Stalingrad

Deutschland 1991/1992 Spielfilm

Stalingrad

Klaus Kreimeier, epd Film, Nr. 2, Februar 1993

"Nach den vorliegenden Informationen wurde für den Film "Stalingrad" die bisher größte Panzerschlacht der deutschen Filmgeschichte inszeniert." Produktionsmitteilung, Fettdruck im Original. Damit hätte ja, fast hundert Jahre nach der Erfindung der Kinematographie und exakt fünfzig Jahre nach Stalingrad, die deutsche Filmgeschichte ihre welthistorische Mission erfüllt; diese Akte könnte man nun schließen. Indes – das Wörtchen "bisher" lässt befürchten, dass die Quälerei noch weitergehen wird und auch, jeweils pünktlich zum entsprechenden Jahrestag, die Gemetzel nicht auf sich warten lassen werden.

Schon einmal in der deutschen Filmgeschichte, 1959, wurde eine Panzerschlacht um Stalingrad geschlagen; der Joseph Vilsmaier von damals hieß Frank Wisbar, und was dabei herauskam "Hunde, wollt Ihr ewig leben". Die Musik zu diesem Film stammte von Herbert Windt, der sich 1942, als das reale Massaker im Gange war, um den musikalischen Schmiss der Propagandafilme Karl Ritters verdient gemacht hatte. Ritters Werke wurden von der Goebbels-Presse als "filmische Panzerwagen" eingestuft. Von Windt könnte auch die Musik zum Vilsmaier-Film sein, obwohl sie angeblich Norbert J. Schneider komponiert hat. Aber auch der Vilsmaier-Film könnte von einem Digital Dolby aufgerüsteten Frank Wisbar inszeniert worden sein – ebenso wie den Wisbar-Film von 1959 ein adenauermäßig geläuterter Karl Ritter hätte drehen können. Schließlich taucht ja im Stab von 1991/92 noch ein leibhaftiger "Sturmpionier Hans Schwarzbraun (Zeuge der Kämpfe in Stalingrad)" auf, "um die Authentizität der Aufnahmen zu gewährleisten" (Produktionsmitteilung). Die Toten sind gar nicht tot, sagte schon der Stalingrad-Experte Alexander Kluge.

Soviel zum ewigen Leben allgemein und zur Seelenwanderung in der deutschen Filmgeschichte im besonderen, vor allem wenn es um Panzerschlachten geht.

Bavaria-Chef Doktor Günter Rohrbach hingegen war 1942 noch zu jung, um so richtig mitzumischen – sei es unter Generaloberst Paulus vor Ort oder unter Karl Ritter in Babelsberg oder auf den Dreh-Sets der damaligen Bavaria. Dort war man im übrigen auf ein Verhängnis namens Vilsmaier noch gar nicht gefasst – der wirkliche Krieg reichte vollkommen aus. Die Gnade der späten Geburt prädestinierte Rohrbach zum linksliberalen Autor der "Filmkritik", für die er Ende der 50er Jahre, als schon wieder Panzer über deutsche Leinwände rollten, u.a. Kriegsfilm- und Antikriegsfilmkritiken schrieb. Texte, die er heute wiederlesen könnte, ohne zu erröten, wäre er nicht inzwischen ein Film-Tycoon – und seit neuestem eben Koproduzent der bisher größten Panzerschlacht der deutschen Filmgeschichte geworden.

Gedreht wurde in Italien, in Prag und Umgebung, auf dem größten russischen Truppenübungsplatz in Böhmen und am finnischen Polarkreis. Der Radius entspricht ungefähr, lassen wir einmal großmütig Frankreich links liegen, der Ausdehnung der deutschen Besetzungen Anfang 1943 – unter Auslassung der sowjetischen Gebiete. Pietätvollerweise wollten wohl Rohrbach und Co. den von aktuellen Sorgen ohnehin gebeutelten Russen eine abermalige deutsche Offensive und ein zweites Stalingrad ersparen. Für den Untergang der 6. Armee wählte man also arktische Gefilde; um ihn realistisch zu gestalten, benötigte man dennoch "die größte existierende Schneemaschine" (Produktionsmitteilung). Offenbar macht sich das Abschmelzen der Polarkappen auch in der Filmproduktion bemerkbar: ein richtiger Winter ist eben nicht mehr billig zu haben.

Was noch? Zahlen natürlich: 20 Millionen DM Produktionskosten, ca. 100 Stuntleute, 12.000 Statisten, 9.000 Original-Uniformen "(samt Zubehör wie Helme, Koppeln, Schiffchen, Schulterklappen etc.)", 3 Tonnen Sprengstoff, 100.000 Schuss Munition – und- so weiter, na ja: an Harlans "Kolberg" reicht das bei weitem nicht heran. Immerhin: "13 tschechische, voll funktionsfähige Original-T34 Panzer aus russischen Beständen, Baujahr 1942, kamen während der Dreharbeiten zum Einsatz" (Produktionsmitteilung, Fettdruck im Original). Ich hatte schon immer den Verdacht, daß die Filmproduktion, wenn man sie nur ernsthaft und richtig deutsch betreibt, nichts anderes als eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mittel ist. Noch ein paar Stalingrad-Filmchen, und die letzten Restbestände der Roten Armee dürften endgültig zerschmettert sein.

Ach ja, einen Verlustbericht gibt es auch, getreu dem Grundsatz, dass man dem Volk die Wahrheit sagen muss. "Die gesamte Drehzeit hat ein deutsches Ärzte-Team begleitet. Es kam dennoch leider zu Zwischenfällen, wobei 87 Personen leichtverletzt wurden. Zwei Personen wurden schwer verletzt: Ein Stuntman und der Regisseur."

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