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Nach ihrer gefährlichen Flucht aus Syrien sind Nasser und sein Bruder Yassin im griechischen Flüchtlingslager Xoftex festgesetzt und warten auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag. Um sich die Zeit zu vertreiben, streiten sie oft, drehen Parodien über ihre Situation und träumen davon, nach Schweden zu gelangen. Doch je länger sie warten, desto mehr fühlt sich Nasser in diesem Wartestatus gefangen. Er beginnt, einen Zombie-Film zu machen – nur um zu merken, dass der Film sich kaum noch einen von ihrer beängstigenden Realität unterscheidet.
Der Film basiert auf den Erfahrungen von Flüchtlingen und dem realen Softex-Lager und entstand durch Workshops, die in Flüchtlingslagern durchgeführt wurden. Er kombiniert Dokumentarfilm, Fantasie und visuelle Effekte.
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Was auch an Leidensgenossen wir Rafiq liegt, die daran verzweifeln, bis zu 18 Monate auf die Entscheidung, ob sie weiterreisen können nach Mitteleuropa oder Nordamerika, warten müssen: „Das ganze Leben geht den Bach runter.“ Aber nicht nur: kriminelle Schleuserbanden lassen sich ihre Dienste gut bezahlen, die darin bestehen, Flüchtlingen einen Platz in oder unter einem der Güterwaggons zu besorgen, die auf dem Weg nach Norden Station auf einem Bahnhof in unmittelbarer Lagernähe machen. Abwehrmittel gegen die feinen Nasen der Spürhunde inklusive.
Der Alltag ist trist. Und manchmal lebensgefährlich, wenn es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen etwa bei der Verteilung von gespendeten Grundnahrungsmitteln kommt. Manche vor allem unter den jungen Leuten versuchen, sich lernend auf die ersehnte neue Heimat vorzubereiten. Andere sind von dem bisher Erlebten so traumatisiert, dass sie in Lethargie verfallen. Nasser scheint ein Mittel gefunden zu haben, zumindest zeitweise den Verlust seiner Schwester Souad, die von den Wellen des Mittelmeers über Bord gespült worden ist, zu verarbeiten. Er dreht, freilich nur mit einer Kamera aus Pappmaché, einen (Zombie-) Film über Xoftex und seine Insassen, in dem sich seine kindliche Phantasie auf erschreckende Weise mit seiner Lebensrealität vermischt.
Wenn einmal längere Zeit nichts passiert, hat Nasser surreale Alpträume, etwa von Schlangen in den Sanitärräumen, Schweineblut im Essen und medizinischen Experimenten im Auftrag der Pharmaindustrie. Aber auch Glücksvorstellungen, indem er sich vorstellt, mit seinen beiden Geschwistern in gesicherten mitteleuropäischen Verhältnissen leben zu können unter der mütterlichen Regie Souads, die ihn fragt: „Träume ich oder träumst du mich?“.
Regelmäßig bewässert Nasser einen Baum, der wie ein Zeichen natürlichen (Über-) Lebens mitten im Gebetszelt der muslimischen Männer steht. Frauen, die mit den Kindern getrennt von den Männern in karg ausgestatteten Containern hausen, sieht man nur selten, etwa, wenn sie an Zusammenkünften mit Abu Ashraf teilnehmen, einem offenbar allseits anerkannten Sprecher der hier Internierten. Wenn sich ein schlafwandelndes Mädchen nachts in den Männerbereich verirrt, wird sogleich deren Familie informiert: es gibt auch Solidarität im Lager, die aber selten über die eigene Volksgruppe hinausreicht. Am Ende starrt Nasser über ein (deutsches?) Getreidefeld, aus dem ihm lauter Menschenarme zuwinken…
Inspiriert von den realen Erlebnissen Geflüchteter im gefürchteten griechischen Flüchtlingslager Softex, das Noaz Deshe aus eigener Anschauung kennt, und mit einer Besetzung aus größtenteils selbst Asylsuchenden, erzählt „Xoftex“, beim Thessaloniki Film Festival mit dem „Silver Alexander“ für die beste Regie ausgezeichnet, die bewegende Geschichte eines Jugendlichen, der zwischen Stillstand, Trauma und kreativer Selbstbefreiung seinen Weg sucht. Dabei konfrontiert der auf einem Theaterworkshop in den Jahren 2016 bis 2019 basierende Film seine Zuschauer kompromisslos mit der Härte der Realität im Flüchtlingslager und entfaltet mit seiner abstrakt-experimentellen Erzählweise zugleich eine eindringliche und surreale künstlerische Schönheit.
Noaz Deshe im Port au Prince-Presseheft: „Fiktion oder hybride Erzählformen ermöglichen es uns, das Unsichtbare zu dokumentieren. Träume, Fantasien und Musik im Kopf sind genauso Teil der Realität wie das, was wir von außen sehen. Sie sind sogar unser einziges Mittel, die Wirklichkeit zu verarbeiten, und der Schlüssel, um uns gesehen und verbunden zu fühlen. Die heutigen technischen Möglichkeiten beim Filmemachen erlauben uns, fernab von aufwendigen, großen Produktionen in intimere Räume vorzudringen und neue filmische Wege zu erkunden. Vielleicht kann so eine größere Tiefe und Nähe entstehen, die uns über formale, sprachliche und kulturelle Grenzen hinaus verbindet und uns gegenseitig erkennen lässt. Vielleicht erzähle ich die Geschichte auch auf diese Weise, weil ich sie nicht anders erzählen kann.“
Pitt Herrmann