Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders

Patrick Süskinds Bestseller als Kostümfilm, inszeniert von Tom Tykwer



Raimund Gerz, epd Film, Nr. 09, 2006

Lange hat es gedauert, bis dieses Projekt zustande kam; viele Regisseure bewarben sich um die Adaption des Bestsellers von 1985. Schließlich bekam Tom Tykwer (siehe auch S. 25) den Zuschlag und machte unter der Ägide des einschlägig erfahrenen Bernd Eichinger den Film zum Buch.

Wohl selten zuvor ist eine Literaturverfilmung auf eine solch gewaltige Menge erwartungsvoller Leser gestoßen wie die von Patrick Süskinds Megaseller "Das Parfum". Schon die Superlative, die den Roman umranken, sind beeindruckend und dürften wie eine Hypothek auf dem Film lasten. "Das Parfum" wurde in über 40 Sprachen übersetzt, mit einer Gesamtauflage von mehr als 15 Millionen Exemplaren, über vier Millionen allein in deutscher Sprache. Fast zehn Jahre lang stand das Werk auf der populären "Spiegel"-Bestsellerliste und war, seit dem Erscheinen der Taschenbuchausgabe 1994, Gegenstand ungezählter Deutschstunden. So viele Leser – so viele individuelle Vorstellungen von der Hauptfigur, jenem Jean-Baptiste Grenouille, "stammend aus Abfall, Kot und Verwesung ..., klein, gebuckelt, hinkend, hässlich, gemieden, ein Scheusal innen wie außen", wie Süskind ihn beschreibt.

Süskinds chronologische Erzählweise kommt der des traditionellen Historienfilms entgegen. Wie im Roman wird die Geschichte auch in der Verfilmung durch den Regisseur Tom Tykwer konsequent durcherzählt, von Grenouilles Sturzgeburt zwischen den stinkenden Eimern des Pariser Fischmarkts bis zu seinem bizarren Tod. In der Gestaltung des historischen Kolorits spielt der Film seine Möglichkeiten gegenüber dem Roman aus, der sich mit knappen Skizzen begnügt. Jeder Schauplatz, jede Person werden sorgfältig ins Bild gesetzt, von den matschigen Pariser Straßenzügen über die erniedrigenden Lebensumstände der Menschen dieser Zeit bis hin zu ihren kariösen Zahnreihen. Auch in den Massenszenen zeigt sich Tykwers Detailbesessenheit, wenn etwa ein Savoyarde mit einer Laterna magica auf dem Rücken in dem Menschenstrom auftaucht.

Dennoch ist "Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders" kein Film geworden, in dem die Ausstattung die Story dominiert. Immer wieder versucht Tykwer auch Bilder für Grenouilles absolutes Geruchsvermögen wie die Wirkung der von ihm kreierten Essenzen zu finden. Etwas konventionell, wenn sich sein Meister Baldini, den Dustin Hoffman als alternden Schönling spielt, von Grenouilles erstem Duft in einen blühenden Rosengarten versetzt sieht. Gelungener, wenn die Kamera zu Beginn in Grenouilles Riechorgan eintaucht oder wenn dieser die Witterung der flüchtigen Laura (Rachel Hurd-Wood) und ihres Vaters (Alan Rickman) aufnimmt und die Kamera – dem Häscher voraus – deren Spur verfolgt. Eher peinlich wiederum in der Apotheose des Mörders, wenn die blutdürstigen Bürger von Grasse, betört von dessen Parfum, einander in die Arme sinken. Die nackten Leiber strahlen eher die Erotik eines überfüllten FKK-Strandes als die einer Massenorgie aus.



Eine Literaturverfilmung ist nicht zur Werktreue verpflichtet. Süskind jedoch bedient sich in seinem Roman einer spezifischen Erzählperspektive, die konstitutiv für dessen Wirkung ist und damit eine besondere Herausforderung an das Filmprojekt darstellt. Die Handlung, die keinen eigentlichen dramatischen Plot hat, spielt sich nämlich weitgehend in Grenouilles Kopf ab. Hier entsteht der Kosmos der Gerüche, die ihm seine Nase zuführt, und diese ist seine wichtigste Antenne zur Wahrnehmung der Außenwelt. Süskinds auktorialer Erzähler bleibt nahe an seinem Protagonisten, taucht über lange Passagen in dessen immer wahnwitzigere Gedankenwelt ein und macht den Leser zum Zeugen des fortschreitenden Irrsinns. Im – literarisch interessanteren – mittleren Teil schafft sich Grenouille in einem siebenjährigen Eremitendasein ein "inneres Imperium", imaginiert sich selbst in orgiastischen Visionen zum Schöpfergott und Weltenherrscher. Als weitere "Herausforderung" empfand der Drehbuch-Co-Autor Andrew Birkin, dass Grenouille "nie wirklich mit jemandem, ... sogar nicht einmal mit sich selbst spricht."

Tykwer macht um diese psychischen Abgründe, die schwer in Bilder zu übersetzen sind, einen Bogen. Die Erzählerstimme aus dem Off, immer eine eher unbefriedigende Lösung, kann da nur sporadisch aushelfen. Damit aber riskiert der Film, der ganzen "Geschichte eines Mörders" ihre Seele, oder besser: ihren bösen Geist, auszutreiben. Statt zum Dämon wird Grenouille zum bloßen Serienkiller, dessen Weg zwei Dutzend züchtig hindrapierte nackte Mädchenleichen pflastern. Seine unstillbare Gier nach jungfräulichen Aromen kann man nur erahnen, wenn er zu Beginn den Duft des Mirabellenmädchens inhaliert wie ein Süchtiger. Der junge englische Schauspieler Ben Whishaw spielt diesen Grenouille eher als müden Melancholiker denn als Getriebenen. Umso rastloser ist die allzu präsente Musik (eingespielt von den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle), die offenkundig die emotionalen Leerstellen ausfüllen soll.

Hatte Tom Tykwer vor allem mit "Lola rennt" dem deutschen Film einen Weg nicht zur Avantgarde, aber zu zeitgemäßen Erzählformen gewiesen, so sucht er in seiner Verfilmung des "Parfums" nicht einmal nach neuen Pfaden. Im Gegenteil: Sein Film bleibt dem bewusst anachronistischen Erzählgestus des Romans verbunden – ohne dessen Abgründe auszuloten. Daran aber werden ihn die Fans, wie die zahlreichen Kommentare in Internet-Tagebüchern erahnen lassen, letztlich messen.

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