Keine Startbahn West - Eine Region wehrt sich

BR Deutschland 1978-1982 Dokumentarfilm

Ein Volk macht Politik


Michael Smeaton, TIP Magazin, Nr. 5, 1982

Der geplante Bau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens hat Bürger wachgerüttelt und die Staatsmacht aus der Reserve gelockt. Was die Startbahn-Gegner bei ihren Aktivitäten erlebten und durchmachten ist nun in einem Film dokumentiert: "Keine Startbahn West – Eine Region wehrt sich".

Frankfurts Startbahn-West ist inzwischen zum Brennpunkt der ökologischen Auseinandersetzung in der "Republik" geworden. Noch nie haben so viele Menschen ihre Skepsis gegenüber chromblitzendem Fortschritt und ihren Unmut gegen die selbstgefällige Arroganz der Macht zum Ausdruck gebracht. So ist auch die Auseinandersetzung um die Frankfurter Flughafenerweiterung keine isolierte Bewegung, sondern reiht sich ein in die Tradition von Whyl, Brokdorf und Gorleben (und den anderen Orten, wo sich Widerstand gegen die Zerstörung der Lebensumwelt regt).

Erstmalig haben in Hessen die Bürger ein urdemokratisches Mittel, das Volksbegehren/Volksentscheid, in die Wege geleitet, um ein umweltzerstörendes Projekt auf verfassungsmäßigem Wege zu verhindern. Exemplarisch – quasi als bundesrepublikanischen Präzedenzfall – will hier eine sozial-liberale (!) Landesregierung den Ausgang eines solchen Verfahrens vorexerzieren und ist sich dabei der Loyalität der verfassungsrechtlichen Institutionen auf fast unverschämte Weise sicher. Damit wird die Bevölkerung eines Landes in den Kampf mit der von ihr gewählten Regierung gezwungen. Jedem, der in irgendeiner Form am Widerstand gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens beteiligt ist, ist der Zynismus in den Magen gefahren, mit dem hier die letzten Relikte von lebendiger Demokratie öffentlich mit der Brutalität von Schlagstöcken, Stacheldraht und Tränengas auf den Müll gekehrt werden, eingenebelt in den Pathos einer pervertierten Sprache der Regierenden.

Aber zum Glück und trotz aller resignativen Einschätzungen seit dem Niedergang der 68-Bewegung funktioniert noch immer ein elementarer Mechanismus: Dort, wo politisch-wirtschaftliche Interessenkartelle sich am sichersten fühlen, am kaltschnäuzigsten auftreten, produzieren sie gerade das, was ihre Absichten unterläuft: politisches Bewußtsein, demokratische Bewegung und vor allem – den Spaß am gemeinsamen Widerstand. Natürlich kann man darüber auch ein hoffnungslos ausgewogenes Fernseh-Feature machen, bei diesem Film geht es um etwas anderes: er will die Gefühle der Zuschauer ansprechen, Empfindungen wecken. Locker und satirisch wird in sechs Kapiteln die Geschichte der Bewegung erzählt, indem ein Bogen gespannt wird vom ersten aufkeimenden Unwohlsein angesichts der fortschreitenden Umweltzerstörung über verschiedene Formen von Protest bis zu dem aktiven Widerstand vor Ort.

Den Rahmen geben Aufnahmen vom Benefiz-Rockkonzert für das Volksbegehren in der Frankfurter Festhalle ab. Doch da soll kein Dokumentarfilm mit Rockmusik aufgepeppt werden, sondern eine Synthese beider Elemente wird angestrebt. Bilder vom Bau der ersten BI-Hütte, vom Erwachen des Widerstandes im Flörsheimer Wald, als immer weitere phantasievolle Hütten aus dem Boden wachsen bis ein ganzes Dorf den Startbahnplänen im Wege steht, vom Leben im Hüttendorf, gehen über in das Konzert, wenn die Bots ihr "Sieben Tage lang" anstimmen - quasi Hymne der Bewegung. Da braucht nicht mehr groß beschrieben zu werden, wie in der Halle (und im Film) die Post abgeht.

Oktober und November 1981. Der Staat zeigt seine Zähne. Sie sind hart wie Schlagstöcke und scharf wie Stacheldraht. Gegen die eigene Bevölkerung läßt die Regierung eine Polizeiarmee aufmarschieren. Der Staatsmacht entgegen stehen Punks neben Freaks neben biederen Bürgern, um gemeinsam einen Wald zu verteidigen, der ihnen allen gehört. Unter den Knüppelschlägen und der Gaseinwirkung fängt manches verrostete Gehirn wieder an zu denken, gerät manches Demokratieverständnis ins Wanken. Aufgefangen werden diese Aufnahmen vom Konzertteil durch das verzerrte "Deutschlandlied" von Frank Wolff und dem Kurorchester.

14.11.81. Die Landeshauptstadt Wiesbaden erlebt die größte Demonstration ihrer Geschichte. 150 000 Menschen erteilen der Landesregierung eine Abfuhr. Sie wollen die Politik selbst in die Hand nehmen und fordern einen Volksentscheid. Die knisternde Atmosphäre, die über den Straßen Wiesbadens liegt, geht über in Udo Lindenbergs "Straßenfieber".

Die Filmemacher verhehlen nicht, daß sie parteilich sind – so wie auch die Musiker des Konzerts: die Bots und Inga Rumpf, Udo Lindenberg und das Panikorchester, Jonny Tarne und Peter Maffay Band, Frank Wolff und das Kurorchester, die sich einig wußten mit ihrem zehntausendköpfigen Publikum, dem sie an jenem Abend – ohne Gage versteht sich – die Ohren vollgerockt haben.

Der Kinostart ist für Mitte/Ende Februar 1982 geplant. Die Uraufführung ist ebenfalls im Februar bei dem Internationalen Forum des Jungen Films in Berlin vorgesehen. Hergestellt wird der Film in einer Gemeinschaftsproduktion der Rüsselsheimer Arbeitsgemeinschaft HE-Film, die bereits seit 1978 mit der Bürgerinitiative zusammenarbeitet und drei Kurzfilme gegen die Startbahn gemacht hat, und von der Frankfurter Filmwerkstatt. Gewinne aus dem Film fließen der Bürgerinitiative für ihre weitere Arbeit zu – sie wird es brauchen können. Apropos Gewinne: natürlich haben auch fast alle die Leute, die an der Entstehung des Films mitgearbeitet haben, umsonst gearbeitet, bzw. ihre Honorare zurückgestellt. Viele haben unentgeltlich ihr Film- und Fotomaterial, ihre-Ton- und Videocasetten angeboten.

Auf diese Weise haben sich allein über die Arbeit an dem Film eine ganze Menge Leute kennengelernt – nur so war es möglich, den Film für knappe 130 000 Mark herzustellen (davon 40 000 Mark von der Arbeitsgemeinschaft für das Volksbegehren in Hessen).

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