P.S.

DDR 1977/1978 Spielfilm

Ein Film zum Mögen



Günter Agde, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 22, 1979




Ja, das ist ein Film zum Mögen. Gewiß, kein gültiges ästhetisches Kriterium, aber der Antrieb zu kritischer Auseinandersetzung kann wohl auch über eine offenherzige, einfache Sympathieerklärung beginnen.


Der Film nimmt sich ein altes Vorrecht der Kunst: er gestaltet eine besondere Geschichte und macht den Zuschauer durch sie auf Alltägliches im Leben aufmerksam, vielleicht auch nachdenklich. Nicht eigentlich die Geschichte, vielmehr der Held ist besonders. Kein exotischer Außenseiter, kein Abenteurer oder Tausendsassa, sondern eine Vollwaise, im behütenden, auf Gemeinschaft bauenden Heim ausgewachsen, das sichtbar Zwänge und Grenzen schafft und Schönheiten bereithält, einer von Hundert mit gleichem schwerem Los. Nun 18 und damit "erwachsen", wird er "ins Leben" entlassen, muß "auf eigenen Füßen" stehen, sich "seinen Weg" suchen. D. h. konkret: eine Behausung wohnlich machen, arbeiten und das verdiente Geld "verwenden", Freunde gewinnen, also sein ganz eigenes, unverwechselbar nur ihm zugehöriges, von ihm selbst gelebtes Leben schaffen. Peter Seidel tut all das – mit Irrtümern, Widersprüchen, Fehlern, mit wachsenden neuen Erkenntnissen, die allemal ihre spezifische Prüfung in der Praxis brauchen, mit Bitterkeit, Dummheiten, Unachtsamkeiten, ebenso mit großer Freude am Da-Sein, mit entwaffnender liebenswerter Spontaneität, mit Schwung, Kraft und Frische, die man nur mit 18 und so berstend voll Neugier auf Leben haben kann. Insofern – alles in allem – ist unser Held besonders.



Schon spiegelt sich – ein Teil der obigen Behauptung – einiges vom Alltäglichen unseres Lebens. Noch mehr wird – die Sicht und Beobachtung des Helden überschreitend, wenngleich mit ihm – verbunden – in unseren, des Zuschauers Blick gerückt: die tragikomischen Nöte des Heimleiters (Dieter Franke), die beflissene, ausgefüllte und doch einsam-entsagungsvoll-bittere, alternde Chorsängerin (Jutta Wachowiak), die für Peter die erste große, zärtlich-mütterliche Geliebte wird und schließlich doch verzichten muß, ihr Vater (Walter Lendrich), alt, einsam, mit großer Vergangenheit, Thälmanns Foto mitten unter den Verwandten-Bildern, die Gleichaltrige aus dem Heim (Franziska Troegner), die ebenso wie Peter ihr Eigenes bauen muß und rigoros keine Verbindung mit ihrem ehemaligen Leben haben will und schließlich in einer schrecklichen, ihr offenbar behaglichen Kleinbürgerlichkeit landet, und die Zufalls-Flüchtigkeits-Freundin (Sigrid Röhl-Reintsch), die ein Kind von Peter bekommt, ihm das lange verschweigt, weil sie zwischen moralisierend-betulichem Elternpaar (Barbara Dittus, Hilmar Baumann), arrivierendem Mediziner und Peter pendelt und schwankt und sich schließlich vielleicht doch finden wird.



Diese Aufzählung ist unvollständig und sehr persönlich, zudem nennt sie nur einige Figuren, die rechtens die Handlung mitbewegen, also mehrschichtig aufgefächert, vor- und rückwirkend, psychologisch nuanciert sind. Der Film hält den Blick des Zuschauers frei für diese oder andere, auf jeden Fall freilich weitere Beobachtungen, Entdeckungen, überraschende, ungewohnte Sichten auf Gewohntes, Verschlissenes, Gängiges. Diese Art Erzählweise der Autorin Helga Schütz und des Regisseurs Roland Gräf macht – meine ich – nachdenklich, weil sie auf Veränderungswertes und -notwendiges, auf Veränderbares in unserer Realität hinweist, und dies im Sinne Bertolt Brechts "Wahrer Fortschritt ist Fortschreiten." (…)

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