Herrenpartie

BR Deutschland Jugoslawien 1963/1964 Spielfilm

Die "Herrenpartie" ist nicht gefragt

Bonn verschanzt sich hinter einem anonymen Gedicht



Karl Stankiewitz, Kölner Stadt-Anzeiger, 18.02.1965

Die "Ehemaligen" fühlen sich getroffen. Sie demonstrieren und protestieren. Sie bombardieren Regierungsstellen und Filmtheater mit wüsten Beschimpfungen. Der deutsch-jugoslawische Film "Herrenpartie" hat es ihnen angetan. Ein Film, in dem die "Ehemaligen", nationalistisch vernebelten Deutschen, mit den Mitteln der Satire gezeichnet werden.

Die Proteste derjenigen, die sich – vielleicht – mit den Personen der Filmhandlung identifizieren, haben Erfolg. Sie kommen anscheinend einer weitverbreiteten Stimmung des bundesrepublikanischen Kinopublikums entgegen. Der schon 1963 gedrehte Film, der in Form und Inhalt weit entfernt ist von der neudeutschen Zelluloidkonfektion, ist bisher nur in sehr wenigen Kinos zu sehen gewesen.

Und er wurde, trotz vieler Empfehlungen, von allen Preisen, Prämien und Prädikaten auf eine Weise ausgeschlossen, die Filmfachleute einen systematischen, staatlich geförderten Boykott vermuten lässt. "Man will die wunden Punkte unserer nationalen Existenz verdrängen", meint der Münchner Produktions-Geschäftsführer Hans Balk.

Eine deutsche Touristengruppe – das ist die Geschichte des Films – gerät irgendwo in Jugoslawien in ein Dorf ohne Männer. Ein Viertel der männlichen Bevölkerung jenes Landes, das Hitler vor 25 Jahren überfallen hat und das heute zu den beliebten Reiseländern der Deutschen zählt, ist im Krieg ums Leben gekommen. Mit dieser Vergangenheit werden die Mitglieder eines deutschen Männergesangvereins konfrontiert. Die Frauen des Dorfes, antiken Rachegöttinnen gleich, verschließen Herz und Haus, denn die Erinnerung "verjährt" nicht. Die Deutschen reagieren darauf mit Unverstand, Dünkel und militärischer Abwehrhaltung.

Sexfilme bevorzugt

Regisseur Wolfgang Staudte verstand diesen Film als eine satirische Attacke gegen Vergesslichkeit, Ignoranz und mangelnden Takt auf der eigenen Seite und Hassträume auf der eigenen Seite und Hassträume auf der anderen. Dies mag von einem Teil des deutschen Publikums als "Angriff auf die deutsche Ehre" empfunden werden, erklärte die "Neue Münchner Lichtspielkunst GmbH", der deutsche Produktionspartner. Eine solche Provokation sei durchaus gewollt, denn sie fördere Diskussion und Auseinandersetzung über ein Problem unserer Zeit.

Die Filmbewertungsstelle der Länder (FBW) auf Schloß Biebrich in Wiesbaden jedoch fand solche Provokation unangebracht. Sie verweigerte der "Herrenpartie" das Prädikat "wertvoll", während sie Sexfilme wie "Junge Aphroditen" und "Das Schweigen" als "besonders wertvoll" ausgezeichnet hat. Begründung: Staudte sei es nicht gelungen, der "Welt der Tragödie eine auch nur annähernd ebenbürtige Welt gegenüberzustellen". Der deutsche Gesangverein sei "ausschließlich von seiner spießbürgerlichen Seite her gezeigt worden".

Die sechs staatsunabhängigen Mitglieder der Freiweilligen Filmselbstkontrolle, die den Streifen freigegeben hatte, äußerten dagegen die Meinung, es handle sich um den besten deutschen Film seit sehr langer Zeit.

Die Produzenten legten Berufung gegen den Entscheid der FBW ein. Doch deren Hauptausschuß schloß sich dem Gutachten des Bewertungsausschusses an: kein Prädikat. Die Begründung war noch seltsamer: Der Typ des ehemaligen Nazi sei in dem Film "so einseitig burlesk-karikaturistisch erfasst, dass der heute lebende Betrachter sich mit diesem Typus nicht identifizieren kann und keinerlei Zwang empfindet, sich mit ihm zu identifizieren". Die Satire gehe ins Leere, in die Farce. Und wörtlich: "Solche "Ehemaligen" gibt es nicht."

Eine unabhängige Auswahlkommission lud die "Herrenpartie" zwar einstimmig als deutschen Beitrag zu den Internationalen Filmfestspielen in Berlin ein, wo der Film starke Beachtung fand. Die Jury für den Bundesfilmpreis, der er auch vorlag, fand ihn jedoch nicht für würdig; sie entschied sich für eine schneidige Agentengeschichte.

Bei der Berliner Feierstunde wetterte Jurymitglied Dr. Theodor Fürstenau gegen "politische oder ideologische Voreingenommenheit, die sich heute oft provokant aufspielt". Daß damit vor allem die "Herrenpartie" gemeint war, fand sich in anschließenden Tischgesprächen bestätigt.

Flugblätter verteilt

Zur vorgerückter Stunde musste der Verfasser des Drehbuches, der in Rom lebende Werner Jörg Lüddecke, von Bonner Ministerialbeamten sonderbare Bemerkungen hören. Sie veranlassten die "Neue Münchner Filmkunst", Bundesinnenminister Höcherl die Besorgnis mitzuteilen, man sei in keinem Hause der Ansicht, "die deutschen Produzenten des Films hätten sich vor den Wagen des angeblichen Kommunisten Staudte spannen lassen". (Vor vielen Jahren hat der renommierte Regisseur, der Heinrich Manns Spießer-Anatomie "Der Untertan" noch für die ostdeutsche DEFA verfilmt hatte, dem Ulbricht-Staat den Rücken gekehrt.)

Statt einer eigenen Meinung wurde der Münchner Produktionsgesellschaft von Filmreferenten des Bundesinnenministers, Dr. Hagelberg, als "Kostprobe aus den vielen kritischen Äußerungen, die uns erreichen", ein Gedicht übelster anonymer Machart zugesandt, in dem es hieß: "Wo er (der Film) in den Kinos erscheint, verschwindet gleich das Publikum. Und so was spricht sich schneller, als man meint, in den Leinwandkreisen herum."

Kommentar des Ministerialbeamten: "Sie mögen darauf ersehen, dass es bei Filmprämierungen nicht leicht ist, es jedem recht zu machen."

Tatsächlich stieß der Film in den wenigen Kinos, die ihn ins Programm aufnahmen, auf eine – zum Teil – organisierte Abwehr. Eine "Arbeitsgemeinschaft für Heimatschutz" in Hamburg verteilte Flugblätter, in denen den Jugoslawen – in deren Land die Bundesdeutschen sonst gern Karl-May-Filme drehen – eine Gegenrechnung des Todes aufgemacht wird. Und die "Deutsche Nationalzeitung" schlug den öffentlichen Takt dazu.

"Solche Ehemaligen gibt es nicht…" Der Mann, der dieses Urteil unterschrieb, ist Dr. Karl Korn, dem die betroffene Filmfirma entgegenhält, dass er einst den antisemitischen Propagandafilm "Jud Süss" sehr gelobt habe.

Ein Kritiker: "Imponierend"

Immerhin ließ Korn, Vorsitzender des Hauptausschusses der FBW, als Chef für Kulturpolitik der "Frankfurter Allgemeinen" anlässlich der Berlinale eine ganz anders lautende Meinung über die "Herrenpartie" drucken. "Der Einwand gegen die Verzerrung Staudtes", schrieb der FAZ-Kritiker, "kann nicht besagen, dass es solche Typen nicht gäbe (es gibt sie)". Noch in seiner Unausgewogenheit bleibe der Film imponierend.

Von Filmfunktionär Dr. Fürstenau, der Staudte auch noch "Gesinnungstüchtigkeit" vorwarf, wurde in Filmkreisen eine Dissertation aus Kriegszeichen bekannt, in der er sich über den jüdischen Einfluß auf die Boulevardpresse der Weimarer Demokratie auslässt. Fürstenau spielt heute den obersten Richter über den deutschen Film: Er ist Vertreter des Bundes in der Filmselbstkontrolle, leitet die Filmbewertungsstelle der Länder, sitzt in der Jury für den Bundesfilmpreis und außerdem in dem von der Bundesregierung bestellten Prämienausschuß, der soeben die "Herrenpartie" abermals zurückgewiesen hat. Dafür erhielt u. a. der ohnehin marktgängige Krimi "Der Hexer" eine 200 000-DM-Prämie aus Steuergeldern.)

Gekostet hat die "Herrenpartie" 1,4 Millionen Mark, von denen die deutschen Partner 70 Prozent übernommen haben. Eingespielt wurden hisher keine 50 0000 Mark.

Der Schorcht-Filmverleih, der eine Garantie über 575 000 DM für diesen Film übernommen hat, hat bereits Konkurs angemeldet.

Im Bundesetat werden Ende März rund fünf Millionen Mark an Film- und Drehbuchprämien verfallen, weil man in Bonn nicht bereit zu sein scheint, Filme zu fördern, die sich der Gegenwart mit Mut und Anstand stellen. Wen wundert es, dass der deutsche Film sich immer eindeutiger, hoffnungsloser zwischen Nulldiäten und Banalitäten einpendelt.

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