Darstellerin
Cherryvale, Kansas, USA Rochester, New York, USA

Ihr ganzer Körper war Linie

Karsten Witte, epd Film, Nr. 09, 1985

Das erzählende Ich in Marguerite Duras' Roman "L'Amant" findet sich, mit verwüstetem Gesicht, schöner als in der einst bewunderten Makellosigkeit. Als Louise Brooks, sehr gealtert und schon zu Lebzeiten im alten Vamp-Mythos verschollen, vor die Dokumentarkamera von Richard Leacock trat, hatte man das Gefühl, jenem Stolz auf die eigene Verwüstung zu begegnen.

Brooks trat im Négligé auf. "I couldn't care less" war die erklärte Haltung. Ihre Haare, früher perfekt gescheitelt, waren unfrisiert und strebten einem imaginären Knotenpunkt zu, von dem ein Jungmädchenzopf ausgehen könnte. Ihre Stimme war scharf und schrill, und wenn sie den Namen des Regisseurs artikulierte, der sie zum Weltruhm führte, dann klang die Konsonantenfolge von "Pabst" wie ein Peitschenhieb.

So war die Erscheinung der alten Brooks als Autorin, die auf Veranlassung des Filmarchivs George Eastman House in Rochester, N. Y. Forschungen zur Geschichte des Stummfilms unternahm. Ihr Buch "Lulu in Berlin und Hollywood" war das Ergebnis, in dem eine ähnlich trostlose, aber weniger zynische Bilanz der Traumfabrik zu lesen war als in Kenneth Angers "Hollywood-Babylon". Brooks trug das Siegel der Verruchtheit, seitdem sie in die Hände des Fetischisten G. W. Pabst geriet. Die Exposition der Figur, die Brooks bei ihm spielte, erfolgte durch die Kamera stets von hinten, den Blick leicht nach unten gesenkt auf ihren schimmernden Nacken, den sie unter dem Schock des Ertapptseins abrupt wenden würde, um dem Zuschauer ein wieder rasch beherrschtes Gesicht zu zeigen. Die Nackenhaut diente Pabst als Kehrseite ihres Gesichtes, das er mit einem tastenden Schwenk freilegte.

In Howard Hawks' Film "A Girl in Every Port" war Brooks Pabst aufgefallen durch ihre unbeschwerte Körperlichkeit und ihre amerikanische Physik. Daran fehlte es im deutschen Film, dessen Räume damals oft so körperlich gebaut wirkten, daß in ihnen den Figuren der Atem der Bewegung, der Lust und der Interessen abgepreßt wurde. Brooks brachte frischen Wind nach Babelsberg.

Sie wurde Pabsts "Lulu" und erinnerte nur noch von ferne an Wedekinds dämonische Gestalt. Nichts an ihr war wirklich abgründig, und genau davor schauderte es die deutsche Kritik jener Zeit. Was erdenschwere Psyche an Wedekinds Figur war, schnitt Pabst einfach ab. Brooks lebte im Stummfilm von Luftwurzeln und Linien. Ihr ganzer Körper wurde Linie. So verlor sie sich nie an einen Mann, einen Pol, einen Handlungsanker. Ihre Linie war die der Ausschweifung, die mit Körpern, die sie streifte, nicht verschmolz, sondern was sie traf, nur temporär umspielte. Das ist ein Geheimnis ihrer kaum greifbaren Präsenz auf der Leinwand.

Ob in der "Büchse der Pandora" oder im unter Pabst folgenden Film "Das Tagebuch einer Verlorenen", immer suchten die Männer Brooks mit dem Griff der Gewalt an sich zu reißen. Fritz Kortner, in der Lulu-Verfilmung der bullige Schön, hinterließ ihr, wie Brooks berichtet, heftige blaue Flecken auf dem Arm. She couldn't care less. Sie lachte und fuhr mit Pabst an die Ostsee.

Die überlieferten Fotos zeigen sie mal als sportliches Mädel von nebenan, mal als exotisches Versprechen. Sie könnte zum Tennisplatz schlendern und ebensogut als Shanghai-Lily auftreten. Nicht auszudenken, wie ein Josef von Sternberg, der dazu nicht kam, sie mit glitzernden Symbolen der Verführung behängt hätte. Brooks' Ausdruck changierte wie Seide, die sie in Filmen bevorzugt trug. Sie wechselt die Haltung sprunghaft und bleibt mimisch vollkommen ausdruckslos.

Berühmt war ihr Pagenkopf. Darunter steckte kein dienstbarer Geist der Filmindustrie, sondern ein aufsässiger Kopf. Das in rechtwinkliger Form geschnittene Haar verlieh dem Gesicht aus Fensterglas erst Fasson, so, wie eine schwarze Blende dem Filmbild Halt gibt. Brooks' Gesicht war eine Leinwand. Deshalb kann man so schwer unterscheiden, was ihr Ausdruck zudeckt, was er aufdeckt.

Bei Filmproduzenten darf man aber kein eigenes Kino machen. Ihnen galt Brooks als kapriziös und hochmütig. Sie schien eingebildet, weil sie aus ihrer reichen Bildung Selbstbewußtsein zog. Lotte Eisner erzählt in ihren Erinnerungen, sie habe Brooks am Set von Pabst in Schopenhauers Gedanken vertieft gefunden. Das ist gut möglich. Denn aus jenem Abgrund von Lektüre kann eine/r nur als Störenfried auftauchen. Louise Brooks wußte, was sie tat. Sie wußte auch, was andere aus Unvermögen unterließen. In ihren Figuren ist die Symbiose des deutsch-amerikanischen Kinos angelegt, die erst nach dem Exodus der Filmarbeiter 1933, im Hollywood-Exil stilprägend werden sollte, nämlich Gefühle in sichtbare Physik zu übersetzen. Brooks stilisierte, was zuvor als kunstlos galt und was nach ihr keine zweite Darstellerin erreichte. Sie verkörperte die Kunst des Leichtsinns.

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