In einem Jahr mit 13 Monden

BR Deutschland 1978 Spielfilm

In einem Jahr mit 13 Monden


BHR, film-dienst, Nr. 26, 20.12.1978
Nach dem formalen Perfektionismus von "Despair – Eine Reise ins Licht" (fd 20 813) hat Fassbinder mit diesem Film zu den weitgehend improvisierten, persönlicheren Filmen der Frühzeit zurückgefunden. Dennoch ist "In einem Jahr mit 13 Monden" eine neue Erfahrung für ihn gewesen; erstmals zeichnet er gleichzeitig auch für Kamera und Schnitt verantwortlich, wie er in einem Interview sagte, "um unverstellteren Zugang zu allem zu bekommen". In bloß 32 Tagen hat er den Film – vornehmlich in der Frankfurter Wohnung von Gerhard Zwerenz – aufgenommen; es ist einer dieser Filme, die für den Macher eine Art Selbstbefreiung sind, spontan, fieberhaft, ohne viel Rücksicht auf das Publikum. Die Hauptfigur ist Erwin, ein Transsexueller, der sich nach der in Casablanca vollzogenen Geschlechtsumwandlung Elvira nennt. In langen Gesprächen, nicht in Rückblenden, erfährt man seine tragische Geschichte, hört man von der Jugend in einer Klosterschule, von einer mißglückten Adoption, die vielleicht Erwins Chance hätte sein können, von dem Versuch einer Ehe des zum Metzgergesellen genötigten sensiblen jungen Mannes, vom Scheitern dieser Ehe, aus der Erwin eine halberwachsene Tochter hat, und von der Freundschaft mit jenem Anton Saitz, der ihm zum Schicksal wurde, demzuliebe er sich operieren ließ. Als Elvira bringt er sich in Bars und auf dem Strich durch, trifft auch den inzwischen zum reichen Häusermakler avancierten Saitz wieder, der Elvira aber sogleich mit einer anderen betrügt. Der Versuch, bei der früheren Ehefrau Halt zu finden, scheitert ebenso. Am Schluß – und das weiß der Zuschauer eigentlich von Anfang an – steht der Selbstmord.

Fassbinder macht daraus nicht, wie früher aus ähnlichen Stoffen, ein Melodram, sondern er paßt die melodramatischen Ereignisse in eine sehr subjektive Beschreibung des gesellschaftlichen Ordnungsgefüges ein, für das die kalte, abweisend unpersönliche Seite der Stadt Frankfurt als bezeichnendes Synonym steht. In seinen besten Teilen ist "In einem Jahr mit 13 Monden" eine intime, persönliche Arbeit, deren fast ritualistisch stilisierte Szenen das Leiden an der Welt, die Hoffnungslosigkeit von Elviras Existenz in einer zum Mitleid unfähig gewordenen Umgebung artikulieren. Die Kernpunkte des Films sind bezeichnenderweise Sequenzen, in denen stärker als jemals zuvor in Fassbinders Filmen das Wort als Vermittler hinzutritt, Szenen oft, in denen Texte von außerordentlicher sprachlicher Dichte die ganze Aufmerksamkeit des Zuschauers beanspruchen. So zum Beispiel die Erzählung der Nonne von Erwins unglücklicher Jugend oder die Traumgeschichte der "Seelenfriede": Auf einem Friedhof stehen in den Grabsteinen befremdlich kurze Daten eingemeißelt, wenige Jahre, Monate, häufig auch Tage nur – es sind nicht die Lebensdaten, sondern die Zeiten, in denen die Verstorbenen einen Freund hatten. Leider aber ist keineswegs der Film als Ganzes von gleicher Qualität. Fassbinder hat ihn von vornherein zu breit angelegt, zwingt vieles Theaterhafte, vieles chaotisch Bedeutungsschwere nicht in eine schlüssige filmische Form. Der Bürgerschreck macht ihm immer noch soviel Spaß, daß er seiner Geschichte eine Vielzahl von Szenen aufsetzt, die in ihrer penetranten, filmisch längst abgenutzten Doppeldeutigkeit der Sensibilität der zentralen Passagen ins Gesicht schlagen. Mag sein, daß Fassbinder durchaus beabsichtigt hat, der Zuschauer solle sich in seinem Film nicht einfach zurechtfinden, solle immer wieder erschreckt, verstört, herausgefordert sein. Doch Verstörung um ihrer selbst willen, ohne gebändigt und eingebunden zu sein in ein konsequentes künstlerisches Konzept provoziert das Gegenteil von Einsicht und Verständnis. So mag es denn sein, daß Fassbinders eingeschworene Gemeinde diesen Film mit Nutzen sieht, vielleicht auch noch die „Pathetisierung der Bilder“, den hineingeworfenen Schopenhauer und die allzu bewußt zelebrierten Geschmacklosigkeiten positiv begreift, von der Mehrzahl der Kinobesucher entfernt sich Fassbinder jedoch immer mehr.

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