Martin Niemöller: "Was würde Jesus dazu sagen?" - Eine Reise durch ein protestantisches Leben

BR Deutschland 1982-1985 Dokumentarfilm

Martin Niemöller: Was würde Jesus dazu sagen?


K. Koddenberg, film-dienst, Nr. 22, 29.10.1985

Während dreier Jahre haben Hannes Karnick und Wolfgang Richter ihre vielen Gespräche aufgezeichnet, die sie mit dem evangelischen Theologen und Friedenspastor Martin Niemöller geführt haben. Martin Niemöller – der Name steht für ein Leben voller überraschender Widersprüche und Wandlungen. Die Bandbreite reicht dabei vom "preußischen" U-Boot-Kommandanten im 1. Weltkrieg über den Pastor der "Bekennenden Kirche" bis hin zum maßgeblichen Mitinitiator des "Krefelder Appells". Niemöller selbst sagt im Film: "Ich habe mich von einem sehr konservativen Menschen zu einem fortschrittlichen Menschen und am Schluß zu einem revolutionären Menschen entwickelt." Diese enorme Entwicklung vermittelt beispielhaft die zitierte Korrespondenz mit Albert Schweitzer, in der dieser feststellt, daß Niemöller vor Dakar als U-Boot-Offizier dem späteren Freund und Mitstreiter im Anti-Atom-Kampf aufgelauert und potentiell nach dem Leben getrachtet hatte.

Der Film erzählt wenig Privates. Was sich erschließt, ist ein faszinierendes Stück Geschichte mit allen Sprüngen, Brüchen und Widersprüchen. Es geht um das Leben eines zuletzt 92jährigen, welches eng verbunden ist mit der Geschichte Preußens, Deutschlands und zweier deutscher Staaten. Es geht um einen leidenschaftlichen Pastor, der sich immer wieder in tagespolitische Auseinandersetzungen verwickelt, weil er als Richtschnur seines Tuns und Lassens nur die persönliche Verantwortung für den Willen Gottes gelten läßt: "Was würde Jesus dazu sagen? Wenn man sich daran hält, dann ist man keinem genehm."

Der Film ist nicht chronologisch aufgebaut, sondern eher assoziativ, historisch-vernetzend. Die Dramaturgie des Films entspricht dem ganzheitlichen Spannungsverhältnis, das Niemöller auch für sein Leben sieht: Menschliches Leben entwickelt sich in ständiger Verknüpfung mit der Vergangenheit. Geschichte ist nicht etwas einmal Abgeschlossenes, sondern ein lebendiger Prozeß, der uns nie entläßt. Im Vordergrund stehen demgemäß Bilder der porträtierten Person, dazu werden illustrierend historische Dokumentaraufnahmen montiert. Einerseits machen Niemöllers Authentizität, seine Vitalität und Spontaneität genauso wie seine sympathische Offenheit den Film sehr lebendig, andererseits bleiben wichtige persönliche Bereiche leider völlig unerwähnt: seine Familie, die Kinder, seine zwei Frauen, Freunde, die religiösen und spirituellen Quellen, die ihm ständig neue Kraft und Antrieb verliehen haben. Sicher, auch so gelingt es den Autoren, ein beeindruckendes Bild vom politischen und kirchlichen Engagement Pastor Niemöllers zu zeichnen. Das hat ohne Zweifel eine hohe Bedeutung für eine Zeit, in der das geschichtliche Bewußtsein der jüngeren Menschen nicht gerade breit angelegt ist. Trotzdem stellt sich die Frage, ob für das "Beispielnehmen" den Zuschauern nicht noch weitere Zugänge zum Leben Martin Niemöllers hätten eröffnet werden können.

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