Weitere Namen
Sybille Maria Christine Schmitz (Geburtsname)
Darstellerin
Düren München

"...kein Platz mehr im deutschen Film"

Die Schauspielerin Sybille Schmitz haßte den Reklame-Rummel



Richard Ray, Frankfurter Rundschau, 16.04.1955

"Man kann mich nicht mehr brauchen", steht in einem Abschiedsbrief der Filmschauspielerin Sybille Schmitz. Die Polizei fand sie schon sterbend in einem Zimmer, das sie als Untermieterin bewohnte. Der Arzt konstatierte einen Kollaps, hervorgerufen durch eine Überdosis von Schlaftabletten. Briefe, kurz vor dem Selbstmord geschrieben, sprechen von materieller Not, von Engagements, die nicht zustande kamen, und Plänen, die, kaum gefaßt, wieder in Nichts zerronnen. "Nimm meinen Mantel", schrieb sie an einen Freund, dem sie noch Geld schuldet. Kaum mehr ist ihr geblieben, dem Star, der einst eine Berliner Luxusvilla bewohnte.

An der verschlossenen Zimmertür, die von der Polizei aufgebrochen wurde, hing ein Zettel: "Bitte nicht wecken!" Das ist das Ende einer Frau, die man zu den Großen des deutschen Films zählt, auch wenn ihr wandlungsfähiges, herbes Gesicht in den letzten Jahren kaum noch auf der Leinwand erschien. Versagte sie sich ihrem Publikum, zu dem besonders die Frauen zählten, die mehr auf die Wesenszüge einer Schauspielerin achteten als auf ihr äußeres Erscheinungsbild? Sie versagte sich nicht, sie wurde vielmehr dem Filmpublikum vorenthalten von den Produzenten und Regisseuren des neuen deutschen Films, der auf Konfektion eingestellt ist, der meist Dutzend-Gesichter vorzieht.

Keine Backfisch-Lieblichkeit

Das Gesicht der Sybille Schmilz, ihre ausgeprägte Persönlichkeit, paßten nicht in dieses Schema. Das ist der Angelpunkt der Tragödie, die in München endete. Nach heutigen Maßstäben war Sybille Schmitz keineswegs ein alternder Star. England hat seine Vivien Leigh, Amerika seine Bette Davies, Frankreich Michèle Morgan, Edwige Feuillère und Madeleine Renaud. Alles Frauen, denen die Backfisch-Lieblichkeit und oberflächlicher Sex fehlen, die aber ihre Rollen mit; jener gereiften Darstellungskunst erfüllen, die später ihren Filmen zu Welterfolg verhelfen – einem Erfolg, der der neuen deutschen Produktion versagt ist.

Sybille Schmitz war erst 45. Sie stand nicht am Ende, sondern in der Mitte ihres Lebens. Aber was bedeutet schon (mit wenigen Ausnahmen) Leben und Realität für den deutschen Film. Sie spielen in den neuen Streifen eine ebenso untergeordnete Rolle wie jene Figuren am Rande, die man Sybille Schmitz noch spielen lassen wollte. Sie war durch und durch elegante Frau und ließ sich dennoch nicht auf diesen Typ festlegen. Sie war wählerisch in ihren Rollen, wählerisch auch in ihrem Privatleben.

Nach dem Krieg spielte sie als Kelly Dreyfus das Schicksal einer jüdischen Freundin, dann wurde es still um Sybille Schmitz. Denn es kamen die Heimatfilme, der Klamauk, die Eintagsfliegen der entfesselten Unterhaltungsbranche. Sie wich zum Theater aus, holt sich Erfolge in Hamburg. Frankfurt und München, dreht auch noch zwei Filme. Für die "Ratten", einen Film, der augenblicklich nach Gerhart Hauptmann in Berlin gedreht wird, war sie vorgesehen, erhielt jedoch im letzten Augenblick eine Absage, mit ein Grund für die Depression der letzten Tage.

Vor wenigen Wochen sagte sie im Gespräch: "Zu unrecht bin ich in den Verdacht gekommen, daß ich hochmütig bin, aber ich habe einen Ruf zu verlieren. Man hat mir zum Beispiel vorgeschlagen, daß ich in einem Film eine Bardame spielen soll. Ich habe nichts gegen Bardamen, aber ich bin nicht der richtige Typ dafür. Hinter solch einer Rolle müßte im Drehbuch ein Schicksal, stehen. Ich habe das Drehbuch nicht zu sehen bekommen, und so muß ich mich weigern, die Rolle zu übernehmen." Und weiter: "Für Frauen meiner Art ist kein Platz mehr im deutschen Film. Luise Ullrich ist die einzige, die wieder Rollen gefunden hat." Sie sprach ohne Neid von der Kollegin.

Sybille Schmitz war eine Dame. Sie haßte den Publicity-Rummel, der sich in der Nachkriegsproduktion überschlägt. Sie drängte sich nie in den Vordergrund. Sie glaubte an ihre künstlerische Begabung. Sie ist in der Gesellschaftsspalte einer Münchener Privatzeitung, die den Filmruhm schürt, nicht ein einziges Mal erschienen. Sie wurde immer einsamer. Sie empfing nur noch wenige Besuche. Bis das Gefühl in ihr: "Man kann mich nicht mehr brauchen" so stark wurde, daß sie ein Schild an ihre Zimmertür heftete mit der Aufschrift: "Bitte nicht wecken."

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