraebene vorne begrenzt wird, die kein Schwenk je durchbricht. Eine Theaterbühne, deren Verfremdung sich noch deutlicher in den Figuren manifestiert: 40jährige Männer spielen Waisenhauskinder (neben einem wirklichen Kind), ein Mann spielt die Waisenhausmutter (der unvermeidliche Andreas Kunze), und Peter Berling, der alte Schauspielerhase, spielt den Sohn des Doktors. Dazu kommen unter anderem ein Käsehändler mit Bollerwagen, ein Kiosk- und ein Kinobesitzer sowie eine Dame, die hinter einem Schalter mit der Leuchtschrift "Geld" sitzt. Es ist eine schräge, unwirkliche, entlegene Welt, aber, wie sich am Ende herausstellt, aus Sicht des Regisseurs vor allem eine heile.

Helge Schneider ist gläubiger Modernist. Die Destruktion der Formen, die er betreibt, weist auf eine Kunstauffassung hin, die noch zwischen überkommen und modern, zwischen wahr und falsch unterscheidet. Falsch ist für ihn insbesondere die Illusion von Wirklichkeit. Nicht ihre Reproduktion soll erreicht werden, sondern ihre Zerlegung und Neuzusammensetzung; Brechtsches Theater- und dadaistisches Kunstverständnis treffen hier aufeinander und verschmelzen mit einem Prinzip Häßlichkeit, das speziell deutsche Formen des Entertainments zum Gegner hat: vom Alleinunterhalter im Glitzerjackett, den hier ein schon betagter Herr darstellt, über das Sozialdrama und den Zirkus bis zur deutschen Komödie (früherer Zeiten). Daher taucht eine Isetta auf, als überstrapaziertes filmhistorisches Bindeglied zwischen Heinz Erhardt und Dieter Hallervorden, daher die Travestie, und daher der Arzt als Hauptfigur. Diesen Elementen aber wird es nicht gegönnt, unter filmischen Gesichtspunkten zitiert zu werden – denn filmtechnisch sind Helge-Schneider-Filme ein Debakel –, sondern deren Auflösung wird betrieben, womit sich dann doch der Kreis zu den Bühnenshows schließt. Nichts ist Schneiders Filmen fremder als eine ernsthafte Drehbucharbeit. Allenfalls lassen sich grobe Szenenentwürfe erkennen, die, sobald sie eine geschlossene Form anzunehmen drohen, aufgebrochen werden: mittels eines Liedes, einer Grimasse oder sekundenlangen, äußerst verstörenden Innehaltens des Hauptdarstellers.

Da wird eine Szene im Kiosk dreimal wiederholt und dreimal gezeigt, mit minimal abgewandeltem Dialog. Das einzige, was sich ändert, ist der Inhalt der Wundertüte, auf den entsprechend reagiert wird – Improvisation als Form, um Inszenierung so weit wie möglich zu vermeiden. Solche Ansätze haben dem Kino selten gutgetan, und auch hier verlangt dies dem Publikum einiges an Nerven und Geduld ab; eine Antihaltung, in Reinform dargeboten, ist selten amüsant. Aber Schneiders Filme sind eine Herausforderung, ein Experiment, ein Wagnis – etwas, das man von den meisten deutschen Filmkomödien der Gegenwart nicht im entferntesten behaupten kann.

Als Anarchist sieht Schneider sich selbst, als Vorbilder nennt er sowohl die Marx Brothers als auch Jerzy Skolimowski, den radikalen polnischen Sozialkritiker des Kinos. Aufschlußreich, was seine Haltung zum Kino angeht, ist im vorliegenden Fall eine Filmvorführung im Film. Ein "Taubenmensch" ist da zu sehen, der mit geometrischen Formen hantiert. Das hat etwas von Skladanowski und vom Triadischen Ballett, von der Frühzeit des Kinos also. Als echter Nostalgiker erweist sich Schneider im Epilog. Dreißig Jahre sind vergangen, die Dr. Hasenbein "im Krieg" verbracht hat, und nun sieht das Dorf aus, wie Dörfer heute aussehen: mit Geldautomat, Videoshop und Kosmetiksalon. Alle Bewohner sind, wenigstens dem Heimkehrer gegenüber, feindlich gesonnen, und selbst sein Sohn nimmt ihn nicht auf. Die gute, alte, letztlich doch recht harmonische Zeit ist vorbei, die Wirklichkeit der Gegenwart beherrscht die Szenerie. Wo der Glaube an vergangene Fomen und Inhalte keinen Platz hat, kommt Zynismus auf - dies erklärt den bitteren Beigeschmack, den auch dieser Film von Helge Schneider hinterläßt. Wie zum Trotz flieht Dr. Hasenbein am Ende in die Kneipe, wo der gestandene Jazzmusiker Schneider noch einmal dem Bebop huldigen kann, so wie er schon vor 50 Jahren gespielt worden ist.

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