Geheimnisse einer Seele

Deutschland 1925/1926 Spielfilm

Geheimnisse einer Seele


Dr. M–I. (= Dr. Mendel), Lichtbild-Bühne, Nr. 71, 25.3.1926


Seelische Vorgänge, noch dazu solche, die sich an der Grenze zwischen wachem Bewußtsein und dumpfem Unterbewußtsein bewegen, filmisch, d. h. in dramatischer Handlung festzulegen: Das ist eine Aufgabe, an der so mancher verzweifeln möchte! Hanns Neumann aber haben immer noch Stoffe am meisten gereizt, die abseits vom Wege des Herkömmlichen lagen, abseits manchmal sogar vom reinen "Geschäft". Wer es ehrlich um die ethisch-ästhetische Entwicklung der rechten Filmkunst meint, muß diesem Pionier dankbar sein, den immer wieder der Drang nach vorwärts nicht rückwärts schauen läßt auf "Publikumsgeschmack" und Massengeschäft.

Und nun ist unser Idealist just durch seine absolut geistige Einstellung merkwürdigerweise dazu gekommen, einen ausgesprochenen "Geschäftsfilm" zu machen! Denn das große Problem der Psycho-Analyse, der Theorien des großen Wieners Freud, spukt, dunkel genug, in aller Köpfe herum; es ist das Gesprächsthema geworden und wäre es noch weit mehr, wenn nur die lieben Zeitgenossen wüßten, um was es sich bei der Sache in Wirklichkeit handelt. Da sie aber gelehrte Schriften gar nicht, populäre auch nur recht ungern lesen möchten, so haben sie förmlich auf den Film gewartet, der ihnen das Notwendigste zur modernen Bildung schmerzlos und ohne Berufsstörung beibrächte. Die Filmleute hätten sich sicher wohl auch schon mit Wollust auf den dankbaren Stoff gestürzt, wenn sie nur gewußt hätten, wie ein so absolut abstraktes Thema zu bewältigen wäre. Diese Arbeit ist heute geleistet, und zwar mit einer bravourösen Geschicklichkeit, die verblüfft. Neumann hat zusammen mit Dr. Colin Roß ein Manuskript geschrieben, wie es flotter und anschaulicher nicht, in das schwierige Problem einführen kann. Trotz aller Geistigkeit steht diese Handlung mit beiden Füßen im realen Leben, ist sie sogar, ohne irgendwo lästig dozierend zu werden, regulärer Spielfilm, wie jeder andere besseren Genres auch. Und wird trotzdem wiederum auch bunt phantastisch, traumhaft, visionär wie bisher kaum in irgendeinem anderen Film. (...)

Nein, hier wird nicht graue Theorie gelehrt, hier erleben wir in einem dramatisch starken und durchweg menschlich leichtest verständlichen Seelenkonflikt, was uns allen naheliegt. Und begreifen wir mit einem Schlage an diesem geschickt aus dem Leben gegriffenen Exempel, was das ist: "Psycho-Analyse"! Wissen nun, daß das keine ledern-wissenschaftliche "Theorie" sein kann, sondern eminent, praktische Methode zur durchgreifenden Heilung seelisch Kranker, die bisher leider oft genug im Irrenhaus, Gefängnis oder durch Selbstmord enden mußten. Eine medizinische Kur ohne giftige Medizinen, eine hochinteressante Therapie, die oft fast eher einen "Seelendetektiv" erfordert, als einen Arzt; und die sogar tätigste Mithilfe des Patienten selbst verlangt; der in allen Fächern seines Gedächtnisses kramen muß, um aus Träumen, Stimmungen und ihm selbst merkwürdigen Handlungen das herauszukristallisieren, was sein Unterbewußtsein ihm als Seelenkrankheit angehext zu haben scheint.

Natürlich bietet ein solcher Film den Darstellern dankbare, weil schwierigste Aufgaben. Werner Krauß als der Kranke hat Wunder feinster Psychologie offenbart. Trotz exzellenter Leistungen treten die anderen in den Hintergrund: so Ruth Weyher, die Schöne und auch Jack Trevor, der Liebenswürdige, llka Grüning, die gute Mutter und Pawel Pawlow, der Seelenarzt. (...)

Natürlich ist kein Kunstwerk vollkommen. In der Handlung selbst muten die minutiösen Rückerinnerungen an den Traum, der unmittelbar nach dem Erwachen dem Patienten völlig entfallen war, etwas unlogisch an. Und fehlerhaft rein filmisch erscheinen uns die ausgedehnten Wiederholungen sämtlicher Traumszenen, auch wenn sie dann, von allem Beiwerk befreit, sich in Großaufnahmen herauskristallisieren. Hier hätten ganz knappe expressionistische Andeutungen wohl genügt, denn es entstehen Breiten, die überflüssig sind.

Dieser Film trifft die große Frage unserer Zeit. Der starke Beifall bewies es. Er wird seinen Weg wohl über die ganze Welt machen dürfen.

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