Märkische Forschungen

DDR 1981/1982 Spielfilm

Märkische Forschungen


Regine Sylvester, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 12, 1983


(…) Dieser Film lebt seit seiner Premiere bei uns weniger, als er leben könnte, er spielt nicht die Rolle im Gesamtprogramm, die er als sein Maß akzeptieren dürfte. Vielleicht tritt durch diesen Kritikerpreis heute ein Agens hinzu, der dem Film nochmals in die Kinos und Gespräche hilft. Roland Gräf hat aus dem Buch von Günter de Bruyn einen aufregenden Film gemacht, der sich vor der Güte seiner literarischen Vorlage verneigt, der dennoch oder deshalb Filmkunst geworden ist. Er hat die Sprache der Literatur im Film belassen, und nach erster Überraschung wird daraus Vergnügen, wieder ein Timbre zu entdecken, die Noblesse der Umschreibungen, die vergessenen Wörter und den vergessenen Wohlklang. Die Schauspieler machen aus dieser Sprache ein federndes Plateau, das ihre gestischen und mimischen Einfälle auf spielerische Weise mitträgt. Es entstehen soziale Psychogramme. Das kann ein Kabinettstück sein, wie der sieghafte Vortrag Eberhard Esches seiner unter dem Schnapsglas versteckten Streitschrift; das kann eine stille berührende Einsicht sein wie Kurt Böwes Fazit an seinem Geburtstagsabend. Die Besetzung erscheint mir unübertrefflich, jede Figur bekommt ihre Chance; Kurt Böwe ist kein Bösewicht, mit dem Mann kann man leben. Einmal nur spielt er mit seiner Macht direkt, da sitzt er wie aus Fels gehauen hinter seinem Schreibtisch. Sonst lümmelt er mit krummem Rücken im Sessel oder schreitet gravitätisch, Kopf zurück, Bauch heraus, eingebildete Ehrenfronten ab. Ein ständiges Manövrieren der Arme verweist die Partner in gewünschte Richtungen. Hermann Beyer hält alles fest an sich: Arme, Beine, Aktentasche. Weil er auf engstem Raum bleibt, macht er die erstaunlichsten Sachen mit dem Gesicht: Jeder Gedanke findet seine Runzeln, er spielt mit leuchtenden Augen, gespitztem Mund und Nasenlöchern. Am Ende hat er ein zerklüftetes, nacktes, wehrloses Antlitz. Mir ist noch gut im Ohr, als meine Kollegin Rosemarie Rehahn von der Anziehungs- und Abstoßungskraft beider Figuren auf sich selbst sprach, in jedem ein Menzel, in jedem ein Pötsch.


Die Kamera von Peter Brand bekennt sich zum Erzählton ohne Spekulation und Eiferei. Sie hält sich frei von der Karikatur der Verzerrung. Sie malt keine Stimmungen der Jammerei. Einmal nur, schon ziemlich spät im Film, zeigt sie das bleiche Gesicht des Pötsch, da hat sich irgendein Schatten oder eine Unschärfe um ihn gelegt, wie eine Kappe, eine Kapuze, ein Helm, da sieht man plötzlich einen gequälten Mann, der durch die Jahrhunderte ging. Da denkt man an die Bilder der alten Meister und ihre Modelle aus einem starken Volk.

Das Szenenbild von Dieter Adam besteht, gerade in der Ambiance geistiger Auseinandersetzung, auf sinnlichem, assoziativem Spielmaterial – wie bei diesem albern niedrigen Zaun mit der Sprechanlage, oder beim Gabentisch des Professors. Mit dem Landlehrerhaus und der Villa baut er zwei Lebensbereiche, die nicht durch äußere Attribute auf Gegenkurs gelenkt werden. Es sind nicht die materiellen Unterschiede, die diese beiden Fastfreunde zu Feinden werden läßt. Nach den tieferen Gründen zu forschen, hat dieser Film in unsere Hände gelegt.

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