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"Dob, der Stallhase" – Ein satirischer Zeichenfilm gegen das Mitläufertum

von Jeanpaul Goergen

  
Der knapp fünfminütige Zeichenfilm "Dob, der Stallhase" entstand bereits 1945 in den ersten Monaten nach Kriegsende; es war der erste deutsche Nachkriegsfilm. Hauptfigur ist das naive Kaninchen Dob, das sich willig in die Waffenproduktion einer gefräßigen Hyäne einspannen lässt, bis diese schließlich von einem starken Elefanten besiegt wird. Der in kargem Schwarz-weiß gehaltene Film ist eine Allegorie auf den Nationalsozialismus und das Mitläufertum des kleinen Mannes, der sogar dann noch weiterarbeiten will, als das Land bereits in Trümmern liegt.

Dob, der Stallhase
Quelle: Jeanpaul Goergen
Filmtitel: Der naive Hase Dob dient dem Führer

Produzentin von "Dob, der Stallhase" war die Demo-Film GmbH in Berlin. Der Regisseur Werner Hochbaum, der Dramaturg Franz Friedrich Graf Treuberg und der Produzent Alf Teichs hatten sie 1945 mit russischer Filmlizenz in Berlin gegründet. Einem amerikanischen Bericht von 12. Dezember 1945 zufolge synchronisierte sie ausländische Filme und arbeitete im russischen Auftrag an Animationsfilmen. Anderen Quellen zufolge war "Dob, der Stallhase" der erste einer Reihe von drei satirischen Zeichenfilmen. Eine "1" zu Beginn des Films verweist darauf, dass tatsächlich mehrere Folgen vorgesehen waren, die dann aber nicht erschienen.

Im August 1945 suchte das Demo-Film-Kollektiv über Anzeigen in der Berliner Tagespresse nach Phasenzeichner(innen).

Gestalter von "Dob, der Stallhase" war der Exil-Russe Sergej Sesin (*1909). Er war zuvor Zeichner und Atelierleiter bei der Deutschen Zeichenfilm GmbH gewesen, jener von Propagandamister Joseph Goebbels groß aufgezogener Filmproduktion, das dem US-amerikanischen Trickfilm eine deutsche Konkurrenz entgegenstellen sollte. Sesin war einer der Hauptzeichner des farbigen Animationsfilms "Armer Hansi" (1943) – der einzige Film, den das Unternehmen vor Kriegsende in die Kinos brachte.

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Quelle: Berliner Zeitung, Nr. 68, 2.8.1945
Anzeige der DEMO-Film

Anfang 1946 besuchte die Neue Berliner Illustrierte (NBI) das Atelier der Demo-Film. Sie berichtete von den praktischen Schwierigkeiten der Produktion, den fehlenden Zellophan-Folien für den Zeichentrick und der Arbeit mit Papierschnitzeln als Notbehelf. Der Film sollte eine "moderne satirische Fabel" sein, "die den nachdenklich-schmunzelnden Betrachter von allen Nazi-Zwangsvorstellungen befreien will."

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel vom 24. November 1945 erläuterte Produktionsleiter Wolfgang Brüning das Anliegen von "Dob, der Stallhase" so: Der Film solle "der Befreiung von allen Not- und Tod-Zwangsvorstellungen" dienen. "Dobs Erlebnisse sind allgemeingültig, doch dadurch, dass sie stilistisch ins Groteske und Phantastische abgewandelt werden, verlieren sie die Schwere und Schwerfälligkeit des Sachlich-Aktuellen. Sie sollen ein befreiendes Lachen auslösen, das gelegentlich in ein nachdenkliches Erinnern übergeht."

Der Film
Hauptfigur des Films ist das naive Kaninchen (bzw. der Hase) Dob, das im nationalsozialistischen Zwangsstaat tagtäglich gedankenlos zur Fabrik eilt: "Einmal lebte ein kleiner Hase, er hieß Dob / Und seine Nase war so arisch, ganz krumm / Doch war er brav und ziemlich dumm. / Immer saß er in vier Wänden hinter Gittern / Mit den Händen diente fleißig er und treulich / der Fabrik groß und gräulich. / Diese Knall-und Fall-Fabrik lief durch manchen Trug und Trick / In Germanien hoch auf Touren mittels vieler Kreaturen. / Waren sie erst einmal drinnen / gab's für keinen ein Entrinnen."

Dobs Arbeitsplatz mit einer überdimensionierten Uhr erinnert an die Arbeitersklaven aus "Metropolis" (1926) von Fritz Lang, während das Räderwerk der Fabrik an Charles Chaplins "Modern Times" (USA 1936) denken lässt, der im Juni 1945 wieder in Berlin zu sehen war. Mäuse und Raben halten diese Giftmühle am Laufen: "Einer machte blauen Dunst:  Volksaufklärung hieß die Kunst. / In der Tretemühle Räder zappelte gebannt ein jeder. / Dass die Produktion nicht stockte, höhere Ration ihn lockte. / Doch sooft er danach sprang, trieb er nur des Tretrads Gang. / Also spie im Drill und Dralle, die Maschine Gift und Galle, immerfort und üble Gase."

Screenshot
Quelle: Jeanpaul Goergen
Anführer des Reichs ist die bösartige Hyäne (Motiv aus dem Film)

Für die Hyäne produziert Dob am Fließband Fallen: "Führer nun war die Hyäne, zackig mit gesträubter Mähne / Dass sie Kraft durch Freude übe, selbst nahm sie die große Rübe / Auch wer vegetarisch speist, wird mitunter fett und feist." Im "Land der kleinen Leute" fängt das "Übertier" mit den Fallen Mäuse, Hamster und Eichhörnchen ein, um sich vollzufressen und zu bereichern. Dem Artikel in der NBI zufolge sollte die Hyäne "Hili" heißen; im Film hat sie aber keinen Namen.

Nur wenige können aus ihrem Reich flüchten und finden Schutz bei dem starken Elefanten Jumbo. Als die Hyäne auch diesen angreift, setzt er sich zur Wehr und legt ihr das Handwerk. Ursprünglich – so die NBI – war der Elefant als emsiger "Maurermeister Jumbo" angelegt, der "von der Propaganda-Tretmühle der Nazis" nichts wissen will, ihr aber schließlich doch verfällt.

Und der treudoofe Hase? Inmitten der Trümmerlandschaft arbeitet er unverdrossen weiter, bis ihm nichts anderes übrigbleibt, als die traurigen Reste des "3. Reichs" als Trödel zu verkaufen. Die verwaschene und unscharfe Botschaft des Films lautet: "Und die Moral von der Geschicht': Diene nicht dem Bösewicht."

Reaktionen
Am 26. Januar zeigte die Demo-Film "Dob, der Stallhase" zusammen mit ihrer Kurzdokumentation "Befreite Musik" über die Wiedereröffnung der Deutschen Staatsoper in Berlin in einer Interessentenvorführung. Sie fand im Kinosaal der Kammer der Kunstschaffenden statt, in der Berliner Schlüterstraße Nr. 45, wo vor dem Krieg u.a. die nationalsozialistische Reichskulturkammer ihren Sitz hatte. Von Zeichentrickfilm erhoffe man sich, so Werner Hochbaum in seiner der Eröffnungsrede, dass er durch die Satire "politisch-erzieherisch" wirke. (Tägliche Rundschau, 30.1.1946)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Der Hase verhökert die Reste des Reichs (Motiv aus dem Film)

Sowohl der Tagesspiegel (27.1.1946) als auch der Kurier (28.1.1946) beanstandeten die technischen Unzulänglichkeiten des Films. Sie sahen wohl die Anspielungen auf den Nationalsozialismus, gingen aber nicht weiter auf die inhaltliche Umsetzung ein. Auch die Neue Zeit (31.1.1946) bemängelte die tricktechnische Ausführung des Hasen: "Die einzelnen Gliederchen sind noch nicht voll entwickelt, in den Bewegungen etwas abrupt." Es sei eben noch kein Walt Disney vom Himmel gefallen. Allerdings kritisierte das Blatt auch das Konzept des Films: Dob "hinkt noch ein bisschen beim Huppeln, wie der politische Vergleich, dem er dient. Aber er hinkt niedlich. Doch als Rammler, als Zuchthase, für ganze Serien neuer politischer Filmfabeln ist er doch wohl ungeeignet. Man soll Tendenzen nicht gewaltsam an den Löffeln herbeiziehen, sie müssen sich aus dem besonderen Wesen der Tiere überzeugend ergeben. Die politische Losung, die Tendenz, muss als natürliches Produkt, rund und greifbar vor uns liegen."

Die Tägliche Rundschau (30.1.1946) bezeichnete den Hasen als eine "originelle Type", die man weiterentwickeln solle. Gerade das "brave und biedere Mitmachen bei der Aufrüstung" habe die Katastrophe mitbewirkt. Aber auch dieses Blatt monierte die ruckhaften, nervösen Bewegungen der Figuren.

In seiner ärmlichen und unbeholfenen Machart spiegelt "Dob, der Stallhase" den beschwerlichen Neubeginn der deutschen Filmwirtschaft. Mit seiner unausgereiften Figurenzeichnung und der sehr allgemein gehaltenen Botschaft belegt die politische Fabel aber auch die Schwierigkeiten eines angemessenen Umgangs mit dem Terror der Naziherrschaft. Trotz aller Mängeln ist der erste Versuch einer filmischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dennoch aller Ehren wert.

Die Demo-Film stellte nur diesen einen Animationsfilm her. Nach einigen Besitzerwechseln übernahm Anfang November 1948 der Dramaturg Hans Joachim Jahn das Unternehmen. Am 2. Februar 1951 wurde es aus dem Handelsregister gelöscht. Sergej Sesin, der Zeichner von "Dob, der Stallhase", veröffentlichte 1949/50 unpolitische Karikaturen und Wimmelbilder in dem Münchener Monatsblatt Neues Magazin, wo er versuchte, einen Pinguin als Comicfigur zu etablieren. Dann verliert sich seine Spur; er soll nach Australien ausgewandert sein.

Dank an Rolf Aurich und Frederik Lang.

(November 2023)

Archive:
Jupiter für OMGBS (Office of Military Government Berlin Sector): Situation Report on the German Film Industry, 12.12.1945, Typoskript, 4 Seiten (Landesarchiv Berlin, B Rep. 036-01 Nr. 4/8-2/3)
Demo-Film GmbH (Landesarchiv Berlin, B-Rep. 042, Nr. 35455/1 und Nr. 35455/2)
Demo-Film GmbH (Amtsgericht Berlin-Charlottenburg)

Literatur:
DEMO-Film-Kollektiv sucht. In: Berliner Zeitung, Nr. 68, 2.8.1945 (Anzeige)
A.D.: Der erste deutsche Film. In: Der Tagesspiegel, Nr. 30, 24.11.1945
Kulturfilme. In: Neue Zeit, Nr. 53, 21.9.1945
Dob der Stallhase. Der erste deutsche Film nach dem Kriege ist fertiggestellt. In: Neue Berliner Illustrierte, Nr. 3, 1946, S. 6-7
-ft.: Zwanzig Minuten deutscher Film. Die ersten Filme nach dem Kriege. In: Der Tagesspiegel, 27.1.1946
C.R.: Die ersten Filmchen. In: Der Kurier, 28.1.1946
Ltz.: Start des neuen deutschen Films. In: Tägliche Rundschau, Nr. 24, 30.1.1946
W.F.: Glückliche Filmgeburt. Die Demo-Film zeigt hocherfreut an... In: Neue Zeit, Nr. 25, 31.1.1946
Johannes Hauser: Neuaufbau der westdeutschen Filmwirtschaft 1945-1955 und der Einfluss der US-amerikanischen Filmpolitik. Pfaffenweiler 1989
CineGraph – Hamburgisches Centrum für Filmforschung (Hg.): Schatten des Krieges. Innovation und Tradition im europäischen Kino 1940-1950. Katalog Cinefest VI. Internationales Festival des deutschen Film-Erbes, Hamburg 2009
Schatten des Krieges. Innovation und Tradition im europäischen Kino 1940-1950. Eine historische Filmsammlung. DVD. Cinefest Edition. absolutMEDIEN 2009
Ulrich Döge: Die ewigen Masken des Werner Hochbaum. In: Elisabeth Büttner, Joachim Schätz (Hg.): Werner Hochbaum. An den Rändern der Geschichte filmen. Wien 2011, S. 15-60

 

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