Moskau - Petuschki

Deutschland 1991 TV-Spielfilm

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Heinz17herne
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Wenedikt Jerofejews „Roman-Anekdote“ genanntes Poem „Die Reise nach Petuschki”, geschrieben 1969 in der Sowjetunion der Ära Breschnew, hat sich nach der Erstveröffentlichung vier Jahre später in Israel innerhalb kurzer Zeit zum literarischen Geheimtipp entwickelt. Darin lebt der Ich-Erzähler Wenja in Moskau, hat aber noch nie den Kreml gesehen. Er begibt sich in einem Vorortzug auf die Reise nach Petuschki, wo er eine Geliebte und ein Kind zu haben wähnt.

Jens Carl Ehlers‘ Adaption für das ZDF, eine Produktion der Kölner Normalfilm Michael Grootes, erzählt von Wenja als Alter Ego des Autors, der an den Verhältnissen des real existierenden Sozialismus vor Glasnost und Perestroika verzweifelt und sich samt seiner Vorstellung von Freiheit in den Alkohol „rettet”. Wobei Jerofejew nur vordergründig über den Alkoholismus Wenjas und Gleichgesinnter schreibt, die sich im Zug von Moskau nach Petuschki treffen, ihrem „Eisenbahnexil”.

Vielmehr geht es um Hoffnungen und Träume, um Individualismus und Kollektivismus, auch um den Schmerz eigenen Versagens: Arbeitsverweigerung als Planerfüllung im Alkoholvollrausch. Jerofejews Realsatire beginnt am Bau: Sein „Ich”-Erzähler Wenja (Martin Wuttke) arbeitet mit einem Kollektiv an einer Baustelle. Doch anstatt Rohre in die Erde zu verlegen, spielen die Arbeiter lieber Karten und trinken dabei Hochprozentiges – bis zum Delirium.

Das setzt sich auch fort, als Wenja zum Brigadier avanciert. Er fälscht die Arbeitsstatistiken und fliegt erst auf, als die Behörde zwecks Normkontrolle die Papiere prüft. Ein Kollege hat ihr auch die penibel aufgelisteten Alkohol-Statistiken mitgeliefert: Wenja landet in der Gosse. „Petuschki”, real nur gut eine Bahnstunde von Moskau entfernt, wird zum letzten, erträumten Rettungsanker für den völlig dem Alkohol verfallenen Obdachlosen, der zudem nicht nur von Schlägern verfolgt wird, sondern auch mit einem „Engel” (Klaus Völker) spricht – auf der Straße wie in der versifften Zugtoilette.

Wenja träumt von einem jungen Mädchen (Wieslawa Weselowska) auf dem Bahnsteig in Petuschki, erreicht auch den Zug dorthin und trifft im Abteil auf eine Handvoll ebenso heruntergekommener Gestalten wie den Schnurrbärtigen (Branko Samarowski) und Covercoat (Martin Schwab), mit denen er über Schriftsteller, Philosophie und das Leben spricht. Wie zur Rechtfertigung des eigenen unmäßigen Alkoholkonsums trinken am Ende alle auf den Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe – ausgerechnet auf einen erklärten Abstinenzler!

Mit Darja (Doris Buchrucker) bringt eine Frau neuen Schwung in die Männerrunde – mit „handfesten” Geschichten aus dem „realen” Leben inmitten des kopflastigen philosophischen Diskurses. Bis ein Kontrolleur (Hendryk Bista) erscheint: Er lässt sich von den Schwarzfahrern mit reichlich Wodka bestechen. 2:15 Stunden dauert die Reise, doch Petuschki bleibt ein Traumziel – und der Kursker Bahnhof in Moskau die Realität. Wenja träumt, von einem Mitredates (auch als Sphinx: Wolfgang Hinze) erstochen zu werden – und findet sich inmitten einer Geisterkulisse aus Schutthalden wieder, erneut verfolgt von drei jungen, brutalen Schlägern…

Nicht, dass sich mir nach 92 Minuten alle Details dieses vielfach verrätselten Sinnbilds aus der real existierenden Sowjetunion klar geworden sind. Aber allein die tolle Besetzung, noch zu nennen Barbara Lass als Fürstin, Ludwig Ochs als Butler und Jan Biczycki als Opa Mitritsch, macht „Moskau – Petuschki“, am 16. Dezember 1991 im ZDF im Rahmen der Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ erstausgestrahlt, sehenswert.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
92 min
Bild/Ton:
Farbe

Titel

  • Originaltitel (DE) Moskau - Petuschki

Fassungen

Original

Länge:
92 min
Bild/Ton:
Farbe