Unsere alten Tage

DDR 1989 Dokumentarfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
„Mein liebes Petralein und Willichen, dieser Brief kommt hoffentlich noch zum Geburtstag an, wie werdet ihr ihn feiern? Die zehn Mark sind für Kaffee und Kuchen gedacht, lasst es euch schmecken. Wenn ich könnte, hätte ich gebacken, aber das Alter ist zu grausam, seit eurem letzten Besuch bin ich ohne jede Hilfe, wann werden wir uns mal wiedersehen? Ihr jungen Leute habt immer so viel zu tun. In Liebe Grüße ich euch mit einem Kuss, eure Omi“: Petra Tschörtner zitiert während einer abendlichen Autofahrt durch Berlin den letzten Brief ihrer Großmutter, voller Sehnsucht nach ihren Angehörigen. „Wir haben uns nicht mehr gesehen, Großmutti starb im Krankenhaus, allein unter Fremden“ gesteht die Filmemacherin ein.

Die persönliche Betroffenheit über eigenes Versagen war sicherlich ein Beweggrund für Petra Tschörtner, in der in jeder Hinsicht aufregenden Wendezeit für die Defa Kinobox eine am 18. Mai 1989 als Begleitfilm zum Hauptprogramm angelaufene 48-minütige Dokumentation über ein modernes, gerade erst eröffnetes Vorzeige-Altenheim der DDR zu drehen. Michael Lösches Kamera fängt die Einsamkeit, Verlorenheit, Trauer und Resignation eines Großteils der Bewohner ein und konterkariert so den von den Auftraggebern erwarteten Propagandaeffekt, die staatliche Sozialpolitik ins beste Licht zu stellen.

Das Rentnerehepaar Schinkel, seit 50 Jahren verheiratet, drei Kinder, davon die jüngste Tochter in den Westen abgehauen, wird, offenbar vom Schwiegersohn dazu gedrängt, die Wohnung mit Balkon in zwei Tagen mit einem Zimmer im Feierabendheim tauschen. Sie war Näherin, er Schaffner und später Fahrer bei der Berliner Verkehrs-Gesellschaft. Immerhin können sie ihren Fernseher mit ins Heim nehmen – der passt so gerade auf die Trabi-Rückbank: „Man muss sich damit abfinden“ sagt sie mit einem Lächeln auf den Lippen übers Kreuzworträtsel gebeugt.

Frühstück, Essensausgabe auf dem Flur. Individuelle Wünsche können geäußert werden. Alleinstehende werden in Zweibettzimmern untergebracht: Bei der darob sehr skeptischen Frau Utes zieht nun eine Frau Scholz ein. Ob das gutgeht? Ein Heim kann kein Zuhause ersetzen. Auch für Frau Bermeister nicht, die sich immerhin über ein Einzelzimmer freut: „Ich hab‘ gedacht, ich habe sechs Kinder groß gezogen da werden die sechs Kinder auch ‘mal für mich Platz haben, aber das geht nicht. Die gehen arbeiten, die Kleine hätte mich ja genommen, aber sie sagte, dann bist du ja doch den ganzen Tag alleine, und die Große hat auch ‘nen Sohn, der ist Witwer mit zwei kleinen Kindern, schwer, die hat es schwer, die muss ja für die sorgen, also für Mutter kein Platz, also das hat für mich viel gekostet, die Umstellung, immer einen großen Haushalt gewöhnt und dann im engsten Raum.“

Es gibt eifrige Buch- und Zeitungsleser und interessierte Fernsehgucker, gerade ist Gorbatschow zu Besuch in der Hauptstadt zum 40. Jahrestag der DDR. Und politisch interessierte Senioren wie Frau Strob, die regelmäßig an Parteiversammlungen teilnehmen. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund: Es fehlt ein Kulturprogramm. Aber nicht an Eigeninitiativen: Ein Senioren-Quartett spielt auf, als der Kindergarten aus der Nachbarschaft zum Kaffeetrinken erscheint. „40 Jahre DDR, wer weiß es nicht höher zu schätzen als die Mitbewohner, die mit am Aufbau unseres Staates halfen“ sagt die Heimleiterin in ihrer Ansprache: „Unsere großzügige Sozialpolitik ermöglicht Ihnen in diesem schönen Heim zu wohnen. Wir hoffen sehr, dass Sie hier ein neues Zuhause gefunden haben. Wir werden uns bemühen, all‘ unsere Kraft einzusetzen, um Ihnen das Gefühl der Fürsorge und Geborgenheit zu geben.“

Es gibt im Heim auch Vierbettzimmer. Petra Tschörtner befragt ein Frauen-Quartett nach den Problemen miteinander. Ella, die bevorzugt antwortet, will davon nichts wissen: „Nö, das kann man nicht sagen, wir sind alle gesund, das ist klar, dass man ‘mal raus muss, aber das stört ja niemand, alles in Ordnung.“ Bettlägerige Bewohner werden entweder von ihren Ehepartnern oder vom Heimpersonal gefüttert. Petra Tschörtner fragt eine Krankenschwester, ob die tägliche Konfrontation mit Alter und Krankheit sie nicht depressiv mache: „Nein, eigentlich nicht, also ich kann da nur von mir persönlich ausgehen, ich kann das nicht sagen, mich berührt doch eben jedes menschliche Schicksal. Wer hier lebt und die letzten Jahre seines Lebensabschnitts verbringt, gibt ja auch viel auf, und hinter jedem Aufgeben, ein Zuhause hinter sich zurücklassen, das ist ja auch ein Stück Persönlichkeit und das möchten sie ja letzten Endes irgendwo hier wieder finden. Sicherlich, man kann ihnen nicht das Zuhause hier ersetzen, das muss man einfach verstehen, dazu brauchen wir natürlich enorme Unterstützung der Angehörigen, vielleicht auch der Fürsorge, jeder der bereit ist, sollte sich einmal umschauen, wie diese alten Menschen hier leben, nachdem sie ihr zu Hause verlassen haben.“

Am Ende noch einmal das Ehepaar Schinkel beim Aufhängen privater Bilder im Zimmer. Und ein leerer Flur des Altenheims. Im Abspann werden die Namen der Beteiligten kollektiv eingeblendet: „Ein Film von Wolfgang Hirschke; Peter Jendretzky; Marko Koinzer; Michael Loewenberg; Ronald Gohlke; Ulrich Fengler; Andreas Dahms; Valentin Engelhardt; Jochen Wisotzki; Angela Wendt; Michael Lösche; Petra Tschörtner. Hergestellt im DEFA-Studio für Dokumentarfilme, Gruppe-Kinobox. DDR 1989“.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
1460 m, 53 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Kinostart (DD): 18.05.1989

Titel

  • Originaltitel (DD) Unsere alten Tage
  • Weiterer Titel (DD) Familienverhältnisse
  • Weiterer Titel When we are old

Fassungen

Original

Länge:
1460 m, 53 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Kinostart (DD): 18.05.1989

Digitalisierte Fassung

Länge:
48 min
Format:
DCP 2k, 1:1,37
Bild/Ton:
s/w, Mono