Roland Suso Richter

Darsteller, Regie, Drehbuch, Schnitt, Musik, Produzent, Produktionsleitung
Marburg an der Lahn

Kino aus einem Guß

Gespräch mit Roland Suso Richter

Oliver Rahayel, film-dienst, Nr. 7, 01.04.1997

Nach Jahren der Fernseharbeit kehrt Roland Suso Richter mit dem Film "14 Tage lebenslänglich" auf die Kinoleinwand zurück. Geboren am 7.1.1961 in Marburg, drehte Richter seinen ersten eigenen Kurzfilm 1982 ("Überflüssig"), zwei Jahre später kam "Kolp" in die Kinos. Ab 1988 war er als Regisseur fürs Fernsehen tätig, drehte u.a. zwei Filme der Krimi-Serie "Alles außer Mord" und erregte Aufsehen mit "Dagobert" (1994), einem Film über den gleichnamigen Kaufhauserpresser. Zeitgleich mit seinem neuesten Kinofilm entstand die Fernseharbeit "Buddies – Leben auf der Überholspur".

Die Bilder in ihrem Film sind sehr stilisiert, keine Spur von Naturalismus. Wie würden Sie Ihre stilistische Herangehensweise charakterisieren?

Richter: Für mich war es sehr wichig, mich von der deutschen Realität "Knast" zu lösen, weil sie sehr unfilmisch ist. Die Wände sind grün-gelb gestrichen, die Vollzugsbeamten haben grüne Hemden an - das hat mit Kino, wie ich es mir vorstelle, nichts zu tun. So haben wir eine ganz eigene Ästhetik für diesen Knast gefunden, damit er im Film funktioniert. Für den Kameramann Martin (Langer) gibt es natürlich Vorbilder in Amerika: derart mit sehr kontrastreichem Licht zu arbeiten und mit dieser Dunkelheit, was ich auch gut finde, weil das den Blick fokussiert und nicht so viel Firlefanz drumherum zeigt. Was ich immer versuche, ist, alle Zutaten zu kanalisieren: Schauspieler, Kostüme, Kamera, Licht so zu reduzieren, daß der Film letztlich einen Guß bekommt. Das gelingt nicht immer, aber doch über weite Strecken, auch durch die Farbgebung, so daß daraus ein "Look" entsteht, der die Charakterisitik des Films ausmacht.

Entsprechend ist das Drehbuch angelegt: Es gibt keine Schlenker und bewegt sich immer geradeaus auf das Ziel der Geschichte zu. Wie sind Sie an das Drehbuch gekommen?

Richter: Eine Urfassung hat mir der Produzent Werner Koenig vor drei Jahren in die Hand gegeben. Ich fand, daß es der Auftakt wert war, ihn zu erzählen - da kann man sich durchaus noch einmal an eine Knastgeschichte heranwagen. Diese Annäherung an den Knast, wie eine Figur den Boden unter den Füßen verliert, fand ich sehr faszinierend. Dann haben wir angefangen zu arbeiten. Natürlich gab es Versionen mit Schlenkern. Ich war immer ein vehementer Verfechter der Theorie: keine Schlenker, denn je geschlossener das System ist, desto mehr kann ich auch eintauchen, desto präziser kann ich meine Situationen erzählen. Der Produzent sagte: Wir müssen raus, immer nur im Knast drehen, das geht nicht. Also habe ich Schlenker gedreht, ihm zuliebe, aber es ging nicht. Gerade das Klaustrophobische, wie im U-Boot unterzutauchen und den Himmel aus den Augen zu verlieren, ist ja das Faszinierende.

Es ist dies Ihr Kino-Comeback nach vielen Jahren Fernsehen. Da werden Sie sich den Stoff sehr genau ausgesucht haben.

Richter: Ja. Es war ja immer eine große Lust da, es ist das, wo ich immer hinwollte. Ich habe immer auf das Drehbuch gewartet, das ich auf der Leinwand sehen wollte, das Kinoqualität hat, eine Dimension, die den normalen Fernsehalltag übersteigen kann. Wir gehen ja ins Kino, um große Dimensionen zu sehen und nicht ein aufgeblasenes Fernsehspiel. Durch die Steuerbarkeit der Story und der Kamera habe ich gesehen, daß ich Dinge machen kann, die ich im Fernsehen nicht machen kann, auch weil da das Geld fehlt. Wir haben den Knast komplett umgewandelt, neu gestrichen, 300 Neonröhren aufgehängt, das hat 250.000 Mark gekostet. Da fängt bei mir Kino an, wenn ich steuern kann.

Aber Sie haben lange Jahre Fernsehen gemacht, auch erfolgreich. Irgendetwas muß ja für Sie dran gewesen sein.

Richter: Nach den ersten beiden Filmen gab es keine Produzenten, die sich um uns gekümmert haben. Ich habe dann herumgejobbt im Filmbusiness, in allen möglichen Berufen. Dann endlich kam das Fernsehen, und es war mir tausendmal lieber, dort meinen Beruf als Regisseur auszuüben. Ich habe diese Fernsehsachen immer als Fingerübungen verstanden. Ich habe immer viel ausprobiert, und so hat sich ein Riesenfundus entwickelt, auf den ich heute zurückgreifen kann. Das hat mich gewappnet für die Zeit, in der ich zum Kino zurück will. Ich bin froh, daß dies nicht mein erster und auch nicht mein zweiter Film ist.

Fernsehen also, um das Handwerk zu erlernen.

Aber Sie gelten auch als jemand, der das Fernsehen für neue Erzählstrukturen geöffnet hat. Richter: Weil ich immer gesucht habe. Wir haben immer versucht, mit diesen Fernsehstücken einen neuen Weg zu gehen. Ich bin nie verkrampft daran gegangen, weil ich ja immer Kino machen wollte. Ich habe nie vor irgendwelchen Fernsehredakteuren gekuscht, und mit dieser Frechheit konnte man das ganz gut durchstehen.

Kino und Fernsehen schließen sich für Sie nicht aus. Sie haben jetzt für SAT1 den Film "Buddies" gedreht. Wie sind Sie den angegangen?

Als Kinofilm, als Film fürs Fernsehen? Richter: Es wäre durchaus möglich gewesen, den auch ins Kino zu bringen, es gab darüber Gespräche. "14 Tage lebenslänglich" ist klassisch, großes Kino, mit Scope, "Buddies" ist mehr "trashy": viel Handkamera, ein bißchen "Trainspotting", das gefällt mir auch sehr gut. Die ganze Geschichte ist ja so angelegt, ständig auf dem Trip zu sein, und es war eine Herausforderung, so einen Trip zu inszenieren. Der Film ist nicht moralisch, das finden manche verwerflich, aber die Jungs sind so. Es geht ja um Waffengeschäfte.

Sie treten zu einem Zeitpunkt wieder auf die Filmbühne, an dem Komödie großgeschrieben wird, einige aber einen Umbruch im deutschen Film prognostizieren. Wo sehen Sie da Ihre Stellung?

Richter: Ich wollte immer in die Drama-Ecke. Ich wollte keine Komödie wegen der Zahlen drehen oder um danach etwas Ernsthaftes zu machen. Das geht meistens sowieso nicht. Es ist tatsächlich ein schöner Zufall, daß es jetzt eine Ermüdungserscheinung beim Publikum gibt, das fragt: Gibt es nicht noch was anderes? Das hilft uns, aber das kann man vorher nicht bestimmen. Auch daß es gerade mehrere Knastfilme gab, "Männerpension" oder auch "Alles nur Tarnung", ist Zufall.

Würden Sie sagen, daß der Erfolg der Komödien eine Chance eröffnet, jetzt "vernünftige" Filme zu machen, oder ist von vorneherein eine falsche Richtung eingeschlagen worden?

Richter: Die Komödien haben schon die Leute daran gewöhnt, daß man wieder in deutsche Filme gehen kann. Jetzt muß aber der Sprung zu anderen Themen geschafft werden. "Jenseits der Stille" ist ein gutes Beispiel. Ich denke nicht, daß es ein Fehler war, aber es kann nicht sein, daß sich der deutsche Film nur über die Komödie definiert. Das wird sich in den nächsten Jahren zeigen, aber es wird möglich sein, etwas zu entwickeln.

Machen Sie das an Hand von bestimmten Autoren, Regisseuren oder Produzenten fest?

Richter: Es sind viele junge neue Produzenten dazugekommen, die den Mut haben, Kino zu machen, während die alten irgendwann gesagt haben: Kino hat keinen Sinn. Es gibt da auch die entsprechenden Regisseure, ganz junge, die ihren ersten, zweiten Film noch vor sich haben, aber auch welche meiner Generation.

An welche Art der Finanzierung glauben Sie für die Zukunft? Bei "14 Tage lebenslänglich" war es eine Mischung aus öffentlichen Geldern und privaten, von "premiere".

Richter: Filmfinanzierung wird in Deutschland immer ein Konglomerat bleiben aus öffentlichen Förderungen, Fernsehsendern und Verleihgarantien - bürokratisch und zersplittert. Auf dem Markt wird der Film als Produkt gesehen, und wir hoffen, daß wir es gut verkaufen.

Viele machen die Gremien, die über die öffentlichen Gelder entscheiden, verantwortlich für die Komödienschwemme.

Richter: Die Fahne in den Wind halten, hat immer gut funktioniert. Ich bin sicher, wenn Filme der ernsteren Art Erfolg haben, wird das wieder passieren. Der nächste Schritt muß dann sein, sich davon zu distanzieren und es noch besser zu machen.

Sollte man dabei so etwas wie deutsche Realität berücksichtigen oder eher allgemeingültige Geschichten erzählen?

Richter: Es gibt sicher Projekte, bei denen ich nichts dagegen habe, wenn es einen Bezug zu Deutschland hat, etwa bei "Svens Geheimnis" (Anm.: Richters preisgekröntes Fernsehspiel aus dem Jahr 1995). Aber ich versuche in den meisten Fällen - und das ist ja auch Kino - , aus der absoluten Realität herauszugehen und eine eigene zu entwickeln. Die muß nicht zwangsläufig typisch deutsch sein. Es sind die archetypischen Figuren, die mir Spaß machen, und die jeder versteht, auch in England oder Frankreich, und nicht, an der nächsten Ecke zu drehen.

An welcher Art Kino orientieren Sie sich? Am amerikanischen, europäischen?

Richter: Die frühen Filme von Scorsese, Bertolucci, Coppola - für mich einfach großes Kino, es entführt mich in eine andere Welt: "Es war einmal in Amerika", "Der letzte Kaiser"...

Eher die epischen Geschichten ...

Richter: Ja, so etwas sollte es im deutschen Film auch geben.

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