Texas - Kabul

Deutschland 2003/2004 Dokumentarfilm

Texas Kabul



Andrea Dittgen, film-dienst, Nr. 19, 16.9.04

In den 1970er- und 1980er-Jahren gab es "Frauen-Betroffenheitsfilme" zuhauf. Damals war es neu und wichtig, alltägliche Dinge mit spezifisch weiblichem Blick zu sehen, ihnen eine neue Dimension zu geben und Denkanstöße auszulösen – bei Frauen wie bei Männern. Helga Reidemeister (Jhrg. 1940) hat solche frauentypischen Dokumentarfilme gedreht, sei es, dass sie eine Arbeitsfrau porträtierte ("Von wegen "Schicksal"", 1979) oder das Leben eines Durchschnittsmodels ("Mit starrem Blick aufs Geld", fd 23 943). Ihre präzise Beobachtung des Alltags ergab, kombiniert mit den Aussagen der Frauen, stimmige Porträts – wie auch bei ihrem vorletzten Film "Gotteszell – Ein Frauengefängnis" (fd 34 764). Dass "Texas Kabul", ein Anti-Kriegsfilm, in dem sie vier Frauen interviewt, im Vergleich dazu belanglos wirkt, liegt nicht nur daran, dass sie zuerst von sich selbst und ihrer Kindheit erzählt, so, als müsse sie sich für diesen Film rechtfertigen; Helga Reidemeister findet auch keine Bilder, die mit Aussagen und Statements der Interviewten korrespondieren.

Ausgehend von den sich mit dem 11. September 2001 ankündigenden Kriegen, versucht sie zu erforschen, wie andere Frauen dies erleben. Erste Station ist Neu Delhi. Dort filmt sie Kinder, die in den Straßen Müll sammeln, um zu überleben – aber nicht den Alltag oder das Engagement der Polit-Aktivistin und erfolgreichen Schriftstellerin Arundhati Roy ("Der Gott der kleinen Dinge"). Roy erzählt nichts Neues, wenn sie sagt, dass den Menschen im Westen die Fähigkeit abhanden gekommen sei, sich eine andere Welt vorzustellen. Ihre Behauptung, es gäbe Zeichen des Faschismus in Indien, weil bürgerliche Freiheiten untergraben würden, werden nicht an konkreten Beispielen oder Bildern erläutert. Wenn dies geschieht, wie in Belgrad, wo die Friedensaktivistin Stascha Zajovic mit ihrer Gruppe "Frauen in Schwarz" (die den Millenium-Friedenspreis der UN erhielt) bei der wöchentlichen Schweige-Demonstration gezeigt wird, dann folgt die Kamera nicht ihrem Tagesablauf und damit ihrem Lebenskampf. Auf Zajovics Aussage, Vergewaltigung im Krieg sei ein Verbrechen gegen Frauen, allerdings seien Frauen auch mit Schuld am Krieg, weil sie indirekte Kollaborateure seien, folgen schockierende Bilder von einem kleinen Jungen, der mit einer Pistole durch die Wohnung schleicht, ohne dass jemand etwas dagegen unternimmt. Aber erklärt oder hinterfragt wird die Szene nicht – sie könnte auch gestellt sein.


In Kabul zeigt die Regisseurin einen Jungen, dem wahrscheinlich eine Landmine den Unterschenkel weggerissen hat und der nun seine Beinprothese anprobiert. Aber Jamila Mujahed, die Nachrichtensprecherin, sagt dazu nur, dass Kinder nicht unter Krieg leiden und Frauen Fragen stellen sollen. In den USA trifft Reidemeister die 76-jährige frühere Juristin und UN-Menschenrechtsbeobachterin Siyy Farenthold und zeigt dazu Videokriegsspiele sowie George Bush als Wachsfigur. Belege für Farentholds Aussage, die USA befänden sich am Rande des Faschismus und die meisten Soldaten würden von sich aus keine Menschen umbringen, sind dies nicht zwangsläufig. Vielleicht wäre "Texas Kabul" eine spannende Dokumentation geworden, wenn Helga Reidemeister ("Ich bin ein Kriegskind, die Stiefel der Soldaten kann ich nicht vergessen") die Frauen nach ihren konkreten Kriegserlebnissen gefragt, die Kamera nur auf sie gerichtet oder sich nur eine Frau herausgesucht hätte, um exemplarisch deren tägliche Aktionen gegen den Krieg zu filmen. Stattdessen sucht sie in den Straßen der Städte krampfhaft nach irgendeiner Bebilderung, um dann bei Kindern hängen zu bleiben, die stets eine sichere Bank sind, wenn es darum geht, an Gefühle zu appellieren. Letztlich bleibt nur ein Konglomerat aus Statements, die gelegentlich eine typische weibliche Sicht des Krieges ans Tageslicht bringen, die sich in den beliebigen Bildern aber bald wieder verliert.

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