Kleine Freiheit

Deutschland 2002-2004 Spielfilm

Kleine Freiheit

Männerfreundschaft ohne Pomp und Pathos


Heike Melba Fendel, epd Film, Nr. 3, 02.03.2004

Natürlich gibt es so etwas nur als Straße nicht als Zustand: "Kleine Freiheit". Aber es ist keine Koketterie, wenn Yüksel Yavuz, der in Hamburg lebende Regisseur kurdischer Abstammung, sich dem hohlen Mythos St. Paulis und dessen Großer Freiheit verschließt. Einer seiner beiden Hauptdarsteller, Chernor, ist zwar auch so blond wie Hans Albers, aber er ist Schwarzafrikaner und das krause Haar ist sichtlich gefärbt. Darüber macht sich der junge Baran auch gleich lustig, als er Chernor auf der Bank neben dem Freund beider, dem "Kapitän", einem red- und weinseligen Obdachlosen, sitzen sieht: "Was ist denn mit Deinen Haaren passiert?" Sie reden nicht viel, doch wenn Chernor am Ende der Beiläufigkeit fragt: "Wo hängst Du ab?", beginnt die (Jung-)Männerfreundschaft ohne Pomp und Pathos, aber eben auch: Ohne Zweifel.

Und so geht es weiter: Unbedingt in der Sache seiner Geschichte, offen in der Form der Gefühle, der Zustände, der Bilder. Darin liegt die Größe, die Autor und Regisseur Yavuz sich nimmt und die er setzt: Statt in vorauseilendem Klischeevermeidungsgehorsam die Welt der illegal in Hamburg lebenden Asylbewerber gegen die Fakten zu schildern, lässt er von Drogenhandel über Familien- und Bandenfehden bis zu sozialer Isolation und polizeilicher Willkür kaum etwas aus, das als Ergebnis verfehlter Sozial- und Einwanderungspolitik nicht hinlänglich bekannt wäre. Aber Yavuz hakt es nicht ab und verhindert, dass der Zuschauer es tun kann. Denn er zeigt diese Welt durch die Augen von Menschen, die sie bilden, die sie verstehen und verändern möchten und die, weil sie, wie Baran und Chernor, ganz jung sind, das auch versuchen; tastend und suchend, bisweilen aber ebenso auch verzweifelt und verbohrt.

Wie schon in seinem ersten Spielfilm "Aprilkinder" erzählt Yavuz von einem Aufbruch im Zeichen der Gefährdung. Wie gut dieser Film ist, merkt man beim Nachdenken darüber, was bei diesen Geschichten alles hätte schiefgehen können. Baran und Chernor sind jung, und vor allem Baran weiß zu staunen: Über die Entfernung zwischen ihm und der kurdischen Großfamilie, deren Bilder er auf Video speichert, über die täglich neuen Bilder aus dem Ghetto, schillernde Gestalten und bunte Lichter, die er auf seinen Botenfahrten in sich aufnimmt. Auf einem alten Fahrrad strampelt er St. Pauli ab, schneller als das Fußvolk, eine "kleine Freiheit" auch dies: einen Aushilfsjob und ein Fahrrad haben. Und ein Herz; Baran nimmt Anteil an den Menschen, deren Wohnungen und Leben er kurz betritt, an den Menschen, die er zurückgelassen und denen, die er verloren hat. Und vor allem an Chernor, für den er alles tun würde und alles tun wird. Das Spiel der beiden Laiendarsteller in den Hauptrollen, die neugierige, lebendige Kamera, der hüpfende Sound und die Geschichte, die sich gegen ihr tragisches Ende stemmt, anstatt sich von vorneherein zu fügen: "Kleine Freiheit" ist ein so kühner wie stilsicherer Film. Er erzählt vom Jungsein, vom Fremdsein als Chance. Als Chance, seine Geschichte zu suchen, seine Bilder zu finden, seine Entscheidungen zu treffen. Yavuz weiß ein bißchen mehr als seine trotzigen Helden. Er weiß um die Konsequenzen persönlicher Patzer und offizieller Willkür. Aber er bebildert keine Probleme, er balanciert im Risiko, ganz wie seine jungen Helden. Die Ruhe des Hinguckens wie des Staunens, mischt er mit dem Elan der Anteilnahme und des Aufbruches auf einen dritten, einen eigenen Weg. Ein Film, der sich die Freiheit, die er im Titel führt, selbst zu nehmen weiß. Ein toller Film.

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