Mein liebster Feind

Deutschland Großbritannien 1998/1999 Dokumentarfilm

Mein liebster Feind


Oliver Rahayel, film-dienst, Nr.20, 28.09.1999

Schicksalhaft – mit weniger würde sich Werner Herzog wohl kaum zufrieden geben, wenn es darum ginge, seine Beziehung zu Klaus Kinski mit einem Wort zu kennzeichnen. Schon das erste Zusammentreffen scheint in diese Richtung zu weisen: Herzog, ein 13-jähriger Schüler, und Kinski, ein halbwegs bekannter Schauspieler, wohnten einst für kurze Zeit in derselben Münchner Wohnung. Zeit genug immerhin für Kinski, in einem zweitägigen Tobsuchtsanfall das Badezimmer zu zerlegen, und für Herzog, einen bleibenden Eindruck von Kinski mit auf den Weg zu nehmen. So beginnt Herzogs Dokumentarfilm über seinen Schicksalspartner Kinski in eben jener Wohnung, deren neue Mieter, ein gutbürgerliches Ehepaar, allerdings ziemlich sprachlos auf Herzogs Erzählungen reagieren. Herzog kümmert das wenig, er genießt, hier wie über die ganze Länge des Films, das Schwelgen in Geschichten über den grotesken und einmaligen Menschen Kinski. Schließlich erzählen all diese Geschichten auch etwas über ihn, Herzog, selbst: Auch dieser, das soll der Film durchaus implizieren, balancierte stets, auf seine Weise, zwischen Genie und Wahnsinn und ist insofern der exaltierten Kultfigur Kinski mindestens ebenbürtig. Zwei Vorteile hat der Regisseur zumal gegenüber dem Schauspieler zu bieten: Er nahm erstens für sich immer auch den Gestus des Intellektuellen in Anspruch, und er ist zweitens noch am Leben, so dass er unwidersprochen seine Versionen der Geschichten verbreiten kann.

Ein unartikuliertes Schreien hörte Herzog eines Tages am Telefon. Er wusste gleich, es war Kinski, dem er sein Drehbuch zu „Aguirre, der Zorn Gottes“ (fd 18 164) geschickt hatte, das überall sonst auf Desinteresse gestoßen war. Wie sich herausstellte, waren die Laute als Zustimmung zu interpretieren, und so begann eine lange, frucht- und furchtbare Zusammenarbeit. Die meisten deutschen Autorenfilmer beschäftigten seinerzeit ihre persönlichen Stars – Wenders „seinen“ Rüdiger Vogler, Fassbinder „seinen“ Kurt Raab und „seine“ Hanna Schygulla – , doch kaum ein Duo verfügte über ein solches Charisma wie Herzog/Kinski. Zur Entstehungszeit der Filme wurden haarsträubende Geschichten von den Dreharbeiten kolportiert, die alle auf eine unendliche Hybris ihrer beiden Protagonisten schließen ließen. Am meisten Aufsehen erregte das wohl größte Abenteuer, das je mit deutschen Fördergeldern fürs Kino bestanden wurde: „Fitzcarraldo“ (fd 23 356), der filmische und reale Kampf gegen einen Berg am Amazonas, der sich einem Schiff verweigerte, sowie gegen den Urwald, Ungeziefer, Krankheiten, und natürlich ein Kampf der Teilnehmer untereinander. Herzog erzählt von angeschossenen Kameramännern, von gegenseitigen Morddrohungen und von Indianern, die (bei „Aguirre“) gerne für Herzog den unheimlichen Kinski getötet hätten („Ich hätte nur ein Wort sagen brauchen“).

Heute lacht er darüber und freut sich wie über Erlebnisse, die er nicht missen möchte, im Bewusstsein dessen, dass so etwas kaum noch denkbar ist. Sich und das Abenteuer Kinski jetzt in Erinnerung zu rufen, scheute Herzog keine Mühen. Er zeigt nicht nur bisher unveröffentlichte Out-Takes von lautstarken Auseinandersetzungen des Teams, Herzog eingeschlossen, mit dem jähzornigen, allürenhaften Kinski, sondern er reiste auch zu den einstigen Drehorten in Südamerika und begab sich regelrecht auf Spurensuche. Er trifft den mordlustigen Indianerhäuptling, er findet die Hütte in der Wildnis, wo er einmal beinahe zurückgelassen worden wäre, er zeigt den Berg, den am entscheidenden Drehtag im rechten Moment eine Wolkenwand freigab, was Herzog bis heute für ein überirdisches Zeichen hält. Aber er besucht auch Claudia Cardinale, die ein zärtliches Gegenbild von Kinski entwirft. Angesichts der aktuellen Erzeugnisse des nach wie vor gänzlich subventionierten deutschen Kinos wird dem Autorenfilm der 70er-Jahre wieder mit Wehmut gedacht, als einer Epoche, in der Charakterköpfe verquere Projekte zustandebrachten und sich jeglicher Stromlinie, jeglicher Anbiederung ans Genre- und Mainstream-Kino verweigerten – und dafür auch noch Geld von diversen Gremien erhielten.

Vier von ihnen werden im Ausland noch immer fast ausschließlich genannt, wenn es um deutsche Regisseure geht: Fassbinder, Schlöndorff, Wenders und Herzog. Während Schlöndorff sich dem Ausstattungs- und Genrekino zugewandt hat, Wenders immerhin genau den derzeitigen Hype um kubanische Musik trifft und auch mit erzeugt, bietet Herzog eine subjektive, ausschnitthafte und daher umso treffendere Rückbesinnung auf ein Kino, dass seinerzeit oft nicht besonders erfolgreich, aber ästhetisch umso innovativer war; ein Kino, dessen viel geschmähte Schwermut, Irrungen und Einbahnstraßen aus einer verzweifelten, aber ernsthaften Suche nach Identität resultierten, wodurch es aus heutiger Sicht einen bleibenden Wert als Spiegel einer Generation besitzt.

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