Lea

Deutschland 1995/1996 Spielfilm

Lea


Silvia Hallensleben, epd Film, Nr. 9, September 1997

Kollegen hatten diesen Film in höchsten Tönen gelobt, ja gepriesen. Ein Meisterwerk. Endlich einmal keine Komödie. Und so ergreifend. Nach der Uraufführung in Venedig 1996 soll es standing ovations für Regisseur Ivan Fila und ein vor Rührung sprachloses Publikum gegeben haben. "Lea" gilt als Paradebeispiel eines deutschen Films, der im Ausland reüssiert, bei uns aber trotz Qualität und hervorragender Referenzen mangels unternehmerischen Mutes keinen Verleih findet (siehe Interview mit Fila, epd Film 3/97). Jetzt hat sich der kleine Arsenal-Filmverleih in Tübingen des Films angenommen. Endlich konnte auch ich den Film sehen. Aber war es der gleiche Film?

Sicher, "Lea" glänzt durch eine einfallsreiche Kameraführung. Eine effektvolle Lichtregie. Hervorragende Schauspieler. Eine minimalistische, trotzdem ins Blut gehende Musik. Und eine wunderschöne Kulisse. Doch all das Zauberwerk scheint nur in Bewegung gesetzt, um eine Projektions-Mechanik zu bedienen, die seit Horkheimer/Adorno, spätestens aber seit den Arbeiten feministischer Kulturkritik der frühen achtziger Jahre dem aufgeklärten Bewußtsein verdächtig sein müßte.

Dabei fängt dieser Film schön und still an und sieht anfangs so aus, als könnte er wirklich ein Film über ein Mädchen namens Lea werden. Mit einem Karren zieht das Kind frühmorgens durch ein verschlafenes Dorf und fährt Milch aus, das Licht steht schräg und über dem Tal glitzern Schneeberge. Lea ist ein Bastard, ein voreheliches Kind der Mutter. Als der Vater die Mutter vergewaltigt, um ihr einen "richtigen" Sohn zu machen, greift das Mädchen ihn rücklings mit einer Gabel an. Es folgt ein Strudel an Gewalt, Flucht und weitere Gewalt, an dessen Ende die Mutter tot, der Vater lebenslänglich im Gefängnis und das Kind als Waise in der Obhut von Onkel und Tante zurückbleibt.

Das alles ist Vorgeschichte. 14 Jahre später, es ist das Jahr 1991, sehen wir Lea wieder. Aus dem mutigen Mädchen ist eine junge Frau geworden, schön, aber verschlossen, von den Geschehnissen traumatisiert, erstarrt und verstummt. Immer noch lebt sie beim Onkel: Von der Feindseligkeit des Ersatzheims flüchtet sie in die Erinnerungen an die Mutter, die sie in einer versteckten Höhle auf einem mit Kerzen und Fotos inszenierten Altar verehrt.

Eine beklemmende Geschichte. aber noch läßt sich das traurige Schicksal der Heldin als Denunziation gewalttätiger Verhältnisse verstehen. Auch dann noch, als ein düsterer Deutscher durchs Dorf schleicht und Lea gegen die Aufgabe von Restitutionsansprüchen und die Summe von 50.000 DM dem Onkel abkauft, um sie als Ehefrau auf sein verfallenes niederbayerisches Anwesen zu verschleppen, wo der Möbelrestaurator in seiner Freizeit mit dem Revolver Blechbüchsen und Enten abschießt.

Strehlow ist ein Brutalo. Auch er bedrängt, kontrolliert und tyrannisiert die Frau. Nicht nur körperlich, auch emotional versucht er, sie anzueignen, zum Beispiel, indem er mit Hilfe einer Übersetzerin (Hanna Schygulla als einfühlsam raunende Matrone) hinter ihrem Rücken ihre Aufzeichnungen liest. Und langsam aber beständigt verschiebt sich die Perspektive: ist die Widerspenstige nicht da, um gezähmt zu werden? Ist Strehlow nicht eigentlich ein verstörter, Liebe suchender Mann? Ein Strauß wilder Rosen (Leas Lieblingsblumen, so einfach sind wir zu kriegen) und ein heimlicher Blick Leas in des Ehemanns Fotosammlung (und auf sein Geheimnis) tun den Anfang, bald spielt das Opfer dann sogar leidenschaftlich mit.

Seelenverwandtschaft!! Geradezu exemplarisch zeigt dieser Film den Umschlag aus der abbildenden – vielleicht auch anklagenden – Darstellung von Männergewalt in ihre Mystifizierung. Die Geschichte eines Frauenlebens mutiert zur Männerphantasie. Dabei beschreibt "Lea" den Aneignungs- und Zurichtungsprozeß am Weiblichen, hier der fremden, sich entziehenden Frau, in einer Ungebrochenheit, die rühren würde, wenn sie nicht so abstoßend wäre. Dabei wird Lea zum Sinnbild des projizierten anderen an sich. Die Stumme weiß bald mehr über den Mann als er selbst, sie schreibt auch nach der Übersetzung Männern unverständliche Poesie, malt sich die Seele aufs Papier und als Violinistin verschmilzt sie fast mit der Musik. Fähigkeiten, die hier nicht kulturell, sondern naturgegeben sind. Symbolische Überhöhung verschmilzt mit Degradierung. Und wenn dann auch Lea dem "Massensterben von Frauen im Rahmen (filmischer) (...) Fiktion", wie Sigrid Weigel es einmal genannt hat. zum Opfer fällt, ist wieder einmal ein Mann am weiblichen Wesen genesen. Nun kann Strehlow, endlich zum fühlenden Mann geworden, ein Bildchen für die Verflossene auf den Altar stellen.

Im Rückblick kommt auch der Anfang zu einer neuen Sicht. Leas Stummheit zum Beispiel. Hier wird die Frau nicht gleich zum Schweigen gebracht, sondern erstmal zum Sprechen, aber nur für den Mann, Der Vergleich mit Jane Campions "Piano" drängt sich geradezu auf. Die Parallelen sind deutlich: die Exiliertheit der Heldin, der "Verkauf" an einen ungeliebten Mann, eben die Stummheit und das Verschachern von Sachwerten gegen Gefälligkeiten (hier sind es, statt Klaviertasten gegen Zärtlichkeit, Briefmarken gegen von Lea gesprochene Worte). Doch während bei Campion der Handel um Schritte der sexuellen Annäherung dazu dient, sich in einer repressiven Gesellschaft das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung stückweise zu "erkaufen" und so zu ermöglichen, während das Nicht-Sprechen gerade die Kraft der Verweigerung ausmacht, dient es hier nur dem Ziel, den Widerstand des Objekts zu erhöhen, bevor man sich die Heldin gefügig macht.

Regisseur Ivan Fila ist Tscheche, lebt aber seit langem in Deutschland. "Lea" wurde, unter anderem, dieses Jahr für den Felix nominiert. Der Film ist, das wurde schon angedeutet, mit eindringlicher visueller Dramatik erzählt: schöne Bilder. Immer wieder die Fluchtbewegung der Einsamen übers weite Feld. Durchblicke durch düstere Innenräume in strahlendes Licht. Gegenstände – Gabel, Schere, Messer – nehmen übergroße hyperreale Präsenz an. Filmisch ist "Lea" ein faszinierender Film. Die Begeisterung läßt sich damit allein nicht erklären. Ist es vielleicht genau die Ästhetisierung von Machtverhältnissen, die an "Lea" goutiert wird?

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