In den Tag hinein

Deutschland 2000/2001 Spielfilm

Die Kühlschränke der Hauptstadt

Kommunikation liegt ihr nicht, Karriere interessiert sie nicht. Am liebsten döst Lynn (Sabine Timoteo) in der Badewanne, stundenlang. Da raucht sie dann eine nach der anderen, bis der Aschenbecher überquillt. Aufrechte Haltung nimmt sie nur ein, um Essen zu holen. In solchen Momenten überkommen sie Anflüge von Aktionismus. Denn in ihrer WG wird der Kühlschrank stets mit Zahlenschloss und Kette vor der ungeliebten Mitbewohnerin geschützt. Der Sieg über das Sicherungssystem beschert der 22-Jährigen ein seltenes Glücksgefühl, ansonsten agiert sie voller Gleichmut. Tagsüber sitzt sie an der Kasse einer Kantine, nachts ist sie als Go-Go-Tänzerin unterwegs. Ihre Ziele sind überschaubar: die nächste Zigarette, das nächste Dosenbier, die nächste Portion Pommes. Ihr Freund ist Leistungsschwimmer – ausgerechnet. Der Begriff "Leistung" passt nicht in Lynns Dasein. Da kommt ihr Koji (Hiroki Mano) gerade recht: Der freundliche japanische Student lässt sich mit ihr durch die Stadt treiben.

Maria Speth zeigt ein Berlin, in der die alten Wertsteigerungsversprechen der Weltstadt nicht mehr greifen. Hier wird weder in Medienagenturen geklotzt, noch werden in sanierten Altbauten arrivierte Lebensentwürfe gepflegt. Die Heldin ist zwar ständig mit ihrem Fahrrad unterwegs, doch ihre Bewegung folgt keiner Bestimmung und dient auch nicht unbedingt dazu, die eigene Isolation zu durchbrechen. Die in kühles Blau getauchten Straßen, Autotunnel, Parkplätze und Tankstellen, über die die Sinnverweigerin mit ihrem zufälligen Begleiter streift, sind seltsam frei von metropolitanem Treiben. Die Hauptstadt, hier wird sie zu einer Topographie der Tristesse.

Quelle: Christian Buß, Birgit Glombitza (Red.): "Deutschland, revisited". (Katalog zur gleichnamigen Retrospektive im Kommunalen Kino Metropolis Mai - Juli 2004). Hamburg: Kinemathek Hamburg e.V., 2004

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