"Die Künstler im Blickpunkt halten"

Zum Thema "Zwischen Geschichte und Geschäft – Bewahrung und Vermarktung des nationalen Filmerbes" sprach filmportal.de auf der Frankfurter Buchmesse 2007 mit Helmut Morsbach, damaliger Vorstand der DEFA-Stiftung, über die Herausforderungen und Chancen der kulturellen Filmarbeit im digitalen Zeitalter.

filmportal.de: Herr Morsbach, Sie sind Vorstand der DEFA-Stiftung in Berlin. Was waren Auslöser und Beweggründe der Stiftungsgründung und welche Aufgaben übernimmt die Stiftung heute?

Helmut Morsbach: Ich darf mich zunächst sehr herzlich für die Einladung bedanken: zum ersten ist es immer noch relativ selten, dass die DEFA-Stiftung sich mit den DDR-Filmen südlicher präsentieren kann. Das ist wichtig, hier sind diese Filme weniger bekannt. Zum zweiten, was ich sehr schön finde, haben sie das Thema in einer Weise gewählt, wie es die Stiftung auch immer wieder in den Blick nehmen muss: Wir bewegen uns zwischen Geschichte und Geschäft. Das ist eine sehr wesentliche Frage.

Die DEFA-Studios sind 1990/91 abgewickelt worden, privatisiert durch die Treuhand, die Bundesrepublik Deutschland. Bei diesem Verkauf der Studios sind die Rechte ausgenommen worden: Rechte an den mehr als zehntausend Filmen aus dem Studio für Spielfilme, aus dem Studio für Dokumentarfilme, aus dem Studio für Animationsfilme; auch die Synchronisationen zu ausländischen Filmen in den Kinos der DDR. Das ist eine Größenordnung von ca. zwölftausend Filmen. Diese Rechte sind einer Stiftung übertragen worden, die 1990 gegründet, dann aber im Zuge der Deutschen Einheit von der Stiftungsaufsicht in Berlin nicht anerkannt wurde. Die Bundesrepublik Deutschland hat weitere acht Jahre gebraucht, bis am 15. Dezember 1998 die eigentliche Stiftung gegründet wurde. Sie hat kurz umschrieben zwei Aufgaben. Zum einen, den gesamten Filmstock zu bewahren – bewahren im Sinne von konservatorisch, aber auch von erhalten und nutzbar machen. Nutzbar machen bedeutet zeigen und natürlich auch vermarkten. Die Vermarktung ist etwas ganz wesentliches, weil damit Geld eingenommen werden kann, das der Förderung dient. Zweite Aufgabe der Stiftung ist es, junge deutsche Filmkunst in Gesamtdeutschland fördern.

Ihr Haus ist eine fördernde Stiftung. Was und wie fördern Sie?

Zunächst müssen wir die Filme vermarkten. Diese Vermarktung ist nicht einfach, weil wir darauf angewiesen sind, dass Fernsehanstalten Filme zeigen. Das geschieht vornehmlich in den Dritten Programmen, vor allen Dingen auf den Sendern mdr und rbb, aber auch Sender wie Kika oder einige der Privaten strahlen den einen oder den anderen Film aus. Daneben gibt es noch den Ausschnittdienst, und im Kino zeigen wir natürlich auch Filme. Teil des Geschäfts ist es, ständige Einnahmen zu erzielen und davon dann zu fördern. Wir fördern in zwei Bereichen. Einmal in dem Bereich der Vergabe von Stipendien, meist an junge Leute, die zu uns kommen und eine filmische Idee umsetzen möchten. Wir tun das, was keiner in Deutschland macht, wir geben Geld für ein halbes oder ein Jahr für Recherche. Das Geld dient dazu, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Ich halte das nach wie vor für sehr wichtig, weil dieses eine wirklich einmalige Förderung ist und ermöglicht, in Ruhe an der Idee zu arbeiten und nicht gleichzeitig den Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Der zweite Bereich ist die Förderung von Projekten sehr vielfältiger Art: Ausstellungen, Filmreihen, wissenschaftliche Forschung.

Wie hoch sind die Fördergelder, mit denen Sie arbeiten können?

Wir bemühen uns im Jahr in zwei Runden 500.000 Euro auszuschütten. Darüber hinaus wollen wir Eigenprojekte aufnehmen. Die Gesamtfördersumme in einem Jahr, nur das Geld was wir nach Außen geben, ist mehr als eine Dreiviertelmillion. Diese Summe ist in den letzten Jahren sehr stabil geblieben, und ich hoffe, dass durch die Vermarktung der Filme weiter aufrechterhalten zu können.

Müssen Sie viele Anträge ablehnen?

Das ist sehr unterschiedlich. Ich bin sehr froh, dass wir dafür einen Förderausschuss haben, der sehr kompetent besetzt ist und der sich vor allen Dingen auf die Fahnen geschrieben hat: Wenn die Idee interessant ist, auch außergewöhnlich ist, soll sie durchaus eine Chance zu haben. Auch das unterscheidet uns von anderen Fördereinrichtungen.

Wie sehen sie die Entwicklung in der Auswertung zwischen Fernsehsendern, der Auswertung über DVD und neue Vertriebswege im Verhältnis zur klassischen Kinoauswertung?

Die klassische Kinoauswertung geht auch beim Repertoire-Film immer weiter zurück. Sie ist auch sehr kostenaufwendig, weil immer wieder neue Kopien gezogen werden müssen. Der DVD-Markt nimmt zu, die Firma Icestorm ist im Moment unser wichtigster Partner. Bei den Fernsehanstalten wünschte ich mir, dass die Auswertung noch zunimmt, wohlwissend, dass es nicht einfach ist. Ich würde gerne sehen, wenn ein paar Kultfilme der DDR häufiger in der Abendschiene laufen würden und nicht erst nach 24 Uhr oder später. Aber ich bin nicht unzufrieden, denn vor wenigen Jahren haben wir nicht so viel mit Sendern auf die Beine stellen können wie heute.

Lassen Sie uns über die internationale Aufmerksamkeit für die Filme der DEFA sprechen. Hat sich mit der großen DEFA-Retrospektive in den USA im Jahr 2005 – mit dem wunderbaren Titel "Rebel with a Cause" – etwas verändert in der Wahrnehmung?

Die internationale Aufmerksamkeit ist mit der Retrospektive im Museum of Modern Art natürlich enorm gestiegen. Wir haben ja nicht nur Filme mitgenommen, sondern auch Künstler. Das hat sehr dazu beigetragen, die DEFA-Stiftung ein wenig mehr ins öffentliche Bewusstsein zu stellen. Wir gehen jetzt im November mit einer eigenen Retrospektive nach Israel: Sehr schöne Filme, und wieder mit Gästen. Mein Ziel ist es auch, mit einer Retrospektive nach Frankreich und Spanien zu gehen.

Hat sich aus ihrer Perspektive die Kooperation ihres Partners Icestorm Entertainment mit der Zeitschrift Super-Illu gelohnt? Erreicht man damit eine neue Öffentlichkeit für Filmgeschichte?

Ich bin zunächst einmal Icestorm sehr dankbar, dass sie Filme nicht nur nach reinen Vermarktungskriterien auf DVD bringen, sondern auch Filme aus der DDR-Geschichte verlegen, mit denen sicherlich kein Geld verdient wird. Das ist ganz wesentlich: Ich möchte eine DDR-Film-Bibliothek auflegen und entstehen lassen. Das kann man nicht nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachten. Icestorm und Super-Illu arbeiten jetzt schon über ein Jahr zusammen. Wir hätten nie erwartet, dass so immense Zahlen durch die DVD- Beilage in der Zeitschrift zustande kommen. Die öffentliche Wahrnehmung ist natürlich enorm hoch, da ist eine richtige Sammlerleidenschaft ausgebrochen. Super-Illu wird vorwiegend in den neuen Bundesländern gelesen. Die Zeitschrift hat daraus, finde ich, die ganz richtige Schlussfolgerung gezogen und versucht, mit den DVDs in den gesamtdeutschen Markt zu kommen. Ich bin natürlich nicht ganz frei von Sorge, dass wir die besten Filme dort quasi als billiges Produkt beipacken. Wenn ich das aber abwäge mit dem Gewinn an Öffentlichkeitsarbeit - auch die Süddeutsche Zeitung hat bereits einen Titel beigepackt - dann ist das schon in Ordnung.

Mit welchen Partnern arbeiten sie noch zusammen?


Der wichtigste Partner ist für uns natürlich der Progress-Filmverleih, der älteste Filmverleih in Deutschland. Er verleiht die Filme, er verkauft die Filme im Ausschnittdienst und er bringt sie natürlich in die Sendeanstalten. Der globalste Partner, mit dem wir eng zusammenarbeiten, ist Icestorm. Die Stiftung selbst hat im vergangenen Jahr mit defa-spektrum eine neue Tochterfirma gegründet. Diese hat die Aufgabe, Zeitzeugenmaterialien zu vermarkten, und hat sich auf dem Markt als eine weitere Einnahmequelle behauptet.

Wie wenn wir vom DEFA-Filmstock sprechen, wie hat man sich das konkret vorzustellen? Wie stellen Sie sicher, dass das Material gut untergebracht ist?

Ich bin sehr dankbar für ihre Frage: Alle Filme liegen im Filmarchiv des Bundesarchivs in Berlin gut klimatisiert, werden gelagert und restauriert. Mir ist auch wichtig zu betonen: Dieser DEFA-Filmstock ist ein Teil des nationalen Kulturerbes, von daher hat die Bundesrepublik Verantwortung dafür, und nimmt diese auch über das Bundesarchiv wahr. In der DEFA-Stiftung liegen Kopien zur dortigen Nutzung sowie digitalisierte Materialien. Es gibt eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv, und die Stiftung bemüht sich natürlich, den einen oder anderen Film auch mit eigenen Kosten zu erhalten und das Bundesarchiv bei seiner Aufgabe zu unterstützen.

Im nächsten Jahr feiert die DEFA-Stiftung ihr zehnjähriges Jubiläum. Welche Vorstellungen haben Sie für 2008?

Vielleicht darf ich ganz kurz zurück gehen: Wir haben vor anderthalb Jahren sechzig Jahre DEFA gefeiert. Die DEFA besteht zwar in dem Sinne nicht mehr, dass es ihre Studios gibt, aber es gibt die Filme und die Menschen dazu. Feiern wir also sechzig Jahre DEFA um die Künstler zu ehren, ich denke darum geht es ja im wesentlichen. Ich bin mit der Stiftung vor allen Dingen angetreten, um die Künstler im Blickpunkt zu halten und vor allen Dingen, um ihre Filme immer wieder vorzustellen. Im nächsten Jahr wollen wir den Schwerpunkt anders setzten: Wie viel Geld wurde in die Förderung gesteckt und was ist inzwischen daraus geworden; welche Filme sind auf Festivals gelaufen, sind prämiert worden? Die DEFA-Stiftung vergibt einmal im Jahr Preise an renommierte Künstler: Leute wie Fatih Akin oder Valeska Griesebach sind von uns zu einem Zeitpunkt gefördert worden, als noch keiner sie kannte. Wichtig ist mir dabei zu sagen: Die Förderung der Stiftung zielt nicht ausschließlich auf Künstler der DEFA oder auf Unterstützung der Filmkunst in den neuen Bundesländern, sondern sie ist auch von mir, im Willen der Satzung, gesamtdeutsch angelegt. Jeder kann bei uns gefördert werden.

Wie positioniert sich die DEFA-Stiftung zu den Herausforderungen digitaler Vermarktungsstrategien?

Das ist natürlich ein Thema, bei dem sich die Frage stellt: Wie viel Geld stecken wir neben der Förderung auch in die Bewahrung des Materials? Wir haben zunächst die Aufgabe, Film zu digitalisieren, damit wir überhaupt den Sendeanstalten etwas anbieten können. Allein im Spielfilmbereich haben wir 300 Filme digitalisiert, daneben auch einige Dokumentarfilme. Wir schauen im Moment auch nach vorne und überlegen unter dem Gesichtspunkt High Definition, ob das eine oder andere dort zu machen ist. Im Moment läuft ein Pilotprojekt. Wir werden den Film Goya, einen der wenigen 70 Millimeter Filme der DDR, auf HD umspielen. Icestorm, aber auch der Progress Film-Verleih werden dann mit diesem Film neu in die Kinos bzw. auf den DVD-Markt gehen. Es ist sehr kostenaufwendig, aber wir müssen uns dieser Aufgabe stellen.

Die Bundesregierung hat einige Arbeitsgruppen zum Aufbau der Deutschen Digitalen Bibliothek initiiert. Nun sind Digitalisierung und Restaurierung von Filmmaterial kein neues Thema. Wie schätzen Sie die Aussichten ein, in absehbarer Zeit Content in einer digitalen Bibliothek verfügbar zu haben?

Die Überlegungen sind wirklich nicht neu. Die DEFA-Stiftung bemüht sich seit Jahren, wir digitalisieren die wichtigsten Filme und können mit den Einnahmen auch im Bereich Erhaltung viel tun. Das muss man gemeinsam mit anderen Partnern machen. Ich bin sehr dafür, dass dieses Thema angegangen wird. Ich bin auch sehr dafür, dass Projekte angeschoben werden. Die Bundesregierung hat da eine Aufgabe, sie nimmt sie auch wahr, indem sie jetzt das eine oder andere Projekt fördern will. Aber es ist ein ganz langer und ganz weiter Weg. Die Idee dahinter, nämlich digitale Archive aufbauen zu können, wird sich über Jahrzehnte hinziehen.

Wie gehen Sie mit Video on Demand und IPTV um? Sehen Sie eine Lösung für die DEFA-Stiftung, die sowohl dem Gegenstand gerecht wird, als auch wirtschaftlich interessant ist?

Da muss ich zweigeteilt antworten. Aus Sicht der DEFA-Stiftung, die ja die Rechte zu verwalten hat, sehe ich Notwendigkeiten. Es ist Auftrag unserer Partner, immer nach neuen Methoden der Vermarktung zu suchen. Andererseits stehen bei der Stiftung eine ganze Zahl von Firmen auf der Matte, die gerne diese Kanäle aufbauen wollen, alle mit einer gewissen Anschubfinanzierung, aber keiner hat ein Konzept mitgebracht, das auf Dauer trägt. Das halte ich für das große Problem. Alle kommen zu uns und sagen, wir brauchen eine ganze Menge Inhalt möglichst auf Dauer, aber finanzieren können wir das Ganze noch nicht so richtig. Das ist natürlich kein Modell für eine Stiftung, die auf die Zukunft schauen und Sorge für die Erhaltung und Vermarktung des Materials tragen muss. Wir sind da sehr vorsichtig, aber auch sehr offen.

Darf der Vorstand der DEFA-Stiftung einen Lieblings DEFA-Film haben?

Ja, er hat einen Lieblingsfilm, er hat auch mehrere Lieblingsfilme. Ich traue mich das inzwischen schon gar nicht mehr zu sagen, weil ich immer darauf angesprochen werde. Es gibt ohne Frage einen Lieblingsfilm für mich, das ist einer der letzten Filme der DDR, der 1989 gedreht wurde und 1990 in die Kinos kam. Er heißt "Die Architekten" ist von Peter Kahane und beschreibt die Endzeitstimmung in der DDR. Er zeigt, was hätte sein können, wenn das System der DDR mehr Offenheit und mehr Filme dieser Art zugelassen hätte. Das ist ein Film, aber eben nicht nur dieser, mit dem ich gerne durch die Lande ziehe, um zu sagen: Es hat eine ganze Menge richtige Dinge bei der DEFA gegeben, bei der Produktion von Spielfilmen, die bewahrenswert sind und die man immer wieder zeigen kann.

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