Die Puppe

Deutschland 1919 Spielfilm

Eine bösartige Dunkelkammer


M. P. (= Martin Proskauer), Film-Kurier, Nr. 28, 3.2.1920


Wir haben stets darauf hingewiesen, daß in der heutigen Zeit der hochgespannten politischen und religiösen Empfindungen alle Fortschrittsfreunde sich ängstlich davor hüten sollten, der Reaktion, dem Muckertum und den "Dunkelmännern" auch nur die leiseste Unterstützung zu leihen, wie das leider in dem Kampf gegen den "Kinoschund" und für die Filmpresse doch geschehen ist. Denn man stärkt dadurch die Position dieser Gegner jeder Aufklärung, jedes Fortschrittes und jeder freien Entfaltung der Kunst und treibt sie zu immer weiteren Eingriffen in geistige Gebiete.

Wie berechtigt unsere Mahnung zur Vorsicht ist, zeigt ein ganz krasser Fall. Das bekannte entzückende Lustspiel "Die Puppe" ist in Aachen im "Bavaria-Kino" aufgeführt worden und findet in dem dort erscheinenden "Volksfreund" folgende Kritik, die ungekürzt lautet:

Müssen wir Katholiken und das gefallen lassen?

Von allen Seiten werden wir mit Berichten überschüttet über einen unflätigen Film, den das Bavaria Kinema sich leistet: "Die Puppe" heißt das Schandwerk. Die Handlung dieses Machwerks, das den Tiefstand unserer heutigen Kinokunst an einem traurigen Beispiel beweist, ist in ihrem ganzen Verlaufe nichts anderes als eine unverschämte Verhöhnung des katholischen Ordenslebens. Ein junger Graf, der sich der heiratslustigen Weiblichkeit nicht erwehren kann, flüchtet in das Kloster. Um ein Legat von 500 000 Francs sich nicht entgehen zu lassen, läßt er sich von den Mönchen! bereden, zum Schein eine Puppe zu heiraten (!), um den Bestimmungen des Geschenkgebers zu genügen. Nach der Heirat mit der Puppe soll er dann ins Kloster zurückkehren. Die ganze üble Geschichte endet damit, daß ihm statt der Puppe ein lebendes Mädchen untergeschoben wird. Die ganze Handlung ist durchtränkt von einem wütenden Ordenshaß, der sich in Verleumdungen überbietet und auf die allerniedrigsten Instinkte der Masse spekuliert. Müssen wir Katholiken in Aachen uns eine solche niederträchtige Verhöhnung gefallen lassen? Im selben Kunsttempel wurde schon vor einigen Wochen ein ähnlicher Skandalfilm "Veritas vincit" aufgeführt.

In Berlin sogar sind die Katholiken mit Erfolg gegen ein ähnliches Schandwerk aufgetreten. Schlafen die Katholiken der katholischen Stadt Aachen? Die Vereinigung der katholischen Vereine wird sich hoffentlich dieser Herausforderung gebührend annehmen.

Also die "Puppe" ist ein unflätiger Skandalfilm! Das ist etwas Neues, das ist ein Urteil, das zu finden dem Aachener "Volksfreund" vorbehalten war. Das Lustspiel erlebte seine Uraufführung in Berlin und fand eine so einmütig beifällige Aufnahme, wie selten ein Stück zuvor. Selbst die Zeitungen, die unverhohlen kinofeindlich sind und an allen anderen Filmen teils das erotische Moment, teil die Sensation als unbedingt verwerflich ablehnen, sprachen sich über "Die Puppe" lobend aus. Man war sogar in Filmkreisen mit einer gewissen gespannten Erwartung zur Uraufführung gegangen, denn man wußte nicht recht, wie das doch aus Erwachsenen bestehende Publikum diesen "Film für große Kinder" aufnehmen würde. Und siehe da – alles war begeistert, fand sich harmlos unterhalten und lachte fröhlich.

Daß im allgemeinen von einzelnen politischen Religionsparteien auch aufgepaßt wird, daß auch in Berlin jeder scheinbare Angriff auf die Ideale bestimmter Volkskreise mit grobem Gegenhieb beantwortet wird, beweist die Aufführung der "Pfarrhauskomödie" von Lautensack im "Kleinen Theater". Hier gab es unter Führung eines katholischen Akademikers einen wohlbewußt inszenierten Skandal als Protest gegen die angebliche Verletzung katholischer Gefühle. Es ist undenkbar, daß der Film "Die Puppe" – der doch von so viel tausend Menschen gesehen wurde – hier unangegriffen gelaufen wäre, wenn er wirklich ehrliches Empfinden katholischer Zuschauer verletzen könnte. (...)

Rechtsstatus