Lebewohl, Fremde

Deutschland 1990/1991 Spielfilm

Wie ein Hund

Tevfik Ba?ers dritter Spielfilm



Andreas Kilb, Die Zeit, 23.08.1991

Ein Hund zu sein ist eine Sache; ein verfolgter politischer Dichter eine andere. Als Hund muß man, wenn man kein Zuhause hat, vor fremden Türen um sein Futter bellen. Ein politischer Dichter dagegen, der aus einem türkischen Gefängnis entkommen ist, gelangt vielleicht mit einigem Glück nach Deutschland und stellt dort einen Asylantrag. Das ist der Unterschied. Tevfik Başer, scheint es, hat ihn nicht verstanden.

In Tevfik Başers neuem Film "Lebewohl, Fremde" spielt der türkische Schauspieler Müsfik Kenter den türkischen Dichter, die polnische Schauspielerin Grazyna Szapolowska (zuletzt war sie in Krzystof Kieslowskis "Kurzem Film über die Liebe" zu sehen) eine ostfriesische Hallig-Bewohnerin und ein namenloser Hund den Hund. Sprachprobleme gibt es nicht, denn erstens spricht der türkische Dichter mit der deutschen Frau, die ihm Unterschlupf gewährt und in die er sich verliebt, bis zum Schluß nur Türkisch, und zweitens wird die polnische Schauspielerin Szapolowska von der deutschen Schauspielerin Eva Mattes synchronisiert, was zu erquicklichen Begegnungen mit der friesischen Mundart führt ("Moin, Karin." - „Moin, Klaus. Wie geit et deer?"). Und der Hund, drittens, bellt.

Drei Schicksale werden hier zusammengeführt: Denn immer, wenn sich der Dichter Deniz vertrauensvoll der Hallig-Schönheit Karin nähert (was aus dramaturgischen Gründen mehrmals geschieht), ist, im Gegenschnitt, auch der Hund mit dabei. Und als der türkische Fremdling einmal verzagt an Karins Haustür kehrt macht (sie hat gerade Freunde aus Hamburg zu Besuch), da streicht auch sein vierbeiniger Freund mutlos um das untraute Heim. So erfährt man beiläufig und absichtsvoll das Ungeheuerliche: daß der türkische Dichter Deniz ein armer Hund ist, der in Deutschland um sein Überleben kämpft; und daß Tevfik Başer ein deutscher Regisseur ist, der mutig, aber vergeblich um den poetischen Ausdruck ringt für die Geschichte, die er erzählen will.

"Lebewohl, Fremde" ist Tevfik Başers dritter Spielfilm nach "40 qm Deutschland" (1986) und "Abschied vom falschen Paradies" (1988). In allen drei Filmen geht es um Menschen, die aus der Türkei nach Deutschland kommen, um in Freiheit zu leben, aber nach kurzem Traum in einer neuen Gefangenschaft erwachen: eine Frau und ein Mann in der Hölle einer Zweizimmerwohnung; eine Frau, die ihren Mann getötet hat, im Gefängnis; ein politisch Verfolgter auf einer Insel im Wattenmeer. Lauter einzelne: Menschen ohne Welt.

Der Regisseur Başer denkt auch gar nicht daran, den Leidensgeschichten seiner Figuren einen Hintergrund zu geben, eine Umgebung, eine Wirklichkeit; er liefert sie ihrer existentiellen Tragödie aus und überläßt den Rest den Schauspielern. Başers Schauspieler wirken deshalb fast immer überfordert; sie weinen, schreien, gestikulieren oder blicken bedeutend ins Leere und mühen sich verzweifelt, das zu sein, was der Regisseur von ihnen fordert: Märtyrerdarsteller.


Aber Tevfik Başer ist kein Märtyrer des Kinos und schon gar kein Prophet. Er ist, auch nach drei Spiel- und zwei Dokumentarfilmen, immer noch ein Debütant, der seine Unsicherheiten überspielen, aber nicht verbergen kann. Başer verläßt sich auf die Sympathie des Publikums und der Kritiker für seine Filmstoffe; er vertraut darauf, daß der richtige moralische Standpunkt automatisch die gelungene filmische Einstellung hervorbringt. Damit liefert er seine Filme dem dümmsten aller Kritikervorurteile aus: der Gleichsetzung von Ethik und Ästhetik.

Daß eine Geschichte ihre eigene Form produziert, muß man heute eigentlich niemandem mehr erklären. In "40 qm Deutschland" brachte die klaustrophobische Situation der Hauptfigur, einer eingesperrten Frau, eindrucksvolle Visionen der Enge und Gefangenschaft hervor. Aber schon "Abschied vom falschen Paradies", eine Einpersonengeschichte mit vielen Nebenrollen, bestand eher aus guten Vorsätzen als aus überzeugenden Bildern; und "Lebewohl, Fremde", ein überwältigend unästhetischer Film, ist endlich nur noch aus Absichten gestrickt. Seine Figuren sind Wichtelmänner der Moral, seine Bilder Altäre des Kitsches, seine Dialoge strotzen von gutgemeinten Plattheiten: Der Pastor, heißt es etwa, habe die Asylanten auf die kleine Insel geholt, aber "er hat sich unbeliebt gemacht, keiner geht jetzt in die Kirche", als ein Inder mit einer Bauernmagd anbändelt, folgt die Strafe auf dem Fuß: Er ertrinkt im Watt; und als Karin zum letzten Mal mit Deniz, ihrem Geliebten, zusammen ist, da sagt sie: "Schade, daß ich dich nicht verstehen kann. Wir haben bestimmt viel gemeinsam." Wenn der deutsche Film so weiterstirbt, haben wir noch Grund zum Feiern.

Die Geschichte, die Tevfik Başer in diesem Film erzählen wollte, hätte von einer Liebe aus Deutschland gehandelt, die sich gegen den Haß der Außenwelt ihr Recht erkämpft. Die Geschichte, die der Film tatsächlich erzählt, handelt von der Unerfahrenheit seines Regisseurs, der Hilflosigkeit seiner Akteure, der Schlampigkeit seiner Techniker, den Ungereimtheiten der Montage, den Unzulänglichkeiten der Produktion, Und daß der Vergleich eines Dichters mit einem Hund manchmal eine Weisheit, meistens aber eine Unverschämtheit enthält, muß Başer über all der Mühe entgangen sein. "Wie ein Hund": Die Scham darüber, ihn gedreht zu haben, soll diesen Film überleben.

© Andreas Kilb

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