Struga - Bilder einer Landschaft

DDR 1972 Kurz-Dokumentarfilm

Kommentare

Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!

Heinz17herne
Heinz17herne
„Oh Heimat, dreckiges Schlaraffenland“ lautet eine Zeile aus dem gleichnamigen Gedichtzyklus, die der sorbische Dichter Kito Lorenc aus dem Off rezitiert, während die Bilder des Kameramanns des Ko-Autors Franz Ritschel den in romantisches Licht gehüllten Spree-Zufluss Struga scheinbar in seinem natürlichen Bett zeigen. Doch der Schein trügt, wie rauchende Kraftwerks-Schlote in der nächsten Einstellung offenbaren: er fließt durch das Braunkohlegebiet unweit des Tagebaus Nochten in der nördlichen Oberlausitz als voll kanalisierte Abwasserkloake wie einst die Emscher durchs nördliche Ruhrgebiet.

Ein alter Mann geht am Stock durch eine menschenleere Dorfstraße. Verlassene Häuser und Bauernhöfe, offene Tore und eingefallene Dachstühle zeugen vom Niedergang des Dorfes Schleife (sorbisch: Slepo) und der Zerstörung der es umgebenden Heidelandschaft durch den Braunkohleabbau. Zwei Prozessionen laufen aufeinander zu, um sich an einem offenen Grab zu treffen, in dem ein schellenbaumartiges Gebilde liegt: Auf der einen Seite wie im Alemannischen kostümierte Männer, die mit allerlei Musikinstrumenten ausgelassen durch ein Waldstück tanzen, als wollten sie den Teufel austreiben. Auf der anderen Seite singende Frauen, die nach einem Gottesdienst die kleine Holzkirche unter Glockengeläut verlassen, eingehüllt in weiße Tücher, die nur einen schmalen Gesichtsausschnitt freigeben.

Bäume werden gefällt, Planierraupen wälzen Büsche nieder, Schaufelbagger fressen sich durch Felder, Häuser werden abgerissen und Kamine zum Einsturz gebracht – in raschen Schnitten Ingrid Seidels zu traditioneller sorbisch-wendischer Volksmusik und modernen Kompositionen des sorbischen Komponisten und Musikwissenschaftlers Jan Raupp, interpretiert von den Singeclubs der sorbischen Erweiterten Oberschule (EOS) Kleinwelke und des VEB RFT Fernmeldewerk Bautzen sowie vom Großen Sinfonieorchester Leipzig unter der Leitung von Adolf Fritz Guhl. Dazwischen lachende Kumpel, die noch behelmt von der Schicht kommen: „Doch wer schließt auf die Tagebaue unserer Herzen?“ lässt sich Kito Lorenc vernehmen.

Am Ende des allein durch seine Bilder, die keiner Kommentierung bedürfen, kritischen Films zitiert er Hoffnungsvolles aus Jan Raupps „Metamorphosen“: „… vertraue unendlich ich den Zwanzigjährigen heute, wie schön, dass niemand uns abnehmen kann das Denken, auch nicht die nach uns, für die wir denken sollten nur soweit, dass sie auf Erden noch denken können…“

Konrad Herrmann, zwischen 1976 und 1985 Regisseur beim Fernsehen der DDR und bei der Defa in Babelsberg, nach der Wende freischaffender Regisseur und Autor für ARD und ZDF sowie seit 1997 mit eigener Produktionsfirma in Berlin ansässig, anlässlich einer Ausstrahlung am 19. November 2020 im MDR-Fernsehen: „‘Struga‘ ist im Auftrag der Domowina zu ihrem 60-jährigen Jubiläum entstanden und zugleich mein Abschlussfilm für das Regiediplom an der Filmhochschule Babelsberg. Ich stamme aus Bautzen, bin zwar kein Sorbe, habe aber jede Menge sorbische Freunde, dazu gehört auch der Schriftsteller Kito Lorenc. Sein Gedichtzyklus ‚Struga – Bilder einer Landschaft‘ war 1967 erschienen und wir hatten die Idee, den Essay als Vorlage für den Film zu nehmen. Wir wollten die Bilder zum Text machen. Es gab jede Menge Probleme. Nicht bei der technischen Umsetzung und auch nicht bei der Endfertigung. Als Studenten hatten wir sehr gute Bedingungen. Der Ärger begann erst mit der Premiere des Films in Bautzen. Quer durch das Publikum ging ein Riss: die Einen riefen ‚Endlich!‘, die Anderen ‚Sofort verbieten!‘ Er lief überall, nur in der DDR nicht, obwohl er nicht verboten war. Nach der Premiere in Bautzen wurde ‚Struga‘ im Rahmen des Studentenprogramms beim Leipziger Dokfilmfestival gezeigt. Dadurch bekamen wir ziemlich schnell internationale Aufmerksamkeit und der Film lief auf vielen Festivals.“

Die Uraufführung des nicht synchronisierten oder deutsch untertitelten 27-minütigen Kurz-Dokumentarfilms, einer Produktion der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg (PL Anke Seber) im Auftrag des Bundesvorstandes des sorbisch-wendischen Dachverbandes Domowina, fand 1972 im „Haus der Sorben“ in Bautzen (Budyšin) statt und wurde anschließend auf den Festivals in Leipzig, Moskau und Oberhausen gezeigt, nach der Wiedervereinigung 1992 auch in der Panorama-Sektion der Berlinale. Zu den Szenaristen gehört auch Anton „Toni“ Bruk, der 1980 die Produktionsgruppe (KAG) „Sorbischer Film“ bei der Defa gründete.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
27 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Aufführung (DE): November 1994, Leipzig, IFF

Titel

  • Originaltitel (DD) Struga - Bilder einer Landschaft

Fassungen

Original

Länge:
27 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Aufführung (DE): November 1994, Leipzig, IFF