Schweinegeld

BR Deutschland 1988/1989 Spielfilm

Kohl & Kohle



Wolfgang Brenner, TIP Magazin, Nr. 13, 1989


"Schweinegeld" von Norbert Kückelmann ist nach "Geld" nur noch ein weiterer Film des neuen Trends: Das deutsche Kino hat die Faszination des Geldes für sich entdeckt. Daß sowas nicht von ungefähr kommt, zeigt die Analyse des eigenartigen Phänomens.


Nach einer finsteren Theorie des 19. Jahrhunderts ist das Geld nichts linderes als die "Materiatur des Tauschwertes" oder "die notwendige Erscheinungsform des immanenten Wertmaßes der Waren" (Marx, Karl, MEW Bde. 23-25). Der Wert in den Waren, von dem damals pathetisch die Rede war, ergab sich aus der Arbeit, die für die Herstellung einer Ware geleistet werden mußte. Wie wir alle wissen, ist diese Theorie langst hinfällig geworden. Mit Arbeit hat Geld nichts mehr zu tun.

Wir leben in einer neuen Zeit. Im Vergleich zu den harmlosen Verpuppungen, die Herr M. von der feudalen Tauschwirtschaft bis zur spätkapitalistischen Profitmaximierung durch Kapitalanhäufung nachzeichnete, ist die letzte und spektakulärste Materialisierung geradezu ein dialektisches Bubenstück: der legendäre Sprung von der Quantität in eine neue Qualität. Mit anderen Worten: Als Zahlungsmittel spielt Geld nur noch eine Nebenrolle, die Fetischisierung hat ihren Höhepunkt erreicht. Geld ist zur Ikone des neuesten deutschen Kinos geworden. Marx dreht sich im Grabe um.

Es wurde auch Zeit. Zu lange haben uns Hollywood-Epigonen mit Liebesschmerzen, Verbrechen aus Leidenschaft und verlorener Ehre hinters Licht geführt. Zu lange haben uns bierernste Weltverbesserer mit abstrakten Parabeln die Hölle heiß gemacht. Die Epoche der Märchen ist vorbei. Jetzt ist der neue, der neudeutsche Naturalismus angesagt. Die Dinge werden beim Namen genannt, nichts wird mehr mythologisch verbrämt. Heutzutage geht es nur noch um eines: Um die dicke Knete, nicht mehr um nebulöse Träume, die man eventuell mit Geld verwirklichen könnte, nein, wichtig ist die Sache an sich, Money makes the world go round ist eine lasche Parole von gestern. Heute heißt es trocken und ehrlich: Money is the world.

Ein glänzendes Dreigestirn fungiert als Allegorie des glücklichen Zeitalters: ein beschränktes Tennis-Traumpaar und ein pfälzischer Wonneproppen. Nicht von ungefähr tauchen die drei sporadisch in den Pilotfilmen zum Lebensgefühl des achten Dezenniums auf und verbreiten dort Frohsinn und Zuversicht, wo ansonsten Sinn und Weitsicht fehlen: Helmut Kohl, der Mentor und Übervater des German New Deal, begrüßt in Norbert Kückelmanns Finanzklamauk "Schweinegeld" die gutbetuchten Intercity-Fahrgäste über die Bundesbahnsprechanlage. In Peter Timms Bankräuber-Komödie "Fifty-Fifty" tritt der Amateur-Kriminelle beim großen Coup in der Maske des Bundeskanzlers an. Boris und Steffi, inoffiziell längst als Prinz und Prinzessin von Deutschland an der Seite von König Helmut I. inthronisiert, treten im gleichen Film an den Traualtar – das schlagzeilenträchtigste Ereignis in der Bananenrepublik BRD, sieht man mal ab von der neuesten Untat des Frankfurter Schokoladenmörders und der Bochumer Leiche ohne Kopf.

Zur veränderten Motivlage: Die Jagd ist freigegeben, die Meute darf sich nach Herzenslust um die Scheinehen tummeln. Der Sohn des schwerreichen Vaters überfällt die Hausbank einfach so. Der Weg ist das Ziel, und sobald der Bankräuber aus Langeweile im Besitz des Baren ist, verteilt er es unter seinen berufsmäßigen Begleitern wie ein zu Süßigkeiten gekommener Lausbub unter den Nachbarskindern. Seine unfreiwilligen Kumpane sind aus härterem Holz geschnitzt. Er ist der taffe Loddel, Ex-Bulle und Berufsverbrecher, sie die abgebrühte Plastiknutte, die fünf Jahre lang für ihn fleißig auf den Strich gegangen ist. Sie sind am Ende ihrer Liaison. Doch selbst in diesen unsicheren Kreisen bringt man sich heutzutage deshalb nicht um die Ecke: Man geht zusammen zur Bank und kündigt das gemeinsame Konto.

In Doris Dörries "Geld", der heimlichen Bibel des New Age, geht es noch etwas altmodisch zu. Dort holt sich das brave Hausmütterchen erst dann mit falschem Haarteil und Pistole das Geld von der Bank, als sie von dem liederlichen Gatten vor vollendete Tatsachen gestellt wird: Der Strizzi lümmelt sich tagtäglich acht Stunden am Bahnhofskiosk, um den Eindruck familiärer Vollbeschäftigung zu erwecken, und das Konto ist um satte 80 000 überzogen. Insofern gehört "Geld" noch mitten in die goldenen Fünfziger. Eine kleine anständige Familie legt sich krumm für Eigenheim und Hausstandswachstum und vergaloppiert sich dabei. Der nachbarschaftliche Gegenentwurf paßt jedoch voll in die Achtziger. Die zwei von der Sparkasse haben das, was der Bratkartoffelsippe von nebenan fehlt: den warmen Regen. Sie tragen schicke Trachtenjankerl und geile Unterwäsche, sie sind schnittig frisiert und kinderlos, haben Stil wie Geschmack, jonglieren per Laptop an der Wallstreet und bewegen sich wie Models aus der Sparerpostille. Man sieht Geld macht nicht nur glücklich, sondern auch schön. Nun ist die Dörrie kein Super-8-Mädel aus der Oggersheimer Jungen Union. Deshalb werden die guten Verhältnisse erst einmal kräftig durcheinandergewirbelt, bevor wir zur Auflösung kommen. Das gemeinsame Geld befördert den sexuellen, ideologischen und ästhetischen Austausch zwischen den zwei Welten, ansonsten gilt die alte Message auch für den neuen Menschen: Schuster bleib bei deinen Leisten.

Viel deutlicher rekapituliert der TV-Zweiteiler "Das Milliardenspiel" von Peter Keglevic und renommierten Polit-Theater-Autor Klaus Pohl die Eckwerte der monetären Ära. Finanz-Komet Gerd Asselt kennt nur ein Credo: Geldmachen um jeden Preis und mit allen Mitteln – sei es über Bankenbetrug, Bilanzkorrektur oder Export in Krisengebiete. Im "Milliardenspiel" ist Asselts Handwerk – und er übt die Spekulation durchaus mit dem Ernst und der Leidenschaft eines solchen aus – keine sozial anzueignende Fertigkeit, sondern die allseits anerkannte Spielregel der postsozialliberalen Epoche. Skrupel betreffen allenfalls die Gangart und sind eher medizinischer als moralischer Natur: Als die Luft dünner wird beim Aufstieg greift der blonde Asket nicht mehr automatisch zum Sprudelwasser, sondern eignet sich einen richtiggehenden Champagnerreflex an. Das wird mit beiläufigem Mißfallen notiert, ansonsten geht"s munter weiter von Konjunktur zu Konkurs, von Baisse zu Hausse und wieder zurück.

Norbert Kückelmanns "Schweinegeld" fällt weit hinter diese Selbstanzeige der neokonservativen Wertverschiebung zurück. Während an der stromlinienförmigen Vita des geldgeilen Asselt exemplarisch und mit einen kräftigen Zynismus das pathologische Parasitentum zum gesellschaftlich geachteten Kavaliersdelikt umstilisiert wird, zelebriert Kückelmann immer noch die gängigen Romantizismen: Der sympathische Held ist ein aufrechter Finanzbeamter, der sich aufreibt im Kampf gegen die Geldwaschanlagen der Parteien. Der Retter Armin Mueller-Stahl kommt aus dem idyllischen Milieu der finanzpolitisch gewieften Clochards und geht nach Chaplin-Manier trampmäßig ab zu neuen Horizonten, wo er weiterhin mit falschen Husarenbärten und dem Trickrepertoire eines Knattermimen für Gerechtigkeit in einer finanzethisch maroden Welt sorgen will.

Das deutsche Geld-Kino – so unvergleichbar seine Hervorbringungen auch sein mögen – hat eine gemeinsame Message, und die ist nicht mal neu. Was da dem Publikum in semidokumentarischer, semisatirischer und semiaufklärerischer Manier untergejubelt wird, war schon öfter in Umlauf. Immer wenn man glaubte, auf gesellschaftliche Utopien und auf soziale Verantwortung verzichten zu können, wurden Gründerzeiten ausgerufen, waren Wirtschaftswunderknaben und Allroundrezepte gefragt, wurden abgestandene Parolen zur Magie des Geldes in Umlauf gebracht, die entweder die wirklichen Verhältnisse verschleierten oder über die Unwissenheit hinwegtäuschten. Alle erwähnten Filme bauen auf solche Parolen, ohne sie auf ihre Haltbarkeit abzuklopfen. Geld stinkt nicht – das tut es sehr wohl, vor allem wenn man an Massengräbern im Irak verdient wie Asselt. Geld arbeitet – Papier arbeitet nicht, arbeiten können Menschen, man nennt sie auch Arbeiter – das sind die, die die Zeche bezahlen. Solange man nicht an die Grundfesten rührt und bloß längst abgelegte Karikaturen karikiert – wie das Kückelmann in seiner unverbindlichen Schmonzette tut, läßt es sich auch noch bequem mit lächerlichen Gegenentwürfen hantieren.

So siegen, wenn es denn sein muß, über die neue Prosperität Bauernschläue, Herzensgüte, Redlichkeit und Hoppla-jetzt-komm-ich-Attitüden, wie sie in "Schweinegeld" bewährte Barden wie Rolf Zacher und Mueller-Stahl und bei Keglevic der garantiert springlebendige Ulrich Tukur locker liefern.

Die Erfolgs-Rezepte der Westentaschen-Rebellen stammen denn auch eher aus der schunkelnden Aufsteiger-Komödien-Tradition der sorglosen Fifties als aus dem Repertoire einer durch die Ideologiegewitter von "68 gegangenen Generation der Langzeit-Arbeitslosen von heute. Die strahlenden Sieger sind eigentlich lachende loser, nicht die Misere wird durch die neuen Großmäuler überwunden, die Misere überwindet sie: Asselt tourt nach seinem Konkurs mit dickem Konto durch die USA, das Mekka der hereingelegten Anleger, und das Bankentrio bei Kückelmann bleibt im Besitz des mit erschreckend wenig Raffinesse eroberten Schweinegeldes. Die Helden sind ausbezahlt, damit hat das Gute gesiegt – das gute Geld.

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