Ausführliche Inhaltsangabe und Hintergrund zu "Miss Evelyne, die Badefee"

Synopsis
Auf dem Flugplatz von Bad Reichenhall trifft Miss Evelyne Dollar aus New York ein, zusammen mit ihrer Gesellschafterin Ruth Corvin. Ein Auto wartet bereits, um sie in das Grandhotel Axelmannstein zu bringen. Mit der Liste der eingetroffenen Kurgäste in der Bad Reichenhaller Morgenpost spricht sich die Ankunft der reichen Amerikanerin am darauffolgenden Tag schnell herum. Auch Miss Evelyne und ihre Gesellschafterin lesen beim Frühstück diese Mitteilung. "Die Jagd nach Miss Dollars Millionen ist wieder eröffnet", stellt ihre Gesellschafterin nüchtern fest. Doch diesmal will Miss Evelyne die Mitgiftjäger an der Nase herumführen.

Auf dem Tennisplatz versammeln sich nicht nur Schaulustige, sondern auch die potentiell an Miss Evelyne und ihrem Vermögen Interessierten, zumeist älteren "Knaben". Der übergewichtige René Bombast, der finanziell klamme Adelige Karlheinz von und zu Daxl, Assessor Winnhuber und der Münchner Kurgast Aloisius Meier. Zuletzt kommt noch Fred Spencer dazu, der mit seiner kurz zuvor erworbenen schicken Grundausstattung des weißen Sports, von der Socke bis zum Schläger, Miss Evelyne imponieren will und sie um ein Spiel bittet. Völlig unerfahren im Tennis, blamiert er sich jedoch nur, sehr zur Belustigung aller Anwesenden. Satz und Sieg für Miss Evelyne!

Ihre Verehrer erweisen sich als hartnäckig, wenn es darum geht, dem Objekt ihrer Begierde näher zu kommen und Miss Evelyne kennenzulernen. In ihrem Hotelzimmer trifft ein Blumenstrauß nach dem anderen ein, auf Schritt und Tritt werden Miss Evelyne und ihre Gesellschafterin verfolgt, sogar bis in die Abteilung für Badeanwendungen. Doch Miss Evelyne versteht es gekonnt, ihre Kurschatten auf Abstand zu halten. Etwa mit der vorgetäuschten Absicht, in den pneumatischen Kammern zu kuren, um dann doch nicht zu erscheinen, oder beim Tanztee auf der Hotelterrasse, wo die Kapelle genau in dem Moment aufhört zu spielen, als sich die Herren anschicken, Miss Evelyne um einen Tanz zu bitten. Aber Miss Evelyne kommt auch zu der Erkenntnis "Das ist zwar alles recht lustig, aber zu einer Kur komme ich so nicht“! Und - sie hat eine neue, sehr gute Idee.

Überraschend und ohne ihre Gesellschafterin bricht Miss Evelyne zu einem längeren Aufenthalt in die Berge auf. In Wahrheit kommt sie aber kurz darauf als die Büroangestellte Ingeborg Merk, englische Korrespondentin der Fa. Bluff & Co. zurück, um nun in einer Pension ihre Ruhe zu haben. Evelynes Verehrer, immer noch hartnäckig, erkundigen sich bei den Bediensteten des Grandhotels diskret, wohin in die Berge Miss Evelyne denn gefahren sei – "Auf den Untersberg", "den Predigtstuhl“, "den Hohenstauffen"! Nur Assessor Winnhuber zweifelt indes an der Sinn- und Zweckhaftigkeit des Rennens um die Gunst von Miss Evelyne und verbringt seine Zeit nun lieber in der Gesellschaft der verbliebenen und eigentlich nicht minder reizenden Gesellschafterin von Miss Evelyne.

Während von und zu Daxl in der Berghütte auf dem Hohenstauffen philosophiert "Ach wäre ich doch reich statt schön" und sich mit einer Aufstellung seiner Schulden und einem Reisegrammophon die Zeit vertreibt, warten Bombast und Spencer in der Berghütte auf dem Untersberg. Aloisius Meier sitzt dagegen auf der komfortablen Terrasse der Bergstation der Seilbahn des Predigtstuhls und passt jede ankommende Gondel ab. Seinen zunehmenden Frust darüber, dass Miss Evelyne nicht dabei ist, besänftigt er mit Bier. Und Miss Evelyne? Die geniest inzwischen ihren Kuraufenthalt in angenehmer Gesellschaft. In ihrer Pension hat sie den Kurarzt Dr. Freytag kennen gelernt. Der hatte ihr zwar erzählt, sie habe große Ähnlichkeit mit einer vor kurzem abgereisten Amerikanerin, misst diesem Umstand aber ansonsten keine weitere Bedeutung bei. Man unternimmt zusammen ausgedehnte Spaziergänge in die reizvolle Umgebung, kehrt in lauschige Biergärten ein und - kommt sich näher. Doch jede schöne Zeit geht auch einmal zu Ende. Schweren Herzens bringt Dr. Freytag "Ingeborg" zur Bahnstation und winkt dem abfahrenden Zug hinterher. "Vielleicht sieht man sich bald wieder", hatte sie noch gesagt.

Für "Ingeborg" ist die Rückreise aber schon an der nächsten Station zu Ende. Während der Autofahrt von Piding zurück nach Bad Reichenhall zieht sie sich um und schminkt sich neu, um nun wieder als Miss Evelyne vor dem Grandhotel aus dem Auto zu steigen. Die Nachricht ihrer Rückkehr erreicht auch die vor sich hin schmachtenden Verehrer in den Bergen, die sich sofort auf den Rückweg machen. In Ermangelung des notwendigen Kleingeldes, um seine Zeche zu bezahlen, verlässt der adelige Überlebenskünstler von und zu Daxl seine Herberge heimlich durch das Fenster. Zur Stärkung "zapft" er sich noch unterwegs, umsonst und frisch von der Erzeugerquelle, ein Glas Milch. Aloisus Meier erfährt als letzter von der Rückkehr Miss Evelynes. Fest entschlossen, schnellstmöglich nach unten zu kommen, hängt er sich kurzerhand unter die Seilbahngondel, weil diese bereits voll besetzt ist. Unterwegs verlassen ihn aber die Kräfte, und er stürzt im freien Fall ab. Glück im Unglück - er landet nicht nur weich auf einem Heuwagen, sondern ist damit auch der erste, der wieder unten im Tal angekommen ist.

Dr. Freytag, der Abwechslung sucht, sitzt im Park-Café. Seine Gedanken sind bei Ingeborg, als er unvermutet Miss Evelyne auf der Tanzfläche sieht. Jetzt erst merkt er, dass Ingeborg und Miss Evelyne ein und dieselbe Person sind. Auf seinen gekränkten Vorwurf, sie habe nur mit ihm gespielt, fällt sie ihm lachend um den Hals und fragt "Und du hast an mir gezweifelt"? Evelynes Verehrer müssen mit ansehen, wie eine glückliche Miss Evelyne sich mit dem Mann verlobt, der nicht ihr Vermögen liebt, sondern sie.

Wie Miss Evelyne nach Bad Reichenhall kam
Die Reichsbahn nutzte schon früh das Medium Film für Werbe- und Unterrichtszwecke und gründete deshalb 1924 zwei eigene Filmstellen mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen. "Miss Evelyne" war der erste Werbefilm, der als Spielfilm konzipiert wurde, mit dem die Reichsbahn, in Konkurrenz zur immer stärker werdenden Automobilindustrie, die Bahn als das beste Reisemittel propagierte. Bereits 1926 gab es erste Gedanken zu einem "Werbefilm mit Spielhandlung", weil sich der Effekt der Werbung mittels schöner Landschaftsbilder durch das zunehmende Interesse der Kinobesucher für Spielfilme abgenutzt hatte. Demgegenüber standen zunächst ein erhöhter Produktionsaufwand und nicht zu kalkulierende Risiken. Insbesondere die Kameramänner brauchten gutes und sonniges Wetter für entsprechend attraktive Aufnahmen. Darsteller hatten nicht selten auch anderweitige Engagements und standen deshalb nur eingeschränkt zur Verfügung.

Bad Reichenhall hatte als Kurort für die gehobene in-, vor allem aber ausländische Gesellschaftsschicht durch den Ersten Weltkrieg einen dramatischen Besucherrückgang erlebt. Aber erst Mitte der 1920er Jahre wurden umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um das einstige glanzvolle Image neu zu beleben. Man renovierte bestehende Kureinrichtungen und eröffnete 1925 das Flugfeld in St. Zeno für eine regelmäßige Flugverbindung mit dem Flugplatz München-Oberwiesenfeld. 1928 folgte die Eröffnung einer Drahtseil-Schwebebahn auf den Predigtstuhl und die Fertigstellung des Kurmittelhauses. Derart selbstbewusst in neuem Glanz erstrahlend, richtete im gleichen Jahr die Gemeinde eine Anfrage an die Filmstelle der Reichsbahn bezüglich eines gemeinsamen Werbefilms. Ebenfalls 1928 hatte es bereits eine Zusammenarbeit gegeben, mit dem dokumentarischen Werbefilm über die damals modernste und sicherste Seilbahn der Welt auf den Predigtstuhl. Drehbuchautor war auch hier Martin Fröhling, der dafür extra nach Bad Reichenhall gekommen war, um vor Ort Eindrücke zu sammeln.

Miss Evelyne, der erste Werbespielfilm
Den größten Erfolg hatte der Film, der trotz einer Szene mit der nackten, lediglich schaumbedeckten Badefee jugendfrei war, natürlich in Bad Reichenhall. Dort hatten die Dreharbeiten schon für viel Heiterkeit gesorgt, wie das Reichenhaller Tagblatt berichtete.   Inwieweit der Film auch darüber hinaus erfolgreich war, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Geht man von den +/- 5.300 Kinos aus, die es damals in Deutschland gab, ist die Frage angesichts eines Einsatzes in nur 36 weiteren Lichtspielhäusern eher mit Nein zu beantworten. Andererseits war das Werk als "Werbefilm mit Spielhandlung" von vornherein ein Nischenprodukt mit eingeschränkten Absatzmöglichkeiten, das nur mit dem Sujet "Kurort - Bad Reichenhall" und der lokalen Popularität einiger Nebendarsteller werben konnte. Einer von vielen "kleinen" Filmen jener Zeit, die ihr Publikum suchten. Immerhin fand Miss Evelyne 1930 sogar den Weg in die Bordkinos der Dampfschiffliner der NDL (Norddeutsche Lloyd).

"Miss Evelyne, die Badefee" ist eine leichte Komödie mit wohldosierten Slapstickeinlagen unterschiedlicher Art und einer einfach erzählten, aber handwerklich solide in Szene gesetzten Handlung. Um die Werbebotschaften "Kuren in Bad Reichenhall" und "alles kann passieren" nicht durch ein bekanntes Gesicht zu überlagern, hatte man sich wohl bewusst für eine unbekannte Darstellerin für die Titelrolle der Miss Evelyne entschieden. Pilar Munza erschien da wohl als ideale Projektionsfläche und Identifikationsfigur für die weibliche Zielgruppe. In den komischen Partien glänzen vor allem der bekannte Münchner Volkssänger und Humorist August Junker sowie der junge Schauspieler Bobby Todd, der hier möglicherweise in seiner ersten Filmrolle zu sehen ist. Junker, ein fülliger, grimassierender Komiker ganz im Stil früher Slapstickstars wie Fatty Arbuckle, dem er auch nicht unähnlich sah, ist hier in einem charakteristischen Bühnenkostüm zu sehen, mit großkariertem Frack, Fliege und hellem Zylinder mit schwarzem Band. Bobby Todd spielt herrlich introvertiert den von Geldnöten geplagten Adligen von und zu Daxl, der die versteinerte Miene eines Buster Keaton trägt, aber immer dann jegliche standesgemäße Haltung vergisst, wenn es um seinen Vorteil geht.

Im Kontext unserer Sehgewohnheiten und des heutigen Freizeitverhaltens ist der Film kaum noch als touristischer "Werbefilm mit Spielhandlung" zu erkennen. Vor allem wenn man die Entstehungsgeschichte des Filmes nicht kennt, würde man ihn für einen eine normale kleine Filmproduktion halten, deren Handlung zufälligerweise in einem Kurort spielt. Doch genau diese Werbeelemente machen den Film heute wieder sehenswert. Ein ausführlicher Blick auf die Annehmlichkeiten und Einrichtungen eines Kurbetriebes der 1920er Jahre als Zeitdokument mit nostalgischem Charme.

Schlussbemerkung:
Es ist nicht bekannt, ob die Reichsbahn mit ihrer Werbepräsenz in dem Film zufrieden war. In Anbetracht des Fakts, dass sie etwas mehr als die Hälfte der Produktionskosten getragen hat, kommt sie nur auffallend spärlich im Film vor und präsentiert sich auch nur andeutungsweise als angenehmes Reisemittel. Die Gemeinde Bad Reichenhall dagegen hat offenbar alles untergebracht, was ihr wichtig und erwähnenswert schien. Die minimal zu erwartende Werbebotschaft der Reichsbahn müsste doch lauten "Kuren in Bad Reichenhall - Wir bringen sie hin!". Doch im ganzen Film reist niemand explizit mit der Bahn an. Miss Evelyne kommt mit dem Flugzeug an und wird mit dem Auto abgeholt. Gegen Ende des Filmes hat die Reichsbahn dann ihren einzigen und kurzen, rein dramaturgisch motivierten Auftritt: Gedrückte Stimmung am Bahnsteig in Bad Reichenhall. Ingeborg reist per Bahn ab, Dr. Freytag winkt traurig dem abfahrenden Zug hinterher. Schnitt. An der nächsten Station ist die Bahnfahrt schon wieder zu Ende. Für Ingeborg/Evelyne steht wieder ein Auto zur Rückfahrt bereit.

Stefan Döpke, Cinemathek Filmverleih und Archiv

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